6.
Wenn es also, was nicht geschehen möge, und wohl auch nie geschehen dürfte, je zu einem Kampf gegen die Kirche und zu einer Verfolgung käme, so stelle dir vor, welch rohes Gelächter da entstünde, wie groß die Schande wäre! Und ganz mit Recht. Denn wenn niemand sich auf dem Exerzierplatz übte, wer soll da im Kampf sich bewähren? Welcher Athlet, der nichts von der Gymnastik versteht, wird am Tage der olympischen Spiele sich dem Gegner gegenüber als wackerer Kämpfer erweisen? Muß man sich da nicht jeden Tag im Ring- und Faustkampf üben und im Laufen? Oder wißt ihr nicht, wie es die sogenannten Fünfkämpfer machen, wenn sie keinen haben, mit dem sie sich messen können? Da hängen sie einen schweren Sack voll Sand auf und üben an ihm ihre ganze Kraft. Die Jüngeren hingegen üben sich mit ihren Altersgenossen auf den Kampf mit ihren Gegnern ein. Diese Athleten sollst auch du nachahmen, und die Übungen in den geistigen Wettkämpfen dir angelegen sein lassen. Es gibt ja gar viele Menschen, die dich S. d487 zum Zorne reizen, die böse Begierden in dir wachrufen, einen großem Brand in dir entzünden. Stehe also fest gegenüber den Leidenschaften, ertrage mutig die geistigen Leiden, damit du auch die leiblichen Schmerzen zu ertragen vermögest. Hätte der selige Job nicht schon vor dem Ernstfalle wacker im Kampfe sich geübt, so hätte er sich auch im Kampfe selbst nicht so glänzend bewährt. Wäre ihm nicht daran gelegen gewesen, von aller Leidenschaft frei zu sein, so hätte er sich gewiss zu einer ungehörigen Äußerung hinreißen lassen, als er den Tod seiner Kinder erfuhr. So aber hat er alle die Kämpfe bestanden, den Verlust seines Vermögens und seines so großen Reichtums, den Untergang seiner Kinder, die Liebe zu seiner Frau, die Wunden an seinem Leibe, die Schmähreden seiner Freunde, die Lästerungen seiner Hausgenossen.
Willst du aber auch sehen, wie er sich früher geübt hat, so höre, wie er über den Reichtum dachte: „Ich habe mich wenigstens nicht über den großen Reichtum gefreut, der mir zuteil geworden; denn ich habe Gold wie Staub geachtet und auf wertvolle Steine mein Vertrauen nicht gesetzt“1 . Darum verlor er auch die Fassung nicht, als er seines Reichtums beraubt ward, weil er ja sein Herz nicht an ihn gehängt hatte, solange er ihn besaß. Dann sieh auch, wie er sich seinen Kindern gegenüber verhielt, wie er nicht über Gebühr weichlich gegen sie war wie wir, sondern strenge Disziplin von ihnen verlangte. Denn wenn er schon Opfer brachte für ihre Sünden, die er nicht kannte, so denke dir, welch strenger Richter er gewesen sein muss für die Sünden, die er erfuhr! Willst du aber auch erfahren, wie er sich in der Keuschheit geübt, so höre, wie er sagte; „Ich habe mit meinen Augen einen Bund geschlossen, auf dass sie niemals eine Jungfrau ansehen sollten“2 . Deshalb hat ihn auch seine Frau nicht zu Fall gebracht; denn er liebte sie schon zuvor, aber nicht über das rechte Maß, sondern wie es der Frau gegenüber recht ist. Gerade darum wundere ich mich auch; wie es dem Teufel S. d488 einfallen konnte, sich in solchen Kampf mit ihm einzulassen, obwohl er wusste, wie sehr er darin geübt war. Warum hat er es also doch getan? Weil er wie ein wildes Tier ist und niemals den Mut sinken lässt. Gerade darin liegt unsere größte Schuld, dass der Teufel die Hoffnung niemals aufgibt, uns zu verderben, wir dagegen an unserer eigenen Rettung verzweifeln.
Sodann beachte, wie Job auch an die Verwundung und die Geschwüre seines Leibes zum voraus gedacht hatte. Da ihm selbst nie etwas dergleichen begegnet war und er im Gegenteil sein ganzes Leben in Reichtum, Genuss und Glanz verbracht, so hatte er wenigstens das Unglück anderer sich täglich vor Augen gehalten. Das können wir aus seinen Worten ersehen: „Denn was ich immer befürchtet hatte, kam über mich, und wovor ich mich geängstigt hatte, das begegnete mir“3 . Und an einer anderen Stelle: „Ich weinte über jeden Armen und seufzte, wenn ich jemand in Not sah“4 . Darum konnte ihn auch keiner von den großen, unerträglichen Schicksalsschlägen, die über ihn kamen, aus der Fassung bringen. Es ist da nicht der Verlust seines Eigentums, auf den du sehen sollst, nicht der Untergang seiner Kinder, nicht jene unheilvolle Krankheit, noch auch die böse Gesinnung seiner Frau, auf die du am meisten sehen sollst; nein, etwas viel Schlimmeres als das. Aber, sagst du, was hat den Job noch Schlimmeres gelitten? Aus der Geschichte wissen wir doch nicht mehr, als das. Ja, wenn wir die Augen zumachen, dann sehen wir nicht mehr. Wer aber sorgfältig acht gibt und die Perle eifrig sucht, der wird mehr als das heraus finden. Das, was noch schlimmer war und den Job in weit größere Bestürzung zu versetzen imstande war, ist etwas anderes. In erster Linie der Umstand, dass er vom Himmelreich und von der Auferstehung keine klare Kenntnis besaß. Das bekennt er auch unter Tränen: „Denn ich werde nicht ewig leben, so dass ich deshalb langmütig sein müsste“5 . Für das zweite, weil er wusste, S. d489 dass er viel Gutes getan hatte. Drittens, dass er sich nichts Schlechtes vorzuwerfen hatte. Viertens, weil er glaubte, Gott habe ihm diese Leiden geschickt; und hätte er auch gewusst, dass sie vom Teufel kamen, so hätte auch das ihm Ärgernis verursachen können. Fünftens, weil er hören musste, wie ihm seine Feinde angebliche Sünden vorwarfen: „Denn“ sagen sie, „du bist noch lange nicht so zugerichtet, als du wegen deiner Sünden verdienst“6 . Sechstens, weil er sah, wie es denjenigen gut ging, die in Schlechtigkeit dahinlebten und wie diese ihn verhöhnten. Siebtens, weil er niemals gesehen hatte, dass je einer soviel zu leiden gehabt hätte.