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Werke Johannes Chrysostomus (344-407) De sacerdotio libri 1-6 Über das Priestertum (BKV)
5. Buch

KAPITEL VI.

Siehst du, bester Freund, daß gerade der tüchtigste Redner größeren Fleiß aufwenden muß! Außer dem Fleiße muß er auch eine solche Langmut besitzen, wie sie alle die nicht brauchen, die ich dir vorhin aufgezählt habe. Denn viele Leute treten fortwährend ungerechterweise und unüberlegt gegen ihn auf; und obwohl sie ihm nichts anderes vorzuwerfen haben, als daß er bei jedermann in hohem Ansehen stehe, verfolgen sie ihn mit ihrem Hasse. Mit edlem Gleichmut muß er deren bittere Mißgunst ertragen. Da sie ihren verdammenswerten Hass, den sie ohne Grund in sich ansammeln, nicht zu verbergen vermögen, so schimpfen, tadeln und verleumden sie heimtückischerweise und begehen S. 216 auch öffentlich Gemeinheiten. Eine Seele aber, die gleich in jedem einzelnen solcher Fälle sich grämen und aufgebracht werden wollte, würde bald vor Kummer zugrunde gehen. Ja, sie rächen sich an ihm nicht nur in eigener Person, sondern suchen dies auch durch andere zu tun. Nicht selten greifen sie nämlich irgendeinen unfähigen Redner heraus, überhäufen ihn mit Lobsprüchen und bewundern ihn über die Maßen. Die einen handeln so aus Unwissenheit1, andere aus Unwissenheit mit Neid gepaart, demnach nicht etwa um den unfähigen Redner als bewundernswert hinzustellen, sondern um den Ruhm des fähigen zunichte zu machen.

Ein tüchtiger Redner hat jedoch nicht nur wider solch einzelne Gegner Kämpfe zu bestehen, sondern auch oft wider den Unverstand eines ganzen Volkes. Ist es doch unmöglich, daß die gottesdienstliche Versammlung aus lauter gebildeten Leuten besteht; vielmehr verhält es sich so, daß der größte Teil der Gemeindeglieder sich aus Ungebildeten zusammensetzt, daß zwar manche urteilsfähiger sind als die große Menge, aber doch ihrerseits wieder hinter denen, die eine Predigt wirklich zu beurteilen vermögen, weit mehr zurückstehen, als hinter ihnen die übrigen alle2. Da demnach zur Not3bloß einer oder der andere dasitzt, dem die fragliche Urteilsfähigkeit zu eigen ist, so kann es nicht ausbleiben, daß der beste Redner oft den wenigsten Beifall davonträgt, ja bisweilen gar ohne jegliches Lob davongehen muß. Gegen solch unordentliches Benehmen muß er seinerseits mit Hochherzigkeit ausgestattet sein und denen, die aus Unverstand so vorgehen, verzeihen, diejenigen aber, welche aus Neid so etwas in Szene setzen, S. 217 als unglückselige und bedauernswerte Leute bemitleiden. Auch darf er nicht annehmen, daß sein Rednertalent durch das eine oder andere Verhalten beeinträchtigt worden sei. So darf auch ein Meister in der Malerei, welcher über alle anderen in seiner Kunst hervorragt, wenn er sieht, daß Leute, die von Kunst nichts verstehen, sich über ein von ihm mit größter Sorgfalt gemaltes Bild lustig machen, nicht kleinmütig werden und um des Urteils der Unwissenden willen sein Gemälde für schlecht halten. Umgekehrt darf ihm freilich ebenso wenig ein Bild, das wirklich unbedeutend ist, als ausgezeichnet und seiner besonderen Liebe wert erscheinen, weil es bei Nichtfachleuten außerordentliche Bewunderung erregte.


  1. „ἀμαθια“. Manche Ausgaben lesen „μανια, Wahnwitz“. ↩

  2. ,.οἱ λοιποὶ πάντες“; das sind wieder die ganz Ungebildeten, ἰδιῶται. — Chrysostomns nimmt also drei Klassen von Gemeindegliedern an: eine erste, die imstande ist, eine Predigt kritisch zu beurteilen (οἱ λόγους κρῖναι δυνάμενοι); eine zweite, die das nicht vermag, aber doch als die der verständigeren, πσυνετὠτεροι, bezeichnet wird, im Gegensatze zur dritten Klasse der völlig Ungebildeten, ἰδιῶται, welche die bei weitem große Mehrzahl bilden. ↩

  3. „μόλις“. Manche Ausgaben lesen „μόνον, nur“. ↩

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Einleitung Über das Priestertum
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