KAPITEL VIII.
Vernimm aber auch, was er seinem Schüler brieflich aufträgt: "Obliege dem Vorlesen, dem Ermahnen, dem Lehren"1. Er fügt noch hinzu, welche Frucht ihm daraus erwachsen werde, mit den Worten: "Denn wenn du das tust, wirst du sowohl dich selber wie die, die dich hören, selig machen"2. Und wiederum: "Ein Diener des Herrn soll nicht streiten, sondern soll milde sein S. 205 gegen jedermann, belehrend, langmütig"3. Und fortfahrend sagt er weiter: "Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und was dir anvertraut worden ist, da du weißt, von wem du es gelernt hast und weil du von Kindheit an die hl. Schriften kennst, welche dich zur Weisheit zu führen vermögen"4. . Und wiederum: "Jede Schrift, die von Gott eingegeben, ist auch nützlich zur Belehrung, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mann Gottes vollkommen werde"5. Vernimm ferner, was er dem Titus auferlegt, indem er mit ihm über die Einsetzung der Bischöfe spricht: "Der Bischof muß an dem glaubwürdigen Worte festhalten, das der Lehre gemäß ist, damit er imstande sei, auch die Widersacher zurechtzuweisen"6. Wie kann nun ein "Unwissender", wie die erwähnten Leute ihn nennen, die Widersprechenden zurechtweisen und zum Schweigen bringen? Wozu ist es nötig, sich mit Vorlesen und der Schrift zu beschäftigen, wenn man diese Unwissenheit gutheißen soll? Das Vorgebrachte enthält also bloß Vorwände und Ausflüchte; einen Deckmantel für Leichtfertigkeit und Trägheit.
"Aber", wandte [Basilius] ein, "das wird den Priestern aufgetragen."
Allerdings, von den Priestern war soeben die Rede. Daß er aber auch die Untergebenen im Auge hatte, darüber höre, wie er in einem anderen Briefe andere ermahnt: "Das Wort Christi wohne in euch reichlich in aller Weisheit"7. Und wiederum: "Eure Rede sei allezeit voll Anmut, mit Salz gewürzt, auf daß ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollt"8. Desgleichen gilt allen das Wort "zur Verantwortung bereit zu sein"9. Und an die Thessaloniker schreibt er: "Erbauet einander, einer den anderen, so wie ihr es bereits tut"10. Wenn er S. 206 jedoch von den Priestern spricht, so drückt er sich also aus: "Die da als Presbyter ihr Vorsteheramt gut versehen, sollen doppelter Ehre gewürdigt werden, besonders die sich in Wort und Lehre abmühen"11 . Das ist ja das vollkommenste Ziel der Unterweisung, daß die Lehrenden sowohl durch das, was sie tun, als auch durch das, was sie reden, zu dem glückseligen Leben hinführen, welches Christus gefordert hat. Denn das Tun genügt nicht zu einem richtigen Unterricht. Es ist dies nicht ein Ausspruch von mir, sondern vom Erlöser selbst, "Wer [die Gebote] tut und lehrt", sagt er, "der wird groß genannt werden"12. Wenn jedoch das Tun auch schon Lehren in sich schließen würde, so wäre der zweite Ausdruck überflüssig; denn es hätte genügt, bloß zu sagen: "Wer tut." Nun aber zeigt er dadurch, daß er beide Begriffe auseinander hält, daß sich der eine auf die Werke, der andere auf das Wort bezieht und daß zur vollkommenen Erbauung beide einander bedürfen. Oder hörst du nicht, was das auserlesene Gefäß Christi zu den Presbytern von Ephesus sagt? "Darum wachet und vergesset nicht, daß ich drei Jahre lang Tag und Nacht unaufhörlich unter Tränen einen jeden von euch ermahnt habe"13. Wozu bedurfte es denn noch der Tränen oder der Ermahnung durch Worte, da doch schon das Leben des Apostels so hell leuchtete? Wohl mag das [vorbildliche] Leben14 zur Befolgung der Gebote ein gut Teil beitragen, aber ich möchte dennoch nicht behaupten, daß es allein hierzu alles leisten könnte15. S. 207
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1 Tim, 4, 13. ↩
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Ebd. 4, 16. ↩
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2 Tim. 2, 24. ↩
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Ebd. 3, 14. 15. ↩
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Ebd. 3, 16. 17. ↩
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Tit. 1, 9. Chrysostomus gibt die Stelle abgekürzt wieder. ↩
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Kol. 3, 16. ↩
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Ebd. 4, 6. ↩
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1 Petr. 3, 15. ↩
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1 Thess. 5, 11. ↩
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1 Tim. 5, 17. ↩
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Matth. 5, 19. ↩
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Apg. 20, 31. ↩
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Gemeint ist das im hell leuchtenden Leben liegende gute Beispiel der Tat. ↩
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Seltmann und sich ihm anschließend Nairn fassen das nicht als Nachsatz, sondern als Parenthese, wie auch schon Savilius in seiner Ausgabe tat. Ich folge jedoch der Punktierung von Migne, die auch Bengel annahm sowie die deutschen Übersetzungen von Mitterrutzner und Wohlenberg, ↩