1.
V.24: "Niemand kann zwei Herren dienen; denn er wird entweder den einen hassen und den andern lieben; oder zu dem einen halten und den anderen verachten."
Siehst du, wie ganz allmählich der Herr die Zuhörer von den irdischen Dingen abzieht, indem er zu wiederholten Malen auf die Verachtung des Besitzes zu sprechen kommt, und so die Tyrannei der Habsucht bricht? Noch genügt ihm das Vorausgehende nicht, obwohl er viele und wichtige Dinge vorgebracht hatte; er fügt noch andere und viel ernstere Dinge hinzu. Oder was gäbe es wohl Schrecklicheres als das eben Gesagte, wenn wir des Geldes wegen vom Dienste Christi ausgeschlossen würden? Und was wäre wohl erstrebenswerter, als wenn wir das Geld verachteten und dafür vollkommene Zuneigung und Liebe zu ihm besäßen? Ja, was ich immer sage, das wiederhole ich auch jetzt: Durch zweierlei treibt der Herr seine Zuhörer zum Gehorsam gegen seine Worte an, durch Nutzen und durch Schaden, gerade wie ein geschickter Arzt dem Patienten darlegt, wie er durch Ungehorsam krank, durch Gehorsam aber gesund wird. Merk also auf, wie er ihnen auch hier wieder den Nutzen vor Augen stellt und den Vorteil zurechtlegt, den sie erlangen, wenn sie sich vom Gegenteil freimachen. Nicht bloß dadurch, will er sagen, schadet euch der Reichtum, dass er Räuber gegen euch bewaffnet und euren Geist vollständig umnachtet, sondern auch dadurch, dass er euch dem Dienst Gottes entzieht, euch zu Gefangenen unvernünftiger Dinge macht und euch zweifachen Nachteil bringt: Er macht euch zu Sklaven von Dingen, über die ihr herrschen solltet, und er versetzt euch in die Unmöglichkeit, Gott zu dienen, S. 382 dem ihr doch vor allen anderen Dingen dienen müsstet. Im Vorausgehenden hat also der Herr seine Zuhörer auf einen doppelten Nachteil aufmerksam gemacht, dass sie nämlich ihre Schätze da niederlegen, wo sie die Motten verzehren, und dass sie dieselben dort nicht hinterlegen, wo sie in sicherem Gewahrsam wären. Ebenso zeigt er ihnen auch hier einen zweifachen Schaden, indem sie nicht bloß von Gott abgezogen, sondern auch noch dem Mammon unterjocht werden. Jedoch sagt er dies nicht gleich anfangs, vielmehr bereitet er sie zuerst durch allgemeine Erwägungen darauf vor und meint: "Niemand kann zwei Herren dienen." Unter den zweien versteht er hier solche, von denen der eine das Gegenteil von anderen befiehlt. Denn wäre dies nicht der Fall, so wären es auch nicht zwei. So war ja auch "die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele"1 ; denn obwohl es viele Personen waren, die Eintracht hat doch aus den vielen nur eine gemacht. Sodann verschärft der Herr die Sache noch und sagt: Er wird2 nicht nur nicht dienen, sondern wird ihn sogar hassen und sich von ihm abwenden. "Denn er wird entweder den einen hassen und den anderen lieben; oder sich dem einen anschließen und den anderen verachten."
Die zweite Hälfte des Satzes scheint dasselbe zu besagen wie die erste. Doch hat er beides nicht umsonst so zusammengestellt. Er wollte dadurch zeigen, dass die Bekehrung zum Besseren ganz leicht sei. Damit du nämlich nicht sagest: Ich bin einfür allemal zum Sklaven geworden, ich bin von der Geldgier beherrscht, so zeigt er, dass eine Umkehr möglich ist, und dass man, wie vom ersten zum zweiten, so auch vom zweiten zum ersten kommen könne. Darum bringt er also die Sache zuerst in allgemeiner Form vor, um den Zuhörer zu bewegen seine Worte ohne Voreingenommenheit zu beurteilen und die Sache nur in sich selbst zu bewerten. Nachdem er sodann dessen zustimmendes Urteil erlangt, da erst offenbart er auch sich selbst. Er fuhr also fort: "Ihr könnt nicht Gott dienen und zugleich dem S. 383 Mammon." Wir dürfen da wohl erschaudern bei dem Gedanken, zu welcher Äußerung wir Christus veranlasst haben: Gott mit dem Golde zusammenzustellen! Wenn aber schon das uns schaudern macht, so ist es noch viel schrecklicher, wenn dies in Wirklichkeit geschieht, wenn man die Tyrannei des Goldes höher schätzt als die Furcht Gottes.
Wie aber? War im Alten Bunde so etwas nicht möglich? Ganz und gar nicht. Weshalb waren aber Abraham und Job so angesehen? Du sollst mir nicht Reiche nennen, sondern Sklaven des Reichtums. Allerdings war auch Job reich; aber er diente dem Mammon nicht, vielmehr besaß und beherrschte er ihn, war dessen Herr, nicht sein Diener. Er hat alle seine Reichtümer so besessen, wie wenn er nur der Verwalter fremden Eigentums wäre, hat nicht nur den anderen das Ihrige nicht genommen, sondern auch von seinem Eigentum den Dürftigen ausgeteilt. Noch mehr! Er hatte nicht einmal Freude an dem, was er besaß. Das hat er uns selbst geoffenbart in den Worten: "Wenn ich je Freude empfand über den Reichtum, den ich erhalten"3 . Deshalb schmerzte es ihn aber auch nicht, als er ihn verlor. Jetzt sind aber die Reichen nicht mehr so. Ihnen geht es schlimmer als dem ärmsten Sklaven; sie müssen einem bösen Tyrannen Tribut bezahlen. Die Liebe zum Geld nimmt den Verstand ein wie eine Festung, sendet von da aus täglich ihre Befehle aus, die jeglicher Ungerechtigkeit voll sind, und keiner ist, der ihr den Gehorsam versagte. Grüble also nicht über nutzlose Ausflüchte nach, Gott hat einmal sein Urteil gefällt und gesagt, es sei nicht möglich, zugleich dem einen und dem anderen zu dienen. Behaupte also nicht du, es sei möglich. Wenn der eine dich rauben heißt, der andere das deine herzugeben befiehlt, der eine dich zur Keuschheit antreibt, der andere zur Unzucht, der eine zu Fraß und Völlerei, der andere zur Abtötung, der eine zur Verachtung alles Irdischen, der andere zur Anhänglichkeit an den Besitz, der eine dich Marmor, schöne Wände und Decken bewundern heißt, der S. 384 andere dasselbe missachten und dafür die Tugend hochhalten, wie ist es da möglich, beiden zu gehorchen?