1.
V.28: "Und es geschah, als Jesus diese seine Reden beendet hatte, da ward die Menge über seine Lehre erstaunt."
Es wäre richtiger gewesen, wenn sie über den Ernst der Rede betrübt gewesen wären, und vor Schrecken gleichsam erstarrt ob der Erhabenheit seiner Vorschriften. Dafür war aber auch der Eindruck des Lehrmeisters so gewaltig, dass er viele von seinen Zuhörern gewann, sie zur größten Bewunderung anregte und durch seine herrlichen Worte sie dazu brachte, dass sie auch am Schlusse seiner Rede nicht von ihm fortgingen. So verließen ihn seine Zuhörer auch dann nicht, als er vom Berge herabstieg, sondern die ganze Schar folgte ihm; so groß war die Liebe, die er ihnen für seine Lehre eingeflößt hatte. Am meisten aber bewunderten sie seine Macht. Denn was er sagte, bezog er nicht, wie die Propheten und wie Moses getan, auf einen anderen, sondern ließ überall erkennen, dass er selbst derjenige sei, der diese Macht besitzt. Wenn er eine Vorschrift gab, so setzte er immer voraus: "Ich aber sage euch." Und wo er an jenen Tag1 erinnerte, gibt er sich selbst als den Richter zu erkennen, der über die Strafe wie über die Belohnung entscheidet. Und doch hätten seine Zuhörer eigentlich auch darüber erschrecken müssen. Wenn die Schriftgelehrten ihn steinigen wollten und ihn verjagten, als sie sahen, wie er durch Taten seine Macht bezeugte, wie hätten da seine Zuhörer nicht Ärgernis nehmen sollen, wo er dieselbe nur durch Worte kundtat, zumal da er solches gleich im Anfang sagte, noch bevor er einen tatsächlichen Beweis seiner Macht erbracht hatte? Gleichwohl taten sie nichts von all dem. Wenn eben die Seele und der Geist S. d349 rechtschaffen gesinnt sind, so lassen sie sich durch die Worte der Wahrheit leicht überzeugen. Deshalb nahmen jene Ärgernis, obwohl die Wunderzeichen seine Macht erwiesen; diese glaubten und folgten ihm, wenn sie gleich nur seine Worte hörten.
Darauf hat auch der Evangelist hingedeutet, wenn er sagte: "Es folgte ihm eine große Menge Volkes"; freilich keiner von den Oberpriestern, keiner von den Schriftgelehrten, sondern nur jene, die von Sündhaftigkeit frei waren, und eine unbestechliche Gesinnung hegten. Solche Leute sieht man aber durch das ganze Evangelium hindurch dem Herrn zugetan. Wenn er redete, hörten sie schweigend zu; sie machten keine Einwände, sie unterbrachen seine Rede nicht, sie stellten ihn nicht auf die Probe und suchten keine Handhabe gegen ihn zu finden wie die Pharisäer; und auch nach seiner Predigt folgten sie ihm wieder voll Bewunderung. Du aber beachte die Weisheit des Herrn, wie er auf so viele Weise auf den Nutzen seiner Zuhörer bedacht ist, und bald von den Wundertaten zur Predigt übergeht, bald auf die mündliche Belehrung Wundertaten folgen lässt. So z.B. hat er viele geheilt, bevor er auf den Berg hinaufstieg, und hat sie dadurch auf seine Predigt vorbereitet; und nachdem er die große Predigt beendigt hatte, schickte er sich wieder an, Wunder zu wirken, und bekräftigte so seine Worte durch die Tat. Da er eben lehrte, wie einer, der Macht besitzt, so wollte er dem Verdachte entgehen, als lehre er nur so aus Stolz und Prahlerei. Deshalb hat er die Worte auch durch seine Taten bestätigt und hat geheilt wie einer, der Macht hat. Sie sollten eben in Zukunft nicht mehr verwirrt werden, wenn sie ihn in dieser Weise lehren sähen, da ja auch seine Wunderzeichen der gleichen Macht entsprachen.
Kap. VIII. V.1: "Da er nämlich vom Berge herabstieg, kam ein Aussätziger auf ihn zu und sagt: Herr, wenn Du willst, kannst Du mich rein machen."
Groß war die Einsicht und der Glaube dieses Aussätzigen. Er hat die Predigt nicht unterbrochen, hat S. d350 das Schauspiel nicht gestört; er wartete auf den rechten Augenblick und näherte sich dem Herrn, als dieser vom Berg herunterstieg. Auch bringt er seine Bitte nicht so einfachhin vor, sondern fleht mit vieler Inbrunst, und wie ein anderer Evangelist2 sagt, zu seinen Füßen hingeworfen, mit aufrichtigem Glauben und geziemender Ehrfurcht. So sagte er nicht zum Herrn: Wenn Du Gott bittest, noch auch: Wenn du willst, sondern: "Wenn du willst, kannst du mich rein machen." Auch sagte er nicht: Herr, mach mich rein, sondern stellt alles ihm anheim, überlässt ihm die Entscheidung über sein Anliegen, schreibt alle Macht ihm zu. Wie aber dann, fragst du, wenn die Meinung des Aussätzigen irrig gewesen wäre? Dann hätte man sie ihm nehmen und ihn aufklären und belehren müssen. Hat nun der Herr dies getan? Durchaus nicht; vielmehr das gerade Gegenteil. Er bestätigte und bekräftigte seine Worte. Deshalb sagte er auch nicht: Sei rein, sondern:
V.3: "Ich will, sei rein", damit so nicht mehr die Meinung des Aussätzigen, sondern der Ausspruch des Herrn für die Glaubenswahrheit bürge. Die Apostel hingegen machten es nicht so. Vielmehr wie? Als bei ihnen das ganze Volk in Verwunderung geraten war, sagten sie: "Was schaut ihr uns an, als hätten wir aus eigener Kraft und Macht bewirkt, dass dieser da geht?"3 Der Herr dagegen, der doch oftmals aus Demut Dinge von sich gesagt hatte, die seiner göttlichen Würde nicht entsprachen, wollte hier den Glauben derer bestätigen, die ihn ob seiner Macht bewunderten. Und wie sagt er deshalb? "Ich will, sei rein." Obgleich er sonst so viele und große Wunder gewirkt hatte, nirgends findet man, dass er dieses Wort gebraucht hätte.