3.
Siehst du, wie der Evangelist den Zuhörer in Spannung versetzte, indem er durch Ausdrücke, die uns vertraut sind, alle mit überirdischen Hoffnungen erfüllte? Die beiden Namen waren ja den Juden sehr wohl bekannt. Da nämlich die Dinge, die da geschehen wollten gar wunderbar waren, so deutete er sie schon im voraus durch vorbildliche Namen an; damit von Anfang an jede Gelegenheit benommen wäre, wegen angeblicher Neuerung Unruhe zu verursachen. Jesus hieß nämlich auch jener, S. 35der nach Moses Tod das Volk in das Land der Verheißung einführte. Siehst du also da das Vorbild? dann blicke auch auf das Urbild. Jener führte das auserwählte Volk ins Land der Verheißung, dieser in den Himmel und zu den himmlischen Gütern; jener, nachdem Moses gestorben war, dieser, nachdem das Gesetz seine Geltung verloren; jener als Volksführer, dieser als König. Damit du aber nicht wegen des gleichlautenden Namens Jesus in Irrtum geführt werdest, fügte er hinzu: „Jesu Christi, des Sohnes Davids.“ Jener aber war nicht aus dem Geschlechte Davids, sondern aus einem anderen Stamme. Warum nennt er aber dann sein Evangelium das Buch der Geburt Jesu Christi? Es enthält ja doch nicht bloß seine Geburt, sondern sein ganzes Leben und Wirken. Eben deshalb, weil die Geburt der Anfang jenes Werkes war, der Ursprung und die Quelle aller Gnaden, die er uns brachte. Wie Moses1 das Buch des Himmels und der Erde nannte, wiewohl es nicht allein von Himmel und Erde handelt, sondern auch von allem, was zwischen beiden liegt, so gab auch der Evangelist seinem Buche den Namen nach dem, womit das Wirken2 seinen Anfang nahm. Denn das, was am meisten überrascht, was alle Hoffnung übersteigt und alle Erwartung übertrifft, ist die Tatsache, dass Gott Mensch geworden ist; alles andere, was darnach kommt, ist nur eine natürliche Folge dieses Ereignisses.
Warum sagte aber der Evangelist nicht: des Sohnes Abrahams, und dann erst: des Sohnes Davids? Nicht deshalb, wie einige glauben, weil er von vorn nach rückwärts gehen wollte; damit hätte er nur getan, was Lukas tat; tatsächlich macht er es gerade umgekehrt. Warum also hat er den David erwähnt? Weil dieser Mann in aller Munde lebte, sowohl wegen seiner Berühmtheit, als auch wegen des geringeren zeitlichen Abstandes; denn es war noch nicht so lange her, dass er gestorben, wie bei Abraham. Wenn aber3 Gott beiden die Verheißung gegeben hat, so ward doch jene wegen ihres Alters übergangen; diese hingegen, die verhältnismäßig erst vor kurzer Zeit ergangen, war allen wohlbekannt. Die Juden also sagen: „Kommt nicht Christus aus dem S. 36Geschlechte Davids und aus Bethlehem, dem Orte, in dem David lebte?“4 . Und niemand nannte ihn Sohn Abrahams, sondern alle Sohn Davids; denn, wie ich eben gesagt, sowohl wegen der kurzen Zeit, als auch, weil er König gewesen war, stand er eher in allgemeiner Erinnerung. So haben sie denn auch seine Nachfolger, die sie als Könige ehrten, alle nach ihm benannt, und zwar haben das sowohl sie getan wie auch Gott selbst. Denn auch Ezechiel und die übrigen Propheten verkündeten ihnen, David werde kommen und wieder erstehen; dabei meinten sie nicht den, der gestorben war, sondern alle die, die ihm an Tugend gleichzukommen trachteten. Zu Ezechias5 sprach Gott: „Ich werde diese Stadt beschützen um meinet und um Davids, meines Knechtes willen“6 . Zu Salomon sagte er, er wolle Davids wegen das Königreich zu seinen Lebzeiten nicht auseinanderreißen. So groß war das Ansehen dieses Mannes bei Gott und den Menschen.
Darum also beginnt der Evangelist gleich mit dem, der am, meisten bekannt war, und kommt dann auf den7 Stammvater zurück. Da er es nämlich mit Juden zu tun hatte, so hielt er es für überflüssig, noch höher hinaufzugehen. Diese beiden waren ja die berühmtesten; der eine als Prophet und König, der andere als Patriarch und Prophet.
Wie kann man aber beweisen, dass Christus aus dem Geschlechte Davids stammt? Wenn er nicht von einem Manne gezeugt ward, sondern vom Weibe geboren, und die Stammtafel der Jungfrau nicht angegeben wird, wie können wir da wissen, dass er wirklich ein Sprosse Davids war? Es handelt sich hier um eine doppelte Frage: Warum wird die Ahnenreihe der Mutter8 nicht aufgezählt, und warum wird Joseph von den Evangelisten erwähnt, der doch zur Zeugung gar nicht mitwirkte? Dieses erscheint überflüssig, jenes notwendig. Worauf soll ich da zuerst antworten? Auf die Frage, wie die Jungfrau von David abstamme. Wie S. 37sollen wir also wissen, dass sie wirklich von David stammt? Höre, was Gott zu Gabriel sprach: Gehe hin „zur Jungfrau, die einem Manne verlobt ist, der Joseph heißt, aus dem Hause und der Familie Davids“9 . Was willst du also noch einen klareren Beweis, als wenn du hörst, dass die Jungfrau aus dem Hause und der Familie Davids stammte?