5.
Um sie aber dann noch mehr davon abzubringen, bei Gott zu schwören, sagt er:
„Auch nicht beim Himmel, weil dies der Thron Gottes ist;
V.35: nicht bei der Erde, weil sie der Schemel seiner Füße ist, noch auch bei Jerusalem, weil es die Stadt des großen Königs ist.“
Der Herr redet hier noch mit den Worten des Propheten1 . Er will damit zeigen, dass er sich nicht im Gegensatz zum Alten Testament befindet. Die Juden hatten nämlich die Gewohnheit, bei diesen Dingen zu schwören, und noch am Schlusse des Evangeliums können wir das Vorhandensein dieser Gewohnheit beobachten. S. 314Du aber bedenke, aus welchem Grunde er die geschaffenen Dinge so hochhält. Nicht ob ihrer eigenen Natur, sondern wegen der Beziehung, in der Gott zu ihnen steht, und die er hier so ausdrückt, wie es unserer Fassungskraft angemessen ist. Da nämlich überall der Götzendienst herrschte, so wollte er den Schein vermeiden, als zolle er den Geschöpfen um ihrer selbst willen Verehrung. Deshalb hat er den erwähnten Grund angegeben, der seinerseits wieder Gott die Ehre gibt. Er sagte darum nicht: Weil der Himmel so schön und so groß ist; oder: Weil die Erde so fruchtbringend ist, sondern: Weil der Himmel Gottes Thron ist, die Erde aber sein Schemel. Damit weist er seine Zuhörer in allem auf Gott hin.
V.36: „Auch nicht bei deinem Haupte, weil du nicht imstande bist, auch nur ein Haar weiß oder schwarz zu machen.“
Auch hier hat er wieder nicht den Menschen zum Gegenstand der Bewunderung gemacht, da er hinzufügte, man solle auch nicht bei seinem Haupte schwören; sonst wäre am Ende ja auch noch der Mensch angebetet worden. Vielmehr weist er die Ehre Gott zu, und zeigt dir, dass du nicht einmal Herr über dich selbst bist, also auch nicht Herr über die bei deinem Haupte geschworenen Eide. Wenn schon niemand sein eigenes Kind einem anderen geben möchte, so wird um so eher Gott sein eigenes Werk nicht in deine Gewalt geben. Wenn es auch dein Haupt ist, es gehört doch einem anderen. Ja, du bist so wenig dessen Herr, dass du auch nicht das geringste daran ändern kannst. Er sagte nämlich nicht: Du kannst kein Haar ausreißen, sondern: Du kannst dessen Beschaffenheit nicht ändern. Wie aber, fragst du, wenn jemand einen Eid von mir verlangt, und mich dazu nötigt? Dann soll eben die Furcht Gottes stärker sein als der Zwang. Willst du nämlich solche Vorwände geltend machen, so wirst du überhaupt kein Gebot beachten. Da wirst du auch von deiner Frau sagen: Wie aber, wenn sie streitsüchtig und verschwenderisch ist? Und von deinem rechten Auge: Wie, wenn ich es gern habe, und dafür brennen muss? Und von dem unkeuschen Blick: Wie, wenn ich S. 315es nicht über mich bringe, jemand nicht anzusehen? Von dem Hass gegen deinen Nächsten: Wie, wenn ich vorschnell bin und meine Zunge nicht beherrschen kann? Mit einem Wort, du würdest dich auf diese Weise über alle Gebote hinwegsetzen. Freilich bei menschlichen Gesetzen wagst du es nicht, derlei Ausflüchte vorzubringen und zu sagen: Wie aber, wenn das und das der Fall ist? Da tust du, was dir vorgeschrieben ist, ob es dir gefällt oder nicht. Indes dürftest du wohl ohnehin niemals zum Schwören gezwungen werden. Wer nämlich die obigen Seligpreisungen gehört hat, und sich dann so im Leben verhält wie Christus es befohlen, der wird niemals von irgend jemand zu solch einem Schwur genötigt werden, da er eben von allen geachtet und geehrt wird.
V.37: „Ihr sollt aber Ja. Ja sein lassen, und Nein, Nein; was darüber hinausgeht, ist vom Bösen.“
Was ist denn das, was über das Ja und Nein hinausgeht? Das ist der Eid, aber nicht etwa der Meineid. Dies letztere geben ja alle zu, und man braucht keinem erst zu sagen, dass der Meineid vom Bösen ist, und dass er nicht bloß überflüssig, sondern unerlaubt ist. Das Überflüssige, das, was zuviel ist und über das rechte Maß hinausgeht, das ist der Eid. Wieso aber, fragst du, ist der Eid vom Bösen? und wenn er vom Bösen war, wie konnte man ihn gesetzlich vorschreiben? Dasselbe kannst du auch von deiner Frau sagen. Wie kann man jetzt als Ehebruch ansehen, was früher erlaubt war?
Was kann man also darauf erwidern? Dass eben die Vorschriften des Alten Testamentes der Schwäche derer Rechnung trugen, für die sie bestimmt waren. So ist es ja auch an sich Gottes ganz unwürdig, ihm mit dem Fett von Opfertieren zu verehren, so wenig wie unverständiges Geschwätz sich für Philosophen ziemt. Deshalb wird also jetzt eine derartige Handlung als Ehebruch, und das Schwören als böse betrachtet, weil der Herr uns eben jetzt zu höherer Tugend angeleitet hat. Hätten aber jene früheren Gesetze den Teufel zum Urheber gehabt, so hätten sie nicht soviel Gutes gewirkt. Und S. 316wenn sie nicht zuerst vorausgegangen wären, so hätten die jetzigen nicht so leicht Aufnahme gefunden. Beurteile darum ihren Wert nicht nach der Gegenwart, in der sie ihre Brauchbarkeit verloren, sondern nach der damaligen Zeit, da sie durch die Umstände bedingt waren; oder vielmehr, wenn du willst, auch nach der Gegenwart. Denn auch jetzt noch erweist sich ihr Wert am meisten gerade in dem, wogegen wir Einwendungen erheben. Dass sie uns jetzt weniger gut vorkommen, ist gerade ihr höchstes Lob. Denn, hätten sie uns nicht die richtige Nahrung geboten, und uns dadurch zum Streben nach Höherem befähigt, so würden sie uns jetzt nicht als das erscheinen, was sie sind. Wenn die Mutterbrust ihre Aufgabe ganz erfüllt hat, und dem Kinde festere Nahrung gereicht werden kann, so gilt sie fortan als überflüssig. Ja die Eltern, die sie früher als Bedürfnis für das Kind ansahen, suchen sie ihm jetzt durch allerhand neckische Reden als unnütz darzustellen; und viele Mütter begnügen sich nicht bloß mit Worten, sondern bestreichen ihre Brust auch mit bitteren Salben, damit, wenn schon bloße Worte das unangebrachte Verlangen des Kindes nicht beseitigen, die Sache selbst ihm den Appetit verderbe.
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Jes 66,1; Ps 47,3 u.109,2 ↩