1.
V.28: „Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht und spinnen nicht.
V.29: Ich aber sage euch: Nicht einmal Salomon in all seiner Herrlichkeit war so gekleidet wie eine einzige von ihnen.“
Nachdem der Herr von der notwendigen Nahrung gesprochen und gezeigt hatte, dass wir nicht einmal ihretwegen uns ängstlich sorgen sollen, so geht er jetzt zu etwas Leichterem über. Die Kleidung ist ja nicht so notwendig wie die Nahrung. Warum gebraucht er nun aber nicht auch hier denselben Vergleich mit den Vögeln und weist nicht hin auf den Pfau und den Schwan und das Schaf? Er hätte ja viele solche Beispiele aus der Tierwelt entnehmen können. Weil Christus die Größe seines Gebotes an beiden erläutern wollte, an dem geringen Wert der Geschöpfe, denen solche Pracht zu eigen geworden, sowie an der Schönheit des Schmuckes, mit dem die Lilien ausgestattet sind. Deshalb nennt er sie auch, weil er selbst sie geschaffen, nicht mehr Lilien, sondern
V.30: „Heu vom Felde.“
Und selbst diese Bezeichnung genügt ihm noch nicht, sondern er fügt einen anderen geringschätzigen Ausdruck hinzu, indem er sagt: „das heute ist“. Und dann fährt er nicht fort: und das morgen nicht mehr sein wird, sondern, was weit geringschätziger klingt: „das in den Ofen geworfen wird“. Auch sagte er nicht: er bekleidet, sondern: „so bekleidet er“. Siehst du, wie er überall oft vom Niederen zum Höheren fortschreitet? Das tut er aber, um auf sie um so größeren Eindruck zu machen; darum fügt er auch hinzu: „Also nicht um so S. d292 mehr euch?“ Auch das hat wieder eine große Bedeutung. Mit dem „euch“ wollte er nämlich nichts anderes bezeichnen als das Wertvolle, Erhabene unseres Geschlechts, gerade als hätte er gesagt: Euch, denen Gott eine Seele gegeben, denen er einen Leib gebildet, um derentwillen er alle sichtbaren Dinge erschaffen, für die er die Propheten gesandt und das Gesetz gegeben, denen er tausendfache Wohltaten erwiesen hat, für die er seinen eingeborenen Sohn dahingab? Nachdem er ihnen also das klar gemacht hat, so tadelt er sie auch und nennt sie „Kleingläubige“. So ist eben ein guter Ratgeber: Er lobt nicht bloß, sondern tadelt auch, um sie desto eher zur gehorsamen Annahme seiner Worte zu bewegen. Auf diese Weise gibt er uns die Lehre, und nicht bloß nicht ängstlich zu sorgen, sondern überhaupt kein Verlangen zu tragen nach kostbaren Kleidern.
Denn der Schmuck der Pflanzen und die Schönheit der Blumen, ja selbst Heu sind kostbarer als ein solches Kleid. Warum bist du also stolz auf eine Sache, die schon von einfachen Pflanzen weit übertroffen wird? Beachte auch, wie der Herr vom Anfang an sein Gebot als leicht hinstellt, indem er sie auch hier wieder von dem zu bewahren sucht, was ihnen nachteilig ist, und wovor sie sich fürchteten. Zu den Worten: „Betrachtet die Lilien des Feldes“, fügt er hinzu: „Sie arbeiten nicht.“ Das beweist, dass er uns dies befiehlt, um uns von Mühsalen zu befreien. Also nicht das ist schwer, sich keine Sorgen machen, sondern nur das, sich welche machen. Und wie er mit den Worten: „sie säen nicht“ nicht das Aussäen verbieten wollte, sondern die übermäßige Sorge, so hat er auch mit den Worten: „sie arbeiten nicht und spinnen nicht“ nicht die Arbeit untersagt, sondern die ängstliche Sorge. Also Salomon ward von der Schönheit der Lilien übertroffen, und zwar nicht bloß ein oder zweimal, sondern solange er König war. Man kann ja doch auch nicht sagen, er sei einmal so, ein andermal anders gekleidet gewesen, vielmehr gab es nie in seinem Leben einen Tag, an dem er solche Schönheit erreicht hätte. Das ergibt sich klar aus den Worten: „während der ganzen Zeit seiner Regierung“. S. d293 Auch ist es nicht so, dass er nur von dieser einen Blume übertroffen worden wäre, während er etwa einer anderen an Schönheit gleichkam, vielmehr stand er allen zusammen nach. Darum sagt auch Christus: „wie eine einzige von ihnen“.So groß nämlich der Unterschied ist zwischen Wahrheit und Lüge, so groß ist der zwischen jenen Kleidern und diesen Blumen. Wenn also Salomon sich für besiegt erklärte, der doch der glänzendste aller Könige war, die jemals lebten, wie wirst dann du solcher Blumen Schönheit übertreffen können, oder besser gesagt, dich auch nur entfernt mit ihr vergleichen dürfen? Dadurch gibt uns der Herr die Lehre, solch1 Schönheit überhaupt nicht nachzustreben.
Erwäge nun auch das Ende. Trotzdem sie alle übertrifft, wird sie ins Feuer geworfen. Wenn nun aber Gott schon für geringfügige Dinge, die nicht der Rede wert sind, und kaum einen Nutzen haben, solche Fürsorge zeigt, wie wird er dich vergessen, das kostbarste aller Geschöpfe? Warum hat also Gott sie so schön gemacht? Um seine Weisheit und die Überfülle seiner Macht zu zeigen, und damit wir auf jede Weise lernen, ihm die Ehre zu geben. Denn nicht bloß „die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes“2 , nein, auch die Erde. Das zeigt uns David mit den Worten: „Lobet den Herrn, ihr fruchtbringenden Bäume und ihr Zedern all“3 . Manche Bäume loben ihren Schöpfer ob ihrer Frucht, andere ob ihrer Schönheit, andere ob ihrer Größe. Auch das beweist ja die unendliche Weisheit Gottes, dass er über so geringe Dinge solche Pracht ausgießt. Oder was gibt es Geringeres als eine Pflanze, die heute ist und morgen nicht mehr? Wenn er also bloßem Gras das gegeben, wessen es nicht bedurfte, denn was nützt ihm seine Schönheit, wenn es nachher ins Feuer geworfen wird? Wie wird er dir das Nötige vorenthalten? Wenn er das Allergeringste so überaus schön gemacht, S. d294 und zwar nicht aus Nützlichkeitsgründen, sondern nur, damit es bewundert werde, so wird er um so mehr dich das edelste aller Geschöpfe, in dem auszeichnen, dessen du notwendig bedarfst.