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Allein nicht bloß damit bringt er sie zum Schweigen; er führt noch einen anderen Grund an. Er sagt: S. d429 „Es werden Tage kommen, da der Bräutigam wird von ihnen genommen werden, und dann werden sie fasten.“ Damit gibt er zu verstehen, dass sie nicht aus Gaumenlust am Mahle teilnahmen, sondern weil er eine weise Absicht damit verband. Zugleich deutet er auch schon zum voraus auf sein Leiden hin, lehrt die Jünger, wie man anderen antworten soll, und hält sie dazu an, sich mit dem Gedanken an Leiden und Widerwärtigkeiten vertraut zu machen. Hätte er dies unmittelbar zu den Jüngern gesagt, so wäre es ihnen schwer und hart erschienen; hat es sie ja doch noch in Aufregung gebracht, als er es ihnen erst später mitteilte1 . Indem er es aber zu den anderen sagte, wurde es auch für sie erträglicher. Da sie aber vermutlich auf den Leidenstod des Johannes sich viel zugute taten, so demütigt er ihren Hochmut gerade damit. Doch erwähnt er vorläufig nichts von der Auferstehung; dazu war eben die Zeit noch nicht gekommen. Das entsprach ja ganz der Natur, dass einer, der als bloßer Mensch galt, sterben soll; das andere aber geht über die Natur. Daraufhin macht er es auch in diesem Falle wieder so, wie er es schon in einem früheren getan. Während die Pharisäer beweisen wollten, dass er Tadel verdiene, wenn er mit Sündern esse, beweist er im Gegenteil, dass seine Handlungsweise nicht bloß keinen Tadel, sondern sogar Lob verdiene. Auch hier wollten sie ihm wieder vorwerfen, er wisse seine Jünger nicht ordentlich zu erziehen. Deshalb zeigt er, dass nur diejenigen so etwas sagen können, die ihrerseits den Verstand nicht zu gebrauchen wissen, sondern denen es einfach ums Tadeln zu tun ist.
V.16: „Denn niemand“, sagte der Heiland, „setzte einen neuen Fleck auf ein altes Kleid.“
Wieder flicht er Beispiele aus dem täglichen Leben in seine Rede. Der Sinn des Vergleiches ist der: Die Jünger sind noch nicht erstarkt, sondern bedürfen noch vieler Nachsicht. Noch sind sie nicht erneut worden durch den Geist. Unter diesen Umständen darf man ihnen noch keine harten Gebote auferlegen. So spricht S. d430 er, um eben dadurch seinen Jüngern als Gesetz vorzuschreiben, dass sie selber, wenn sie einmal ihren Jüngern, die sie aus der ganzen Welt an sich ziehen sollten, mit großer Milde entgegenkämen.
V.17: „Auch schüttet man keinen neuen Wein in alte Schläuche.“
Siehst du, wie seine Vergleiche denen des Alten Bundes entsprechen, nämlich der mit dem Kleid und der mit den Schläuchen? So nennt ja Jeremias das Volk einen Gürtel2 und erwähnt ein andermal Schläuche und Wein3 . Da nämlich hier gerade von Schlemmerei und Tischfreuden die Rede war, so entnimmt er ihnen seine Vergleiche. Lukas sagt sogar noch etwas mehr, dass nämlich auch das Neue zerreißt, wenn man es auf eine alte Unterlage setzt4 . Siehst du also, dass so etwas nicht nur nichts nützt, sondern nur noch mehr schadet? Auch redet hier der Herr zwar von der Gegenwart, weist aber damit auf etwas Zukünftiges hin. So z. B. sagt er, sie5 würden später neu sein; bis aber dies eintreffe, dürfe man ihnen nichts Hartes und Schweres auferlegen. Denn wer vor der rechten Zeit zu hohe Anforderungen stellen will, wird die Menschen auch dann nicht bereit finden, wenn die rechte Zeit gekommen ist, weil er sie ein für allemal unbrauchbar gemacht hat. Daran ist aber nicht der Wein schuld, noch sind es die Gefäße, sondern diejenigen, die den Wein zur unrechten Zeit in die Schläuche gießen. Damit hat uns der Herr den Grund angegeben, weshalb er immer so sanftmütig mit den Jüngern sprach. Wegen ihrer Schwäche hat er vieles gesagt, das an sich nicht seiner Würde entsprach. Das hat er ja auch nach dem Zeugnis des Johannes selber ausgesprochen mit den Worten: „Ich habe euch vieles zu sagen, aber ihr könnt es noch nicht tragen“6 . Damit sie nämlich nicht glauben, das sei alles, was er zu sagen hätte, sondern noch anderes und S. d431 viel Größeres erwarten, deshalb beruft er sich auf ihre Schwachheit und kündet ihnen an, wenn sie einmal stark geworden seien, werde er auch das übrige sagen. Ebenso spricht er auch hier: „Es werden Tage kommen, wo der Bräutigam wird von ihnen genommen werden, und dann werden sie fasten.“ Darum sollen auch wir nicht gleich von Anfang an alles von allen erwarten, sondern nur so viel, als möglich ist; dann werden wir bald auch das andere erreichen. Wenn du dagegen drängst und treibst, so wirst du gerade deshalb nicht vorankommen, weil du eilst. Falls dir aber diese Worte rätselhaft erscheinen, so lass dich von der Natur der Dinge selbst belehren, dann wirst du die ganze Kraft und Tragweite der Worte erfassen. Und lass dich von keinem von denen bewegen, die dich zur Unzeit tadeln; auch hier waren ja die Pharisäer die Ankläger und die Jünger die Angeklagten.