3.
Was fürchtest du denn eigentlich, so fragt dich der Herr? Du könntest gering geschätzt werden, wenn du demütig bist? Blicke auf mich und alle meine Taten; von mir lerne, dann wirst du klar erkennen, welch großes Gut die Demut ist. Siehst du also, wie er sie auf jede Weise zur Demut anleitet? Durch sein eigenes Beispiel: "Denn lernt von mir, ich bin sanftmütig"; durch ihren eigenen Vorteil:"Denn ihr werdet Erquickung finden für eure Seelen"; durch seine Gnadengaben: "Denn auch ich werde euch erquicken"; dadurch, dass er es ihnen leicht macht: "Denn mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht." Ebenso macht es der hl. Paulus, wenn er sagt: "Die augenblickliche und leichte Trübsal wird euch eine alles Maß übersteigende, ewige S. d562 und schwerwiegende Herrlichkeit verschaffen"1 . Allein, fragst du, wie soll die Last leicht sein, wenn er sagt: Wenn jemand nicht hasset Vater und Mutter", und: "Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert", und: "Wer nicht allem entsagt, was er hat, kann mein Schüler nicht sein"2 , wenn er sogar befiehlt, sein eigenes Leben hinzugeben? Der hl. Paulus möge dich belehren, der da sagt: "Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Trübsal? Bedrängnis? Verfolgung? Hunger? Blöße? Gefahr? das Schwert?"3 , und: "Die Leiden dieser gegenwärtigen Zeit sind nichts im Vergleich zur Herrlichkeit, die in uns wird geoffenbart werden"4 . Belehren mögen dich auch die Apostel, die nach Empfang unzähliger Geißelhiebe aus dem Synedrium der Juden weggingen und sich freuten, dass sie gewürdigt worden waren, für den Namen Jesu Schmach zu leiden5 . Wenn du aber beim Hören der Namen "Joch" und "Bürde" immer noch Furcht hast und zitterst, so ist nicht die Sache an sich Schuld daran, sondern deine eigene Verzagtheit; wärest du dagegen bereitwillig und mutig, so würde dir alles leicht und erträglich. Christus wollte eben zeigen, dass auch wir selber Mühsal ertragen müssten, und deshalb hat er nicht bloß das Angenehme erwähnt und dann geschwiegen, auch nicht bloß das Schwere allein, sondern beides. Er hat vom Joch geredet, es aber angenehm genannt; er erwähnte die Bürde, fügt aber hinzu, sie sei leicht. Er will eben, dass du sie weder als zu beschwerlich fliehest, noch als etwas ganz Leichtes geringschätzest.
Wenn dir aber auch nach all dem die Tugendübung noch schwer vorkommt, so bedenke, dass die Schlechtigkeit noch viel beschwerlicher ist. Das wollte auch der Herr andeuten und sagte darum nicht gleich: Nehmet mein Joch auf euch, sondern zuerst: Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid"; damit zeigt er, dass S. d563 auch die Sünde Mühsal verursacht und eine schwere, nicht leicht zu tragende Last ist. Er sagt ja nicht bloß: "Die ihr mühselig seid", sondern fügt noch hinzu: "Und die ihr beladen seid." Dasselbe sagt auch der Prophet, da er die Natur der Sünde beschrieb: "Wie mit einer schweren Last haben sie mich beladen"6 . Auch Zacharias sagt in seiner Beschreibung der Sünde, sie sei wie eine Tonne Blei7 . Das bestätigt auch die Erfahrung selbst. Denn nichts beschwert ja die Seele so sehr, nichts lähmt so sehr den Geist und drückt das Gemüt hinunter, als ein schuldbeladenes Gewissen; und nichts erleichtert und erhebt dasselbe so sehr, als der Besitz der Rechtschaffenheit und Tugend. Bedenke aber, wendest du ein: Was ist schwerer als nichts zu besitzen, die andere Wange darzureichen, und wenn man geschlagen wird, nicht wieder zu schlagen, ja selbst einen gewaltsamen Tod zu erleiden? Und dennoch, wenn wir die Sache richtig betrachten, so ist all dies unbedeutend und leicht und eine Quelle der Freude. Doch lasst euch nicht in Verwirrung bringen, prüfen und behandeln wir vielmehr eines nach dem andern ganz genau, und wenn es euch recht ist, zuerst das, was die meisten für besonders beschwerlich erachten. Sag mir also, was ist wirklich schwerer und härter, nur für einen einzigen Leib zu sorgen, oder von tausend Ängsten geplagt zu werden; mit einem Gewande bekleidet zu sein, ohne nach mehreren zu verlangen, oder deren viele zu Hause zu haben und jeden Tag und jede Nacht sich abzuquälen, weil du wegen ihrer Bewachung Furcht hast und zitterst, und weil die Sorge dich quält und ängstigt, es könnte der Wurm dazu kommen, oder es könnte ein Diener sie nehmen und forttragen? Doch mag ich sagen was immer, bloße Worte werden niemals dieselbe Wirkung haben wie die tatsächliche Erfahrung. Deshalb wünschte ich, es wäre einer von jenen zugegen, die auf diese Höhe der Weisheit gelangten; dann würdest du klar erkennen, wie angenehm die Sache ist, und wie keiner von jenen, die die Armut S. d564 lieben, einwilligen möchte, wenn man ihm auch ungezählte Reichtümer anböte. Aber, fragst du, haben denn diese hier jemals eingewilligt, arm zu werden und ihre Sorgen von sich zu weisen? Und was verschlägt das? Das beweist ja nur ihre Torheit und die Schwere des Übels, an dem sie leiden, nicht aber, dass der Besitz etwas Angenehmes sei.