7.
Und wenn du wissen willst, was das alles heißt, so sieh nur auf das, was bei uns geschieht. Wir erwarten jetzt das himmlische Reich, erhoffen die Auferstehung und unaussprechliches Glück; wir wissen, dass wir unzählige Fehltritte begangen haben; wir haben so große Beispiele vor Augen und empfingen so erhabene religiöse Lehren. Und trotzdem, wenn wir auch nur ein wenig Geld verlieren und dazu oft noch solches, das wir selbst vorher gestohlen haben, so halten wir gleich das Leben für unerträglich; und das, obgleich keine Frau uns zusetzt, obgleich wir keine Kinder verloren haben, keine Freunde uns schmähen, keine Diener uns beschimpfen; während im Gegenteil manche uns trösten, die einen mit Worten, die anderen durch die Tat. Welchen Lohn wird also nicht derjenige verdient haben, der sich ganz urplötzlich und ohne Grund dessen beraubt sah, was er durch redliche Mühen erworben hatte, der zu all dem noch durch eine Unzahl von Heimsuchungen geprüft wurde, aber in all diesen Leiden unerschütterlich blieb und dem Herrn für alles den gebührenden Dank aussprach? Ja, hätte auch sonst niemand etwas zu ihm gesagt, die Worte seiner Frau wären allein imstande gewesen, selbst einen Stein zur Ungeduld zu reizen. Sieh nur, wie schlecht sie sich benimmt. Sie erwähnt nicht das Vermögen, nicht die Kamele, die Schaf- und Rinderherden (sie wusste eben, wie wenig ihr Mann S. d490 an all diesen Dingen hing); nein etwas, was viel empfindlicher war als dies, nämlich die Kinder; von diesem Verlust redet sie lang und breit und fügt noch das Ihrige hinzu.
Wenn aber auch solche, die wohlhabend sind und kein Leid zu tragen haben, sich oft vielfach von ihren Frauen beeinflussen lassen, so bedenke, welch kräftiges Gemüt Job haben musste, der seine Frau, die mit so starken Waffen auf ihn eindrang, zurückwies und die allerstärksten menschlichen Gefühle überwand, die Liebe und das Mitleiden! Und doch gibt es viele, die zwar ihre Begierlichkeit bemeistern, aber vom Mitleiden überwunden wurden. So hat auch der edle Joseph die so überaus starke, böse Lust überwunden und jenes barbarische Weib von sich gestoßen, obwohl es tausend Kunstgriffe angewandt hatte; seine Tränen dagegen konnte er nicht bemeistern. Denn als er seine Brüder sah, die gegen ihn Unrecht verübt, da übermannte ihn das Gefühl; er warf sogleich all den falschen Schein von sich und enthüllte die ganze Wahrheit. Wenn es nun gar noch die eigene Frau ist, die so empörend redet, und wenn auch alle anderen Zeitumstände dazu mitwirken, die Wunden und leiblichen Beschwerden und die Aufregungen unermeßlicher Schicksalsschläge, wie sollte man da eine Seele nicht für härter als Diamant ansehen, der selbst solche Stürme nichts anhaben können! Ja, erlaubt mir, dass ich es freimütig heraussage, ich glaube, dieser Selige war, wenn nicht größer, so doch um nichts geringer als die Apostel. Für diese war es wenigstens ein Trost, dass sie für Christus zu leiden hatten; und dieser Gedanken war so sehr geeignet, sie täglich von neuem aufzurichten, dass der Herr ihn bei jeder Gelegenheit vorbrachte und sagte „für mich“ und: „um meinetwillen“ und: „wenn sie mich den Herrn der Welt, Beelzebub nannten“1 . Job hingegen hatte diesen Trost nicht; er hatte noch keine Wunderzeichen geschaut und die Gnade2 nicht empfangen. Er besaß ja noch keine so große Stärke durch den Heiligen Geist. Ja, was noch mehr ist, das alles, was er zu erdulden hatte musste S. d491 er leiden, nachdem er in Fülle und Reichtum aufgewachsen war und nicht von Fischfange, von Zolleinnahmen oder sonst einem armseligen Gewerbe geklebt hatte. Und was uns bei den Aposteln für das Allerschwerste vorkommt, gerade das hatte auch er zu leiden; auch er ward gehasst von seinen Freunden, Hausgenossen und Feinden, und von denen, die er mit Wohltaten bedacht hatte. Den heiligen Hoffnungsanker hingegen und den Hafen ohne Sturm3 , das durfte er nicht schauen.
So bewundere ich auch die drei Jünglinge, die selbst im Feuerofen standhielten und dem Tyrannen nicht gehorchten. Doch höre ihre eigenen Worte: „Deine Götter verehren wir nicht, und das Bild, das du aufgestellt hast, beten wir nicht an!“4 . Das eben war für sie der größte Trost, das klare Bewusstsein, dass sie alle ihre Leiden um Gottes willen zu erdulden hätten. Job dagegen wusste nicht, dass all dies eine Übung und eine Probe für ihn war; denn hätte er es gewusst, so hätte er auch die Vorkommnisse nicht so schmerzlich empfunden. Und als der Herr zu ihm sprach: „Glaubst du, ich hätte aus einem anderen Grunde mit dir geredet, außer um deine Gerechtigkeit offenkundig zu machen?“5 , so beachte, wie er alsbald bei diesem einfachen Worte aufatmete, wie gering er von sich selbst dachte, wie er glaubte, das, was er zu leiden gehabt habe, sei noch gar kein Leiden gewesen, und wie er sagt: „Warum werde ich nochmals gerichtet, nachdem ich schon vom Herrn ermahnt und zurechtgewiesen worden, und weshalb muss ich solches hören, obgleich ich doch nichts bin?“ Und weiter: „Früher habe ich Dich mit dem Gehöre wahrgenommen, jetzt aber hat mein Auge Dich geschaut; darum erniedrigte ich mich selbst und ward zunichte und ich erachte mich selbst für Erde und Staub“6 . Eine solche Mannhaftigkeit, eine solche Ergebung sollen also auch wir nachahmen, die wir nach dem S. d492 Erscheinen des Gesetzes und der Gnade Christi leben, während er vorher lebte, damit auch wir einstens mit ihm die Himmelszelte teilen können. Dies möge uns allen zuteil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der alle Ehre und Macht besitzt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!