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Bei Lukas führt der Herr auch noch Beispiele dafür an und sagt, auch Elias sei nicht zu seinen eigenen Leuten gegangen, sondern zu einer stammesfremden Witwe; und Elisäus habe niemand anderen geheilt, sondern nur den Ausländer Neeman1 . Die Israeliten dagegen haben weder Gutes empfangen noch Gutes getan; das geschah nur mit den Fremden. Mit diesem Hinweis will der Herr zeigen, dass die Juden überall und immer böse waren, und dass das, was ihm widerfuhr, durchaus nichts Neues sei.
Kapitel XIV. V.1: „In jener Zeit hörte Herodes, der Tetrarch, von dem Rufe Jesu.“
Der König Herodes, der Vater dieses Tetrarchen, der S. d679 die unschuldigen Kinder hatte ermorden lassen, war nämlich inzwischen gestorben. Nicht ohne Grund weist der Evangelist auch auf den Zeitpunkt hin; du sollst daraus den Stolz und die Gleichgültigkeit des Tyrannen erkennen. Denn nicht schon von Anfang an erkundigte er sich nach Christus, sondern erst nach langer Zeit. So sind diejenigen, die mit Macht bekleidet und mit vielem Glanz umgeben sind. Spät erst erfahren sie diese Dinge, weil ihnen eben nicht viel daran liegt.
Du aber beachte die Größe und Macht der Tugend. Herodes fürchtete sogar noch den toten2 ; deshalb bildete er sich vor lauter Angst ein, er sei wieder auferstanden.
V.2: „Denn“, heißt es, „er sagte zu seinen Dienern: Das ist Johannes, den ich habe töten lassen; der ist von den Toten auferstanden; und deshalb wirken die Kräfte in ihm.“
Siehst du da seine außerordentliche Furcht? Er wagte es nicht, dies öffentlich zu sagen, sondern auch jetzt noch sagte er es nur seinen eigenen Dienern. Trotzdem war seine Idee unvernünftig und konnte auch nur von einem3 Soldaten kommen. Es waren ja schon viele von den Toten auferstanden, aber keiner hatte noch solche Zeichen getan. Ich glaube ferner, dass seine Worte sowohl der Eitelkeit, wie auch der Furcht entsprangen. So geht es eben unvernünftigen Geistern: sie empfinden oft zu gleicher Zeit ganz entgegengesetzte Gefühle.
Lukas berichtet hier, die Leute hätten gesagt: „Das ist Elias, oder Jeremias, oder einer von den alten Propheten“4 . Herodes dagegen, der ja etwas Gescheiteres sagen wollte als die anderen, sprach ebenso. Wahrscheinlich haben aber schon früher einige gesagt, es sei Johannes5 , worauf Herodes dies vielleicht verneinte und sagte: Ich habe ihn ja töten lassen, und sich so dessen noch rühmte und brüstete. Auch Markus und Lukas berichten, Herodes habe gesagt: „Ich habe den Johannes enthaupten S. d680 lassen6 . Nachdem aber das Gerücht einmal aufgekommen war, so sagte zuletzt auch er dasselbe wie die große Menge. Darnach machte uns der Evangelist auch mit den geschichtlichen Tatsachen bekannt. Warum aber hat er sie nicht schon früher erwähnt? Weil ihre ganze Sorge nur darauf gerichtet war, das zu berichten, was Christus betraf; anderes, Nebensächliches übergingen sie, außer wenn es zu ihrem Hauptzweck beitrug. Darum hätten sie auch jetzt Profangeschichtliches nicht erwähnt, wenn es sich nicht auf Christus bezogen hätte, und wenn nicht Herodes hier gesagt hätte, Johannes sei von den Toten auferstanden. Markus versichert, Herodes habe eine gewaltige Angst gehabt vor dem Manne, der ihn einst getadelt hatte7 . Eine solche Macht besitzt eben die Tugend. Dann fährt Matthäus mit seinem Berichte also fort:
V.3: “Herodes hatte nämlich Johannes ergreifen, in Fesseln legen und in den Kerker werfen lassen wegen der Herodias, der Frau seines Bruders Philipp.
V.4: Johannes sagte ihm nämlich: Es ist dir nicht erlaubt, sie8 zu haben.
V.5: Da wollte er ihn töten; doch fürchtete er das Volk, weil dieses ihn für einen Propheten hielt.„
Warum hat aber Johannes sich nicht an die Herodias gewendet, sondern an den Mann? Weil er eben der Hauptschuldige war. Beachte aber, wie Johannes seine Anklage möglichst schonend vorbringt, indem er eigentlich mehr die Tatsache feststellt, als eine Anklage äußert.
V.6: “Als aber der Geburtstag des Herodes gefeiert wurde, da tanzte die Tochter der Herodias inmitten9 , und sie gefiel dem Herodes."
O welch ein teuflisches Gastmahl! Welch ein satanisches Schauspiel! Welch sündhafter Tanz und noch sündhafterer Tanzlohn! Ein Mord, verbrecherischer als alle Morde, wird begangen, und mitten im Feste wird S. d681 derjenige abgeschlachtet, der den Ehrenkranz und Lobpreis verdient hätte! Das Siegeszeichen des Teufels wird auf dem Tische aufgestellt! Auch die Art des Sieges ist der Sache würdig. “Denn", heißt es, “die Tochter der Herodias tanzte in der Mitte und sie gefiel dem Herodes."
V.7: „Deshalb schwur er mit einem Eide, er wolle ihr geben, was immer sie verlange."
V.8: : „Sie aber war schon zum voraus von ihrer Mutter beredet worden und sagte: Gib mir hier auf einer Platte das Haupt des Johannes des Täufers.“
Eine zweifache Anklage ist in dem Gesagten enthalten, erstens dass sie tanzte, und zweitens dass sie damit Wohlgefallen erregte, und zwar solches Wohlgefallen, dass sie einen Mord als Belohnung erhielt. Siehst du, wie roh, wie gefühllos, wie unvernünftig Herodes ist? Sich selbst hat er mit einem Eide gebunden; den Inhalt der Bitte hat er der Willkür der anderen überlassen. Als er aber das Unheil sah, das dabei herauskam, da ward er traurig; und doch hätte er schon im Anfang traurig werden sollen. Warum also wird er traurig? So groß ist die Macht der Tugend! Selbst bei den Bösen erntet sie Bewunderung und Lob. Allein, seht dieses rasende Weib! Auch sie hätte Johannes bewundern und ihn verehren sollen, da er sie ja von ihrer eigenen Schande befreien wollte. Statt dessen bereitet sie die ganze Verschwörung vor, legt die Schlinge, und bittet um eine wahrhaft satanische Gunst.
V.9: „Er aber scheute sich wegen des Eides und wegen der Tischgenossen.“
Warum aber scheutest du dich nicht vor dem, was weit schlimmer war? Wenn du dich vor den Zeugen deines Eides scheutest, so musstest du dich noch viel mehr fürchten, so viele Zeugen eines so verbrecherischen Mordes zu haben.