2.
Einige sagen, es sei dies wegen der Schlechtigkeit des Esau und der anderen vorhergehenden geschehen. Ich möchte aber diese Ansicht lieber nicht teilen. Denn wenn es so wäre, wie kommt es dann, dass er gleich darauf Frauen erwähnt, die gerade so schlecht wie jene waren? Hier wirft eben gerade die Gegenüberstellung ein besonders glänzendes Licht auf den Herrn; und zwar nicht der Umstand, dass er große Vorfahren hatte, sondern dass er deren unbedeutende und verkommene hatte. Für den Hochstehenden ist es gar ehrenvoll, große Verdemütigungen ertragen zu können. Weshalb hat er also diese Personen nicht genannt? Weil die Sarazenen. die Ismaeliten und Araber, und wer sonst noch von jenen Vorfahren abstammte, nie mit dem Volke Israel in Berührung kamen. Deshalb hat er jene mit Stillschweigen übergangen, um alsbald auf seine und des jüdischen Volkes Vorfahren zu sprechen zu kommen. Deshalb heißt es: „Jakob zeugte den Judas und dessen Brüder.“ Hier wird nämlich das ganze Volk der Juden mit inbegriffen. „Judas aber gebar den Phares und den Zara aus der Thamar.“ Wie! Der Evangelist erwähnt sogar die Geschichte eines Ehebruches? Und was verschlägt dies? Hätten wir die Familiengeschichte eines gewöhnlichen Menschen zu erzählen, so möchte man derlei wohl mit Recht übergehen. Wenn es sich aber um den menschgewordenen Gott handelt, so darf man nicht nur nicht davon schweigen, sondern muss es noch ganz besonders hervorheben, damit so Gottes Vorsehung und Allmacht S. 47deutlich hervortreten. Denn darum ist er ja gekommen, nicht um unserer Schmach zu entrinnen, sondern um uns von ihr zu befreien. Wir bewundern ja nicht so sehr, dass er starb, als vielmehr, dass er am Kreuze starb; denn das war zwar eine Schande, aber je größer die Schmach, um so herrlicher zeigt sich darin seine Liebe. Das gleiche kann man auch von der Menschwerdung sagen. Nicht bloß, dass er Fleisch angenommen und Mensch geworden, verdient unsere Bewunderung, sondern vor allem, dass er auch solche Verwandte haben wollte und in nichts sich unserer Armseligkeiten schämte. Denn das hat er uns schon vom ersten Anfang seiner Menschwerdung an gezeigt, dass er uns nirgends verleugnete, und hat uns eben dadurch auch gelehrt, ob der Schlechtigkeit unserer Vorfahren uns nicht scheu zu verbergen, sondern nur eines zu suchen, die Tugend. Denn hätte ein solcher auch eine Barbarin, oder eine Ehebrecherin, oder was immer für eine andere unter seinen Vorfahren, so könnte ihm das gar nichts schaden. Denn wenn sogar dem Unzüchtigen selber nach seiner Bekehrung das frühere Leben nicht mehr zur Schande gereicht, so kann das schlechte Leben der Voreltern noch viel weniger über denjenigen Schande bringen, der selbst tugendhaft ist, aber von einer Buhlerin oder Ehebrecherin abstammt. Damit wollte er aber nicht bloß uns belehren, sondern auch den Hochmut der Juden demütigen. Jene missachteten die Tugend der Seele, führten bei jeder Gelegenheit den Abraham im Munde und glaubten, sie hätten in der Tugend ihrer Vorfahren eine genügende Rechtfertigung. Darum zeigt der Evangelist gleich am Anfang an, dass man nicht mit fremden Verdiensten prahlen dürfe, sondern auf die eigenen hoffen müsse. Damit verfolgt er auch noch den anderen Zweck, zu zeigen, dass alle, auch ihre eigenen Vorväter, mit Sünden beladen seien. Deshalb zeigt er ihnen auch ihren namensverwandten Stammvater als einen nicht geringen Sünder; denn da steht Thamar daneben und klagt ihn seiner Unzucht an. Und auch Davids Sohn, Salomon, war die Frucht gewaltsamer Unzucht. Wenn aber von den Großen das Gesetz nicht erfüllt wurde, um wieviel weniger von den Kleinen? Wurde es aber S. 48nicht erfüllt, so haben alle gesündigt, und damit wurde das Erscheinen Christi zur Notwendigkeit. Deshalb erwähnt er auch die zwölf Patriarchen, weil er auch da wieder den Stolz wegen vornehmer Ahnen dämpfen wollte. Denn viele von diesen waren Kinder von Mägden, und doch ward der Rangunterschied der Eltern nicht auf die Kinder übertragen; vielmehr waren alle in gleicher Weise Patriarchen und Stammeshäupter. Denselben Vorzug hat auch die Kirche. Sie ist die eigentliche Urheberin all unseres Adels, da sie das Urbild allen Adels von oben empfängt. Ob du daher ein Sklave bist oder ein Freier, du bist deswegen nicht mehr und nicht weniger, sondern nur auf eines wird gesehen, auf die Gesinnung des Herzens und die Verfassung der Seele.