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Diese Kunst steht ja höher als alle anderen. Ihre Werkstätte ist im Himmel errichtet worden. Werkzeuge sind nicht aus Eisen und Erz gemacht, sondern bestehen aus Güte und rechter Gesinnung. Diese Kunst hat Christus und seinen1 Vater zum Lehrmeister. Denn, sagt der Heiland, „seid barmherzig, wie euer Vater, der im Himmel ist“2 . Das Wunderbare daran ist aber das, dass sie trotz ihrer Erhabenheit über die anderen Künste, keiner Mühe und keiner Zeit bedarf zu ihrer Betätigung; es genügt, zu wollen, und alles ist getan. Beachten wir aber auch, welches ihr Endzweck ist? Welches ist also ihr Endzweck? Der S. d704 Himmel, die himmlischen Güter, jene unaussprechliche Herrlichkeit, die geistigen Brautgemächer, die glänzenden Lichter, der Umgang mit dem Bräutigam, alles andere, das weder die Zunge noch der Verstand darzulegen vermag. Also auch nach dieser Seite hin besteht ein großer Unterschied zwischen dieser Kunst und den anderen. Die meisten Künste nützen uns ja nur für das irdische Leben; diese aber auch für das zukünftige. Wenn aber schon die Künste, die wir für dieses Leben brauchen, so verschieden untereinander sind, wie z.B. die Kunst des Arztes und die des Baumeisters und alle anderen dieser Art, so gilt dies noch vielmehr von denen, die man bei genauem Zusehen gar nicht einmal als Künste bezeichnen kann. Darum möchte auch ich die anderen, unnötigen Beschäftigungen gar nicht einmal Künste nennen. Oder welchen Nutzen haben für uns die3 Kochkunst und die Herstellung von Leckerbissen? Gar keinen. Im Gegenteil, sie sind sogar sehr nachteilig und schädlich und verderben Leib und Seele, weil durch sie die Schwelgerei ihren festlichen Einzug hält, die Mutter aller Krankheiten und Leiden. Aber nicht bloß diese, sondern selbst die Malerei und Stickerei möchte ich nicht eigentlich Künste nennen; denn sie stürzen uns nur in unnötige Auslagen4 . Die wahren Künste hingegen müssen uns das, was zum Unterhalt unseres Lebens notwendig ist, besorgen und verschaffen. Darum hat uns ja auch Gott die Weisheit gegeben, damit wir Mittel und Wege finden, um unser Leben zu erhalten. Welchen Nutzen haben wir aber davon, sag mir, wenn wir an den Wänden oder auf den Kleidern Tiergestalten anbringen? Darum müsste man auch bei der Kunst der Schuhmacher und Weber gar manches Überflüssige verbieten. Denn sie haben meistens schon zu Auswüchsen geführt, haben das, was wirklich notwendig ist,5 verkehrt, und zur Kunst die Künstelei gefügt. Dasselbe ist auch bei der Baukunst der Fall. Solange sie nur Häuser und S. d705 keine Theater errichtet, also das Notwendige und nicht das Überflüssige schafft, solange nenne ich sie auch eine Kunst. Ebenso bezeichne ich die Weberei als Kunst, solange sie nur Kleider und Mäntel erzeugt, nicht aber Spinnen nachahmt und damit viel Gelächter und großen Stumpfsinn weckt. Auch dem Schumacherhandwerk nehme ich den Namen Kunst nicht, solange es nur Schuhe erzeugt. Wenn es aber die Männer zu Weibern macht und sie mit ihren Schuhen verweichlicht und verzärtelt, dann rechne ich es zu den schädlichen und überflüssigen Dingen und spreche ihm überhaupt den Namen Kunst ab.
Ich weiß wohl, dass ich vielen als kleinlich erscheine, wenn ich mich um solche Dinge kümmere; deshalb werde ich aber keineswegs davon abstehen. Die Ursache alles Unheils liegt ja gerade darin, dass viele diese Sünden für klein halten und sie deshalb gar nicht beachten. Ja, sagt man mir da, könnte es einen geringfügigeren Fehler geben, als einen schön geschmückten, glänzenden Schuh zu tragen, der auch dem Fuße angepasst ist, wenn man das überhaupt einen Fehler nennen will? Soll ich also diesem Einwand ein Kapitel widmen und euch zeigen, wie groß dieser Unfug ist? Und ihr werdet deshalb nicht ungehalten sein? Nun, wenn ihr auch ungehalten seid, ich mache mir darüber keine großen Sorgen. Ihr selbst seid ja schuld an dieser Torheit, die ihr nicht einmal für eine Sünde haltet, weil ihr uns damit zwingt, solch törichte Eitelkeit zu brandmarken.