4.
Der Herr geht nicht eher zu etwas Neuem über, als bis er das Vorhergehende ganz erschöpft hat. Hier stellt er uns deshalb eine neue Art von Ehebruch vor Augen. Und welche? Im Alten Bunde galt das Gesetz, dass derjenige, der seine Frau aus irgendeinem Grunde hasste, nicht daran gehindert werden durfte, sie zu entlassen und an ihrer Stelle eine andere zu nehmen. Indes gestattete das Gesetz nicht, dies ohne Formalitäten abzumachen, vielmehr musste der Frau eine Scheidungsurkunde ausgestellt werden, und sie konnte daraufhin nicht mehr zu ihrem Manne zurückkehren, und wäre es auch nur, um den Schein der Ehe zu wahren. Hätte das Gesetz diese Vorschrift nicht gegeben, wäre es frei gestanden, die eine Frau zu entlassen und eine andere zu heiraten und dann auch die frühere wieder aufzunehmen, so wäre eine große Verwirrung entstanden. Da hätten alle fortwährend die Frauen anderer zu sich genommen und die ganze Sache wäre auf offene Ehebrecherei hinausgekommen. Darum hat das Gesetz ein nicht unbedeutendes Vorbeugungsmittel vorgesehen, nämlich den Scheidebrief.. Dies geschah aber1 wegen eines anderen, viel größeren Missstandes. Hätte das Gesetz den Gatten gezwungen, seine Frau auch dann bei sich zu behalten, wenn er sie hasste, so hätte dieser sie wahrscheinlich in seinem Hasse umgebracht; so tief stand eben das Judenvolk. Sie, die ihrer eigenen Kinder nicht schonten2 , die die Propheten mordeten, die Blut vergossen wie S. 311Wasser3 . hätten noch viel weniger ihrer Frauen geschont. Darum hat das Gesetz das geringere Übel geduldet, im das größere zu vermeiden. Dass aber dies nur ein vorläufiges Gesetz war, kannst du aus den Worten des Herrn entnehmen, der da sagte: "Moses hat diese Satzung gegeben wegen eurer Hartherzigkeit"4 , damit ihr die Frau nicht im Hause ermordet, sondern sie aus dem Hause entlasset. Nachdem aber er selbst allen Zorn verboten, und nicht nur den Mord, sondern auch schon das bloße Zürnen untersagt hat, kann er ohne Schwierigkeit auch dieses Gebot aufstellen. Deshalb erinnert er auch immer an die früheren Satzungen, um zu zeigen, dass die seinigen den anderen nicht widersprechen, sondern mit ihnen übereinstimmen, da er sie ja nur weiter ausdehnt, nicht aber sie abändert, da er sie verbessert, nicht aber aufhebt. Beachte aber auch, dass der Herr sich in seiner Rede überall an den Mann wendet. "Wer seine Frau entlässt", sagt er, "macht sie zur Ehebrecherin; und wer eine Entlassene heiratet, begeht einen Ehebruch." Der eine macht sich nämlich, auch wenn er selbst keine andere Frau zu sich nimmt, doch eben dadurch dieses Vergehens schuldig, weil er die Ursache ist, dass jene zur Ehebrecherin wird; der andere wird zum Ehebrecher, weil er eine fremde Frau heiratet. Da wende mir nicht ein, jener habe sie ja entlassen; denn auch eine Verstoßene bleibt noch immer die Frau dessen, der sie verstößt. Um aber dann doch nicht die ganze Schuld auf den Mann zu wälzen, der seine Frau entlässt, weil dadurch die Frau zu anmaßend werden könnte, so verschließt er ihr auch die Türe dessen, der etwa bereit wäre, sie aufzunehmen. Er sagt: "Wer immer eine Entlassene heiratet, begeht einen Ehebruch." Dadurch bringt er auch die Frau zur Vernunft, ob sie will oder nicht, verschließt ihr alle Türen, und benimmt ihr jeglichen Anlass zu ungehörigen Anwandlungen. Sobald sie einmal weiß, dass sie gar keine andere Wahl hat, als S. 312entweder bei dem zu bleiben, dem sie zuerst angetraut wurde, oder aber sein Haus zu verlassen, ohne irgendeinen anderen Zufluchtsort zu finden, dann wird sie auch wider Willen und notgedrungen ihrem Lebensgefährten wieder ihre Liebe zuwenden. Wundere dich aber nicht darüber, dass der Herr nichts davon zur Frau selbst sagt; das Weib ist eben der schwächere Teil. Darum übergeht er sie und sucht ihrem Leichtsinn durch die Drohung zu begegnen, die er an die Männer richtet. Er macht es dabei gerade so, wie etwa einer, der einen ungeratenen Sohn hat. Ein solcher lässt ja auch den Sohn gehen und tadelt dafür diejenigen, die ihn verdorben haben, und verbietet ihnen, weiteren Umgang mit ihm zu pflegen und sich ihm wieder zu nähern.
Wenn dir aber die Beobachtung dieses Gebotes schwer zu sein scheint, so erinnere dich an das, was der Herr früher gesagt hat und um dessentwillen er die Zuhörer selig gepriesen hat. Dann wirst du sehen, dass dies ganz gut möglich, ja sogar leicht ist. Wer nämlich sanftmütig ist, friedfertig, arm im Geiste, barmherzig, wie wird der je dazu kommen, seine Frau zu entlassen? Wer unter anderen Frieden stiftet, wie wird der mit seiner eigenen Frau in Zwietracht leben? Aber nicht bloß dadurch, aber auch noch auf andere Weise hat uns Christus die Erfüllung dieses Gebotes leicht gemacht. Auch hier erlaubt er nämlich in einem Falle die Entlassung, indem er sagt: "Ausgenommen den Fall der Unzucht". Sonst wäre es ja wieder auf dasselbe hinausgekommen, wie im anderen Falle. Hätte er nämlich befohlen, auch eine solche Frau zu behalten, die sich mit vielen anderen Männern vergangen hatte, so wäre man wieder auf einer allgemeinen Ehebrecherei gestanden. Siehst du jetzt, wie gut das alles mit dem Früheren übereinstimmt? Wer eine fremde Frau nicht mit unzüchtigem Blicke ansieht, wird keinen Ehebruch begehen; wenn er aber keinen Ehebruch begeht, wird er dem Manne keinen Anlass geben, seine eigene Frau zu verstoßen. Deshalb setzt auch der göttliche Heiland dem Manne gehörig zu, macht ihm ordentlich Angst und schreckt ihn mit der Verantwortung, im Falle er seine Frau entlässt; er schreibt nämlich ihm die S. 313Schuld zu an dem Ehebruch, den sie dann begeht. Damit du also die Worte: "Reiß dein Auge aus" nicht auch auf deine Frau beziehest, so hat er zur rechten Zeit noch diese Ausnahme hinzugefügt, und nur für diesen bestimmten Fall erlaubt, seine Frau zu entlassen, aber sonst für keinen.
V.33: "Ebenso habt ihr gehört, dass euren Vorfahren gesagt wurde: Du sollst nicht falsch schwören, sondern sollst deine Eide auf den Herrn ablegen.
V.34: Ich aber sage euch, ihr sollt überhaupt nicht schwören.
Weshalb begann der Herr nicht gleich vom Diebstahl zu reden, sondern spricht mit Übergehung jenes Gebotes gleich vom falschen Zeugnis? Weil ein Dieb imstande ist, auch falsch zu schwören. Wer es aber umgekehrt nicht über sich bringt, falsch zu schwören, oder auch nur die Unwahrheit zu sagen, wird sich noch viel weniger dazu entschließen können, zu stehlen. Christus hat also durch die eine Sünde auch die andere getroffen, das Lügen durch das Stehlen. Was ist aber mit den Worten gemeint: "Du sollst deine Eide auf den Herrn ablegen?" Das heißt: Du sollst beim Schwören die Wahrheit sagen. "Doch sage ich euch, es ist besser, gar nicht zu schwören."