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All das sollen wir aber nicht bloß anhören, sondern auch nachahmen. Denn die Worte des Herrn gelten nicht bloß den Aposteln, sondern auch den Heiligen, die nach ihnen kommen. Suchen wir ihrer Nachfolge würdig zu werden. Denn je nach dem Willen derer, die wir aufnehmen, kommt dieser Friede oder geht wieder fort. Das hängt eben nicht bloß von dem freien Willen der Lehrenden ab, sondern auch von der Würdigkeit derer, die ihnen Aufnahme gewähren. Halten wir es auch nicht für einen geringen Verlust, einen solchen Frieden nicht zu erlangen. Denn ihn hat schon der Prophet zum voraus angekündigt mit den Worten: „Wie angenehm sind die Fußstapfen derer, die den Frieden künden!“ Und dann fügt er zur Erläuterung seiner hohen Worte hinzu: „Derer, die Gutes verkünden“1 . Dass dieser Friede etwas Großes sei, hat auch Christus bezeugt, da er sagt: „Den Frieden hinterlasse ich euch, den Frieden gebe ich euch“2 . Darum müssen wir alles tun, um seiner teilhaft zu werden, in der Familie wie in der Kirche. Auch in der Kirche entbietet ja der Vorsteher den Frieden. Das eine ist ein Vorbild des anderen, und man muss ihn mit allem Eifer zu erlangen suchen, durch die Bereitwilligkeit des Herzens noch mehr, als durch das Anerbieten des Mahles. Wenn es schon ein schwerer Fehler ist, nicht am Tische teilnehmen zu lassen, um wieviel schwerer ist es dann, den, der den Frieden entbietet, abzuweisen? Um deinetwillen sitzt der Priester in der Kirche, um deinetwillen steht dort der Prediger, strengt sich an und müht sich ab. Wie willst du dich da entschuldigen, wenn du nicht einmal soviel Bereitwilligkeit hast, ihn anzuhören?
Die Kirche ist ja das gemeinsame Haus aller Heiligen und wir betreten es nur, nachdem ihr uns vorangegangen S. d466 und befolgen so das Beispiel der Apostel. Deshalb entbieten wir auch gleich beim Eintritt allen den Frieden, entsprechend jener Vorschrift des Herrn. Keiner sei also gleichgültig, keiner sei träge, wenn die Priester und Lehrer hereinkommen; es würde euch keine geringe Strafe dafür treffen. Tausendmal lieber möchte ich, dass man mich beim Eintritt in das Haus irgendeines unter euch allein stehen ließe, als dass ich hier reden muss, ohne dass mich jemand hört. Das ist für mich viel härter als das andere, denn dieses Haus ist ja viel wichtiger3 . Hier sind uns die großen Schätze hinterlegt. Auf ihm beruht all unsere Hoffnung. Oder was wäre hier nicht groß und ehrfurchtgebietend? Dieser Tisch ist viel ehrwürdiger und besser als irgendein anderer Tisch; diese Lampe viel erhabener als sonst eine. Das wissen alle, die im Glauben und zur rechten Zeit mit ihrem Öle gesalbt und von ihren Krankheiten befreit wurden. Und dieser Schrank ist viel besser und notwendiger als jener. Denn er enthält nicht Kleider, sondern Almosen, wenn es auch wenige sind, die es empfangen. Auch findest du hier ein Ruhelager, das weit besser ist als das zu Hause; denn das Ruhen in den hl. Schriften ist mir angenehmer, als jedes andere Ruhelager. Ja, wenn wir wären, wie wir sein sollten, so hätten wir überhaupt kein anderes Haus als dieses. Dass ich da nichts Unmögliches sage, beweisen die dreitausend und fünftausend Menschen, die alle ein Haus, einen Tisch, eine Seele hatten. „Denn“,heißt es, „die Menge der Heiligen hatte nur ein Herz und eine Seele.“4
Da wir aber von der Tugend jener5 gar weit entfernt sind, und jeder in seinem eigenen Hause wohnt, so wollen wir wenigstens dann, wenn wir hier zusammenkommen, dies mit Eifer und S. d467 Bereitwilligkeit tun. Denn wenn wir schon in den anderen Dingen Bettler und arme Menschen sind, so wollen wir wenigstens in diesen Dingen reich sein. Deshalb nehmet uns wenigstens hier mit Liebe auf, wenn wir zu euch hereinkommen. Und wenn ich sage: der Friede sei mit euch, dann antwortet und mit deinem Geiste, und zwar nicht nur mit den Lippen, sondern auch mit dem Herzen; nicht nur mit dem Munde, sondern auch mit der inneren Gesinnung. Wenn du aber in der Kirche sagst: „Friede auch mit deinem Geiste“ und draußen mit mir streitest und haderst, mich anspuckst und lästerst und mich auf tausendfache Weise schmähst, was ist denn das für ein Friede? Wenn auch du tausendfach böse über mich redest, ich gebe dir den Frieden mit reinem Herzen, mit aufrichtigem Sinn, und niemals bin ich imstande, etwas Böses über dich zu sagen; ich habe eben das Herz eines Vaters. Und wenn ich je einmal tadeln muss, so tue ich es nur mit Bedauern. Wenn aber du mich heimlich herabsetzest und mich nicht einmal im Hause des Herrn aufnimmst, so fürchte ich, du wirst meine Mutlosigkeit noch vermehren, nicht weil du über mich geschmäht hast, nicht weil du mich zurückgewiesen, sondern weil du den Frieden nicht annehmen willst und dir die vom Herrn angedrohte Strafe zugezogen hast. Wenn ich auch den Staub nicht von meinen Füßen schüttle, wenn ich dir auch nicht den Rücken kehre, die angedrohte Strafe erwartet dich doch. Ich entbiete euch oft den Frieden, und ich werde nie aufhören, dies zu tun. Ja, selbst wenn ihr mich schmäht und mich nicht aufnehmt, auch dann will ich den Staub nicht von meinen Füßen schütteln; nicht etwa weil ich den Worten des Herrn nicht gehorchen will, sondern weil ich brenne vor Liebe zu euch. Übrigens habe ich ja um euretwillen noch mehr Mühsal ertragen. Ich bin nicht von weitem hergekommen, noch kam ich in der Kleidung und in der Armut der Apostel6 . Auch habe ich Schuhe und ein zweites Gewand; und vielleicht habt ihr gerade deshalb auch eure Pflichten vernachlässigt. Aber gleichwohl genügt das nicht zu eurer Entschuldigung, vielmehr ist unsere S. d468 Schuld zwar größer, gibt aber euch kein Recht auf Nachsicht.