1.
V.27: „Ihr habt gehört, dass euren Vorvätern gesagt worden ist: Du sollst nicht ehebrechen.
V.28: Ich aber sage euch; Jeder, der eine Frau ansieht aus Begierlichkeit, hat in seinem Herzen die Ehe schon gebrochen.“
Der Herr hat seine Erklärung des ersten Gebotes vollendet, nachdem er es zur höchsten Höhe christlicher Lebensweisheit emporgehoben hat. Jetzt schreitet er in natürlicher Reihenfolge zum zweiten Gebote weiter und schließt sich auch hierin an das Gesetz an. Indes, sagst du, dies ist ja nicht das zweite, sondern das dritte Gebot; denn das erste lautet nicht: Du sollst nicht töten, sondern: „Der Herr, dein Gott, ist der alleinige Herr“1 .So wollen wir also den Grund suchen, weshalb der Herr nicht da anfing. Welches ist also dieser Grund? Hätte er mit diesem Gebot angefangen, so hätte er es auch weiter erklären und dann von sich selber reden müssen. Die Zeit war aber noch nicht gekommen, derartige Aufklärungen über sich selbst zu geben. Dafür enthüllte er schon jetzt seine moralischen Grundsätze. Er wollte eben zuerst durch sie und seine Wunder die Zuhörer davon überzeugen, dass er der Sohn Gottes ist. Hätte er also von Anfang an, noch bevor er irgend etwas geredet oder getan hatte, gesagt: Ihr habt gehört, dass euren Vorfahren gesagt worden ist: Ich bin der Herr, dein Gott, und außer mir gibt es keinen anderen; ich aber sage euch, ihr müsst auch mich anbeten wie ihn, so hätte dies nur zur Folge gehabt, dass ihn alle für irrsinnig gehalten hätten. Sie erklärten ihn ja noch für besessen, nachdem er längst vorher gelehrt und die größten Wunderzeichen getan, und selbst dann noch seine Gottheit nicht deutlich ausgesprochen hatte. Wenn er sich also eine solche Äußerung erlaubt hätte, S. 303bevor er etwas von all diesen Dingen getan hatte, was hätten sie dann nicht erst gesagt, was hätten sie da nicht alles gedacht? Indem er nun aber die diesbezügliche Aufklärung für die richtige Zeit vorbehielt, erreichte er, dass die Mehrzahl der Zuhörer für diese Lehre zugänglich wurde. Deshalb hat er sie für jetzt übergangen, und bereitete inzwischen durch seine Wunder und durch seine erhabene Lehre in jeder Weise auf sie vor, um sie später auch in ausdrücklichen Worten zu offenbaren.
Vorläufig lässt er also diese Offenbarung erst teilweise und langsam durchblicken durch den Erweis seiner Wundertaten und durch seine bloße Art und Weise zu lehren. Dass er nämlich aus eigener Machtvollkommenheit solche Satzungen verkündete und änderte, musste den, der aufmerksam und mit Verstand zuhörte, langsam zur Offenbarung dieses Dogmas hinführen. Es fiel ihnen ja auf, sagt die Hl. Schrift, dass er nicht lehrte, wie ihre Schriftgelehrten. Er begann mit unseren am häufigsten vorkommenden Leidenschaften, dem Zorn und der Begierlichkeit; die sind es ja, von denen wir uns am meisten beherrschen lassen, und die auch stärker sind, als die anderen. Indes verbesserte er dieses Gebot mit aller einem Gesetzgeber zukommenden Machtvollkommenheit und veredelte es mit größter Sorgfalt. Er sagte nämlich nicht, nur der Ehebrecher werde bestraft, sondern er machte es hier, wie er es beim Mörder gemacht, er straft auch schon den unkeuschen Blick, damit du wissest, wo er mit seinen Anforderungen über diejenigen der Schriftgelehrten hinausgeht. Darum sagte er: „Wer eine Frau ansieht aus Begierlichkeit, hat bereits mit ihr die Ehe gebrochen“, das heißt, wer Dinge tut, wie z.B.:sich an schöngestaltete Menschen heranzumachen, Leuten mit hübschen Gesichtern nachlaufen, sich an deren Anblick ergötzen und das Auge auf schöne Antlitze heften. Christus kam eben nicht bloß, um die Leiber von bösen Handlungen zu bewahren, sondern auch um die Seele vor dem Leibe zu schützen. Da war nämlich die Gnade des Heiligen Geistes im Herzen empfangen, so reinigt er dieses zuerst.
Indes, wendest du ein, wie ist es möglich, von der Begierlichkeit befreit zu werden? O, wenn wir nur S. 304wollten, dann wäre es ganz gut möglich, auch sie vollständig zu ertöten und unschädlich zu machen. Übrigens verbietet hier der Herr die Begierlichkeit nicht bloß so im allgemeinen, sondern die Begierde, die durch den unkeuschen Blick geweckt wird. Wer nämlich geflissentlich schöne Gesichter ansieht, zündet selber am meisten das Feuer der Leidenschaft an, macht die Seele zur Sklavin, und schreitet gar bald auch zur bösen Tat. Darum sagte auch Christus nicht: Jeder, der nach einem Weibe begehrt, um mit ihm Ehebruch zu treiben, sondern: „Wer immer sie ansieht, um sie zu begehren.“Beim Zorn hat er auch noch eine Einschränkung gemacht durch die Worte: „ohne Grund“. Hier macht er keine, sondern verbot einfach und absolut die böse Begierde. Und doch sind uns beide Leidenschaften, der Zorn und die Begierlichkeit, angeboren und bringen beide gute Wirkungen hervor: die eine, weil wir durch sie die Bösen bestrafen und die Fehlenden bessern, die andere, weil sie die Ursache ist, dass wir Kinder erzeugen und unser Geschlecht durch solche Nachkommenschaft vermehren.
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Dtn 6,4 ↩