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Hast du noch nicht gesehen, wie auch die leiblichen Augen, wenn sie in Rauch kommen, unwiderstehlich zu tränen beginnen? wie sie dagegen schärfer und S. 40gesünder werden, wenn wir in reiner Luft, auf Wiesen, an Quellen, in paradiesischer Landschaft uns aufhalten? So geht es auch mit dem Auge der Seele. Wenn dieses auf den Fluren geistiger Betrachtung sich ergötzen kann, so ist es rein, hell und scharf; gerät es dagegen in den Rauch weltlicher Geschäfte, dann wird es tausendfache Tränen vergießen und weinen in diesem und im anderen Leben. Denn die weltlichen Händel sind wie Rauch. Darum hat auch jemand gesagt: „Meine Tage sind wie Rauch dahin geschwunden“1 . Jener dachte aber dabei nur an die Kürze und Unbeständigkeit der Zeit; ich möchte indes diese Worte nicht nur darauf beziehen, sondern auch auf die Wirrsale dieses Lebens. Denn nichts trübt und schmerzt das Auge der Seele so sehr, als die Menge weltlicher Sorgen und die Schar unserer Begierden; denn die sind das Holz, das diesen Rauch erzeugt. Und wie das Feuer, das feuchtes, morsches Holz erfasst, viel Rauch entwickelt, so erzeugt auch die starke, feurige Begierde nur gewaltigen Rauch, wo sie eine modrige, morsche Seele ergreift.
Deshalb haben wir den Tau des Heiligen Geistes vonnöten, und seinen sanften Hauch, damit er das Feuer lösche und den Rauch verscheuche und unserem Geiste Flügel verleihe. Denn es ist vollkommen unmöglich, mit dem Gewichte so vieler Leidenschaften belastet, den Flug zum Himmel zu nehmen; vielmehr müssen wir wünschen, wohlvorbereitet diese Reise beginnen zu können; aber selbst dann vermögen wir sie nicht zu machen, es sei denn auf den Schwingen des Heiligen Geistes. Wenn wir also ein freies Gemüt und die Gnade des Geistes brauchen, um uns zu jener Höhe empor zu schwingen, wie werden wir sie da erreichen können, wenn wir nicht bloß nichts von all dem haben, sondern uns sogar mit dem Gegenteil, mit dem Gewicht der Hölle belastet, und durch dessen Schwere uns in die Tiefe ziehen lassen?
Wenn einer all unsere Reden gleichsam auf eine Wage legen wollte, er fände unter zehntausend Talenten S. 41weltlicher Reden kaum hundert Denare geistlicher Gespräche; Ja nicht einmal zehn Obolen. Ist es also nicht eine Schande und ein bitterer Hohn, dass wir wohl einen Knecht meist nur zu notwendigen Arbeiten verwenden, unseren Mund aber, unser eigenes Glied nicht einmal wie einen Knecht gebrauchen, sondern im Gegenteil nur zu nutzlosen, überflüssigen Dingen verwenden? Und wären sie doch nur überflüssig! In der Tat sind es aber nachteilige und schädliche Dinge, die uns keinerlei Nutzen bringen. Denn wenn uns unsere Reden Nutzen brächten, wären sie ohne Zweifel auch Gott wohlgefällig.
In Wahrheit reden wir aber, was immer uns der Teufel ins Ohr flüstert; jetzt lachen wir, dann ergehen wir uns in höfliche Redensarten; das einmal stoßen wir Verwünschungen und Schimpfworte aus, fluchen, lügen und werden meineidig; ein andermal grollen wir oder reden unnützes Zeug, plappern ärger als alte Weiber, und kümmern uns um lauter Dinge, die uns ganz und gar nichts angehen. Sagt mir, wer von euch, die ihr hier steht, vermöchte auch nur einen einzigen Psalm herzusagen, wenn man ihn darum bäte, oder sonst einen Abschnitt aus der Hl. Schrift? Kein einziger! Und nicht bloß das ist das Schlimme, sondern noch mehr der Umstand, dass ihr für geistliche Dinge so träge seid, für die des Teufels aber heftiger entbrennt als Feuer. Wollte euch jemand die Lieder des Teufels abhören, unzüchtige, ausgelassene Gesänge, wahrlich, er fände viele, die sie vorzüglich kennen, und sie mit dem größten Vergnügen hersängen.
Und was bringt man da gewöhnlich für Entschuldigungen vor gegen solche Vorwürfe? Ach, heißt es, ich bin ja kein Mönch, sondern habe Frau und Kinder und muss für mein Hauswesen sorgen. Ja, das hat alles Unheil verschuldet, dass ihr glaubet, nur Mönche brauchten die Hl. Schrift zu lesen, während gerade ihr es viel nötiger hättet als sie. Diejenigen, die mitten im Kampfe S. 42stehen und jeden Tag neue Wunden empfangen, die haben die Heilmittel am nötigsten. Es ist also viel schlimmer, die Lesung der Hl. Schrift für überflüssig zu halten, als sie nur faktisch nicht zu lesen; solche Gedanken sind Einflüsterungen des Teufels.
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Ps 101,4 ↩