2.
Weil aber Moses auch einmal etwas Ähnliches vollbracht hatte, so zeigte der Herr auch in dieser Hinsicht seine höhere Macht. Er gibt zu erkennen, dass der eine sein Wunder als Gehorchender wirkte, er aber als Herr. Er streckte keinen Stab aus, wie Moses, er streckte nicht die Hände zum Himmel empor und brauchte nicht erst zu beten. Nein, wie ein Herr seiner S. d399 Magd zu gebieten pflegt, und der Schöpfer dem Geschöpf, so hat er das Meer beruhigt und gezügelt mit einem einzigen Wort und Befehl; und im nämlichen Augenblick war der große Sturm vorüber, war die Brandung spurlos verschwunden. Das bezeugt uns der Apostel mit den Worten: "Und es ward eine große Stille." Das, was man am Vater als etwas Großes gerühmt hatte, das hat Christus von neuem durch seine Taten gezeigt. Was ward aber vom Vater gerühmt? "Er sprach," heißt es, "und der Sturmwind hörte auf"1 . Ebenso heißt es auch hier: "Er sprach und es entstand eine große Stille." Gerade deshalb bewunderten ihn auch die Leute, was sie wohl nicht getan hätten, wenn er es ebenso gemacht hätte wie Moses. Als er aber ans Land gestiegen war, da folgte ein noch größeres Wunder. Es riefen Besessene wie schuldbeladene Flüchtlinge beim Anblick ihres Herrn:
V.29: "Was haben wir mit Dir zu schaffen, Christus, Sohn Gottes? Kommst du hierher, um uns vor der Zeit zu peinigen?
Weil die Leute ihn einen Menschen genannt, so kamen die Dämonen, um seine Gottheit zu verkünden. Und sie, die die Stimme des tobenden und wieder beruhigten Meeres nicht vernommen, hörten die Dämonen das rufen, was das Meer durch die Windstille verkündet hatte. Damit es aber nicht den Anschein habe, als hätten sie ihm nur schmeicheln wollen, bekunden sie, was sie durch die Tat erfahren und sagen: "Kommst Du hierher, vor der Zeit uns zu quälen?" So bezeugen sie zuerst die Feindschaft, die zwischen ihm und ihnen herrscht, damit so ihre Bitte keinem Verdacht unterliege. Sie wurden eben unsichtbarerweise gepeinigt, sie wurden zu einem Sturm aufgepeitscht, der wilder war als das Meer, wurden mit Stacheln und Feuer gepeinigt und empfanden bei seinem bloßen Erscheinen die größte Pein. Weil niemand es wagte, diese Besessenen zum Herrn zu führen, deshalb kommt Christus selbst zu ihnen. Nach Matthäus hätten sie nun gesagt: "Kommst Du hierher S. d400 vor der Zeit uns zu peinigen?" Die anderen Evangelisten fügen aber noch hinzu, sie hätten ihn auch gebeten und beschworen, er möge sie nicht in den Abgrund2 stürzen3 . Sie dachten eben, es stünde ihnen bereits die endgültige Strafe bevor, und so fürchteten sie sich, als wären sie schon den Peinen überantwortet. Wenn aber die Zeugen des Lukas nur einen Dämon erwähnen, Matthäus dagegen zwei, so bedeutet auch das keinen Widerspruch. Hätte Lukas gesagt, es sei nur einer gewesen und es habe sich nicht um zwei gehandelt, so hätte man wohl sagen müssen, dass er dem Matthäus widerspreche. So aber redet der eine von einem, der andere von zwei Besessenen, und das bedeutet keinen Widerspruch, sondern nur eine Verschiedenheit in der Erzählung. Meiner Ansicht nach wollte Lukas hier nur den schlimmsten von beiden erwähnen. Deshalb weist auch seine Schilderung des Unglücklichen viel mehr tragische Züge auf; so z.B.:Er habe die Fesseln und die Bande zerrissen und sei in der Wüste umhergeirrt. Markus dagegen berichtet, er habe sich selbst auch mit Steinen zerschlagen. Auch kann man aus ihren Worten ihre Feindseligkeit und Unverschämtheit erkennen. Sie sagen: "Bist du gekommen, vor der Zeit uns zu plagen?" Dass sie nicht gesündigt hatten, das konnten sie nicht behaupten. Sie bitten nur, nicht vor der Zeit gestraft zu werden. Da er sie dabei ertappt hatte, wie sie ihre unaussprechlichen, schrecklichen Missetaten begingen und seine eigenen Geschöpfe auf jede mögliche Weise quälten und peinigten, so glaubten sie, er werde ob der Größe ihrer Vergehen nicht warten, bis die Zeit der Vergeltung gekommen sei; deshalb baten und flehten sie. Und sie, die nicht einmal mit eisernen Ketten festgehalten werden konnten, kommen daher, als wären sie gebunden; sie, die die Gebirge durchstreiften, steigen in die Ebene herab, und sie, die andere nicht ihres Wegen ziehen ließen, bleiben stehen beim Anblick dessen, der ihnen den Weg versperrt!
Warum aber halten sie sich auch so gerne in den Gräbern auf? Um den Leuten einen recht unseligen S. d401 Aberglauben beizubringen, wie z.B., die Seelen der Abgeschiedenen würden in Dämonen verwandelt werden, woran ja keinen Augenblick auch nur zu denken ist. Aber, wendest du mir ein, was sagst du dazu, dass viele Zauberer Kinder nehmen und schlachten, um sich nachher4 ihrer Seelen zu bedienen? Allein, woher weiß man denn das? Dass die Magier Kinder schlachten, das sagt man vielfach; dass aber die Seelen der Getöteten mit ihnen im Bunde stehen, woher weißt du denn das? Sprich! Ja, sagst du, die Dämonen selbst rufen ja: Ich bin die Seele dieses und dieses Menschen! Allein das ist Lüge und teuflischer Betrug. Nicht die Seele des Getöteten ist es, die ruft, sondern der Dämon lügt das seinen Zuhörern vor, um sie zu täuschen. Denn wenn eine Seele in die Natur eines Dämons verwandelt werden könnte, so würde sie viel eher wieder in den eigenen Leib zurückkehren. Außerdem wäre es ja auch ganz unvernünftig, dass die Seele des Gemordeten dem Mörder noch als Gehilfin diente, oder dass ein Mensch eine geistige Gewalt auf ein anderes Wesen ausüben könnte. Wenn also dies schon bei den Leibern unmöglich ist, und niemand den Leib eines Menschen in den eines Esels verwandeln könnte, so ist dies um so weniger bei der unsterblichen Seele möglich, und gewiss ist niemand imstande, sie in die Natur eines Dämons zu verwandeln.