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Werke Johannes Chrysostomus (344-407) In Matthaeum homiliae I-XC Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus (BKV)
Fünfundzwanzigste Homilie Kap. VII, V.28 - Kap VIII, V.4

4.

Das wollen also auch wir erwägen, und wollen auch unsererseits all unsere Pflichten gegen den Nächsten erfüllen und Gott für alles Dank sagen. Es wäre ja unvernünftig, wenn wir jeden Tag Gottes Wohltaten zwar genössen, aber unserem Danke nicht durch ein Wort Ausdruck verleihen wollten, obwohl diese Dankesbezeigung uns auch ihrerseits wieder Nutzen bringt. Es ist ja nicht Gott, der irgend etwas von dem bedürfte, was wir besitzen, vielmehr haben wir alles das notwendig, was sein Eigen ist. Unsere Danksagung bringt ja ihm gar keinen Nutzen, während sie uns vertrauter mit ihm macht. Wenn wir uns an die Wohltaten erinnern, die Menschen uns erwiesen, so wird dadurch unsere Liebe noch größer. Um so mehr noch wird uns das beständige Andenken an die Wohltaten, die Gott uns erwiesen, zu noch größerem Eifer in der Beobachtung seiner Gebote anregen. Deshalb hat auch Paulus gesagt: „Seid dankbar!“1 . Der beste Mahner zur Dankbarkeit ist eben das Andenken an die empfangene Wohltat und die immerwährende Danksagung. Deshalb werden ja auch die heiligen, Schauer erregenden Geheimnisse, die uns so reichliches Heil bringen, und die wir in jedem Gottesdienst vollziehen, Eucharistie genannt. Sie sind eben eine Erinnerung an gar viele Wohltaten, weisen uns auf den Hauptpunkt der göttlichen Fürsorge hin, und regen uns in jeder Beziehung zur Dankbarkeit an. Wenn schon die Geburt aus der Jungfrau ein so großes Wunder war, dass der Evangelist voll heiligen Staunens sagte: „Das alles ist geschehen“2 , was sollen wir dann erst von seinem Opfertode denken? Wenn der Evangelist S. d356 für die Geburt die Worte gebraucht: „das alles“, was soll man dann darüber sagen, dass der Herr gekreuzigt wurde, sein Blut vergoss, und sich selbst uns zur Speise gegeben und zum geistigen Mahle? Danken wir also unaufhörlich dem Herrn! Danksagung soll all unserem Reden und Handeln vorausgehen! Danken wir aber nicht bloß für die Wohltaten, die wir selbst empfangen, sondern auch für die, welche anderen zuteil geworden! Auf diese Weise wird es uns möglich sein, nicht bloß den Neid zu unterdrücken, sondern auch die Liebe zu kräftigen und zu veredeln. Da wirst du keinen Neid mehr gegen diejenigen empfinden können, für die du dem Herrn Dank sagst. Deshalb fordert uns auch der Priester in Gegenwart jenes Opferlammes auf, Dank zu sagen für die ganze Welt, für die Vergangenheit, für die Gegenwart, für das, was früher geschehen, und das, was erst später über uns kommen soll. Das schält uns von der Erde los, weist uns auf den Himmel hin und macht uns aus Menschen zu Engeln. Denn auch die Engelchöre danken Gott für die Wohltaten, die er uns Menschen erwiesen, und singen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede sei auf Erde, Eintracht unter den Menschen!"3 . Allein, was haben wir mit den Engeln zu tun, die nicht auf Erden leben und nicht einmal Menschen sind? Gar vieles; denn so wurden wir unterrichtet, unsere Mitgeschöpfe zu lieben und das Gute, das sie besitzen, wie unser eigenes zu betrachten.

Deshalb dankt auch Paulus in allen seinen Briefen für all das Gute, das der Welt widerfuhr. Ebenso sollen auch wir immerdar für unser eigenes Wohl danken, wie auch für das anderer, danken für kleine und auch große Wohltaten. Denn wenn auch die Gabe klein sein sollte, sie wird groß dadurch, dass Gott sie spendet, oder besser gesagt, es ist überhaupt nichts klein, was von Gott kommt, nicht bloß deshalb, weil er es gibt, sondern auch in sich selbst betrachtet. Um alle anderen Wohltaten zu übergehen, deren Zahl ja die Menge des S. d357 Sandes am Meere übertrifft: Was kommt der Fürsorge gleich, die Gott uns zuteil werden ließ? Was ihm unter allen Dingen am kostbarsten war, seinen eingeborenen Sohn, ihn hat er für uns, seine Feinde, hingegeben! Ja, nicht bloß hingegeben hat er ihn, sondern ihn außerdem auch nur für uns zum Mahle bereitet, und hat auch selber alles für uns getan, hat uns nicht bloß das Geschenk selbst gegeben, sondern dazu auch die dankbare Gesinnung dafür. Da einmal der Mensch in den meisten Fällen undankbar ist, so besorgt und bereitet er selbst für uns das, was wir brauchen. Und das gleiche, was er bei den Juden getan, die er durch bestimmte Orte, Zeiten und Feste an die empfangenen Wohltaten erinnerte, dasselbe hat er auch hier getan, und hat uns durch die Natur dieses Opfers zum immerwährenden Andenken an diese Wohltat angeregt. So hat sich also niemand soviel Mühe gegeben, um uns angesehen und groß zu machen und uns mit dankbarer Gesinnung für alles zu erfüllen, als eben Gott, unser Schöpfer. Deshalb erweist er uns oft Wohltaten selbst gegen unseren Willen, und so, dass wir die meisten nicht einmal kennen.

Wenn du dich aber wunderst über meine Worte, so will ich dir an keinem geringeren Beispiel, als an dem des hl. Paulus zeigen, wie dies wirklich so ist. Dieser große Heilige befand sich in vielfachen Gefahren und Trübsalen, und oft bat er, Gott möchte ihn von seinen Heimsuchungen befreien. Gleichwohl hörte Gott nicht auf seine Bitte, sondern hatte nur dessen größeren Nutzen im Auge. Das gab er kund mit den Worten: “Es genügt dir meine Gnade, denn meine Macht zeigt ihren Höhepunkt gerade in der Schwachheit„4 . Also bevor er ihm einen Grund angab, erweist er ihm eine Wohltat, auch ohne dass Paulus es will und weiß. Was verlangt er also Großes von uns, wenn er will, dass wir für eine so große Fürsorglichkeit dankbar seien? Entsprechen wir also seinen Absichten und seien wir dankbar in allem. Auch die Juden hat ja nichts so sehr ins Verderben geführt als die Undankbarkeit, und nichts S. d358 anderes als sie hat die bekannten mannigfachen und häufigen Unglücksfälle über dieselben gebracht. Ja, schon vor jenen Unglücksfällen hat die Undankbarkeit ihre Seelen verdorben und zugrunde gerichtet. “Denn die Hoffnung des Undankbaren ist wie der Reif des Winters„5 . Die Undankbarkeit macht die Seele so starr und tot, wie der Reif den Leib. Doch kommt diese Undankbarkeit nur von unserem Unverstand her, und weil wir glauben, wir hätten irgendeine Wohltat verdient. Wer dagegen ein zerknirschtes Herz hat, wird Gott nicht nur für das Gute Dank wissen, sondern auch für das, was das Gegenteil davon zu sein scheint, und soviel er auch zu leiden hat, er wird nicht glauben, etwas Unverdientes erfahren zu haben. So sollen also auch wir um so mehr Bußgesinnung hegen, je mehr wir in der Tugend Fortschritte machen, denn gerade darin besteht die Tugend. Je schärfer unsere6 Augen sind, um so besser werden wir sehen, wie weit der Himmel von uns entfernt ist, und je mehr wir in der Tugend fortschreiten, um so mehr werden wir erfahren, welch ein Unterschied ist zwischen Gott und uns. Das ist aber kein geringes Maß von Weisheit, wenn wir imstande sind, unseren wirklichen Wert zu erkennen. Denn der kennt sich selbst am besten, der sich selbst für nichts hält.

Deshalb haben auch David und Abraham gerade damals am geringsten von sich gedacht, da sie die höchste Höhe der Tugend erstiegen hatten. Da nannte sich der eine Staub und Asche7 , der andere einen Wurm8 . Gleich ihnen verdemütigten sich aber auch alle anderen Heiligen. Es kennt also gerade der sich selbst am wenigsten, der in ruhmredige Selbstüberhebung verfällt. Auch kommt es gerade von diesem allgemeinen Empfinden, dass wir von eitlen Menschen zu sagen pflegen: Er kennt sich selbst nicht, er weiß nicht, wie es mit ihm steht. Wer aber sich selbst nicht kennt, wen soll der dann überhaupt kennen? Wer sich selbst kennt, kennt alles; wem aber die S. d359 Selbsterkenntnis fehlt, der kann auch andere nicht verstehen. So ging es z.B. jenem, der da sagte: "Über den Himmeln will ich meinen Thron errichten“9 . Da dieser sich selbst nicht kannte, so hatte er auch in allen anderen Dingen keine Einsicht.

Anders war es bei Paulus. Er nannte sich aber auch den Auswurf10 und den Geringsten unter den Heiligen11 ,den Christen , ja er hielt sich selbst nicht für würdig, Apostel genannt zu werden, nachdem er doch schon so Vieles und Großes12 vollbracht hatte13 . Ihn sollen wir also zum Vorbild nehmen, ihn nachzuahmen suchen. Wir werden dies aber auch so tun, wenn wir uns von der Welt und allen irdischen Dingen losschälen. Nichts hindert ja so sehr die Selbsterkenntnis, als die Anhänglichkeit an die irdischen Dinge; und nichts anderes bewirkt diese Anhänglichkeit so schnell und sicher, als wenn man sich selbst nicht mehr kennt. Das eine ist hier die Folge des anderen. Derjenige, der weltlichen Ruhm liebt und die eitlen Dinge für etwas Großes hält, wird nie dazu kommen, sich selbst zu erkennen, und gäbe er sich auch tausendfache Mühe: umgekehrt wird derjenige, der all dies verachtet, mit Leichtigkeit zur Selbsterkenntnis gelangen. Nachdem er aber sich selbst einmal erkannt hat, wird er auch alle anderen noch übrigen Tugenden sich erwerben. Um also diese nützliche Erkenntnis zu erlangen, wollen wir uns von all den vergänglichen Dingen lossagen, die eine solche Leidenschaft in uns entfachen, wollen unsere eigene Armseligkeit erkennen, und uns in Demut und Frömmigkeit bewähren, auf dass wir der zeitlichen und ewigen Güter teilhaft werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem mit dem Vater und dem Heiligen Geiste Ehre, Macht und Ruhm sei jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!


  1. Kol 3,15 ↩

  2. Mt 1,22 ↩

  3. Lk 2,14 ↩

  4. 2 Kor 12,9 ↩

  5. Wh 16,29 ↩

  6. geistigen ↩

  7. Gen 18,27 ↩

  8. Ps 21,7 ↩

  9. Jes 14,13 ↩

  10. 1 Kor 15.8 ↩

  11. Eph 3,8 ↩

  12. für die Kirche ↩

  13. 1 Kor 15,9 ↩

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