3.
Zuerst also erhebt er ihre Herzen, richtet sie empor und macht sie unüberwindlich gegenüber dem Leiden; dann stellt er erst ihre Bitte richtig. Was bedeuten nun aber seine letzten Worte? Zwei Fragen werden oft gestellt: Erstens, ob es jemanden bestimmt ist, zu seiner Rechten zu sitzen; zweitens, ob derjenige, der Herr ist über alles, nicht auch die Macht habe, es denen zu gewähren, welchen es bestimmt ist? Welches ist also der Sinn seiner Worte? Wenn wir die erste Frage beantworten, wird auch die zweite von selbst klar. Wie heißt also die erste Antwort? Niemand wird zu seiner Rechten oder Linken sitzen, denn sein Thron ist niemanden zugänglich; keinem Menschen, sage ich, weder Heiligen noch Aposteln, auch nicht den Engeln oder Erzengeln oder sonst einer der himmlischen Mächte. Der hl. Paulus bezeichnet es ausdrücklich als einen Vorzug des Eingeborenen: „Zu welchem der Engel hat er je gesprochen: Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich mische deine Feinde zum Schemel deiner Füße?“ Und zu den Engeln sagt er: „Der seine Engel zu Winden S. d941 macht“; zu dem Sohne aber: „Dein Thron, o Gott, ist in Ewigkeit der Ewigkeiten“1 . Wie kann er also sagen: „Das Sitzen zu meiner Rechten oder Linken zu geben steht nicht bei mir“,als ob es doch solche gäbe, die diesen Platz einnehmen? Es gibt aber keine, durchaus nicht. Die Antwort ist vielmehr im Sinne der Fragestelle gehalten und ihrer Anschauungsweise angepasst. Die beiden hatten keine Ahnung von der Erhabenheit jenes Thrones und von dem Sitze zur Rechten des Vaters; sie verstanden ja selbst viel Einfacheres nicht, was der Herr ihnen doch tagtäglich vortrug. Nur auf ein Ziel war ihr Verlangen gerichtet, die ersten Platze einzunehmen und an der Spitze der übrigen zu stehen, so dass an seiner Seite niemand vor ihnen käme. Sie hatten, wie ich schon erwähnte, von zwölf Thronsitzen gehört, ohne zu verstehen, was darunter gemeint sei, und darum baten sie ihn um den Vorrang.
Christus will demnach folgendes sagen: Ihr werdet meinetwegen sterben müssen, man wird euch wegen eurer Predigt hinschlachten, so werdet ihr im Leiden mir nachfolgen; allein das ist bei weitem noch nicht genug, um euch den ersten Platz zu verschaffen und den Vorsitz zu erwerben. Denn wenn ein anderer käme, der zu dem Martyrium auch noch alle anderen Tugenden in weit höherem Maße als ihr besäße, so könnte meine jetzige Liebe zu euch, und der Vorzug, den ich euch einräume, mich nicht bestimmen, jenen mit all seinen guten Werken zurückzusetzen, um euch den Vorrang zu geben. Doch sagt Jesus nicht ausdrücklich so, um sie nicht zu kränken, sondern lässt es bloß wie ein Rätsel durchblicken in den Worten: „Meinen Kelch werdet ihr freilich trinken, und mit der Taufe, womit ich mich taufen lasse, getauft werden; das Sitzen aber zu meiner Rechten oder Linken steht nicht bei mir euch zu geben, sondern denen es bereitet ist von meinem Vater.“ Wem ist es nun aber bereitet? Denjenigen, die sich durch ihre Werke empfehlen. Deshalb lauten seine Worte auch nicht etwa: Das zu geben ist nicht meine Sache, sondern die des Vaters; dadurch hätte man auf die Meinung S. d942 verfallen können, er habe nicht die Macht oder Fähigkeit zu vergelten; vielmehr sagt er: „Das hängt nicht von mir ab, sondern von denjenigen, welchen es bereitet ist.“
Um mich deutlicher auszudrücken, will ich ein Beispiel anführen. Denken wir beide, es finde ein Wettkampf statt. Viele vorzügliche Ringer treten auf den Plan, unter ihnen auch Athleten, die mit dem Kampfrichter besonders gut bekannt sind. Im Vertrauen auf sein Wohlwollen und seine Freundschaft sagen sie zu ihm: Richte es so ein, dass wir den Kranz gewinnen und als Sieger ausgerufen werden. Der Kampfrichter entgegnet: Das hängt nicht von mir ab, sondern von denen, welchen es auf Grund ihrer Mühen und Anstrengungen bereitet ist. Würden wir ihn nun der Schwäche zeihen? Gewiss nicht, sondern im Gegenteil seinem Gerechtigkeitssinn und seiner Unparteilichkeit unseren Beifall zollen. Wir würden also nicht behaupten, dieser Mann habe es nicht in seiner Gewalt gehabt, den Kranz zu erteilen, sondern sagen, er habe es nicht getan, um die Gesetze des Wettkampfes nicht zu verletzen und die Ordnung der Gerechtigkeit nicht zu durchbrechen; dasselbe möchte ich auch hier von Christus annehmen. Seine Worte zielten darauf hin, die Jünger auf alle mögliche Weise dahin zu bringen, dass sie nächst der Gnade Gottes ihre Hoffnung auf das Heil und die ewige Seligkeit nur in die Übung guter Werke setzten. Das bedeuten die Worte: „Denen es bereitet ist.“ Damit will er sagen: Wie, wenn andere sich besser bewähren als ihr, wenn sie Größeres leisten? Ihr wollt nicht etwa, weil ihr meine Jünger seid, den Vorrang vor anderen haben, auch in dem Falle, dass ihr euch eurer Erwählung nicht würdig erweiset? Denn dass er der Herr über alles ist, geht daraus hervor, dass er das Richteramt über alles hat. So sagte er zu Petrus: „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben“2 , und Paulus lehrt ein Gleiches: „Im übrigen ist mir hinterlegt der Kranz der Gerechtigkeit, welchen mir an jenem Tage geben wird der Herr, der gerechte Richter, aber allein mir, sondern auch all denen, welche seine S. d943 Ankunft liebgewonnen haben“3 . Christus aber ist schon erschienen, und dass niemand vor Paulus zu stehen kommen wird, leuchtet wohl jedem ein.
Es darf aber nicht befremden, dass sich der Herr nicht deutlich ausgesprochen hat. Dadurch erreicht er eben einen doppelten Zweck; erstens schlägt er ihr Ansinnen4 schonend ab, so dass sie ihn nicht mehr wegen des Vorranges ganz nutz- und zwecklos belästigen, und zweitens brauchte er sie so nicht zu betrüben.
V.24: „Da wurden die Zehn unwillig über die zwei Brüder.“
Wann: damals? Nachdem der Herr sie zurechtgewiesen hatte. Solange es sich nur um die Auszeichnung seitens Christi handelte, waren sie nicht unwillig geworden, und obwohl sie die Bevorzugung der beiden wahrgenommen hatten, nahmen sie es schweigend hin aus Ehrfurcht und Hochachtung vor dem Meister, und wenn es sie auch in der Seele schmerzte, sie wagten doch nicht, es zu zeigen. Und selbst als sie Petrus gegenüber wegen der Doppeldrachme dasselbe Gefühl empfunden hatten, waren sie nicht ärgerlich geworden, sondern hatten nur gefragt: „Wer ist etwa der größte?“5 . Jetzt hingegen, da die beiden selbst eine solche Bitte gestellt hatten, wurden sie unwillig, und zwar auch noch nicht sogleich, als das Ansinnen gestellt wurde, sondern erst, nachdem Christus es ihnen abgeschlagen mit der Erklärung, sie würden die ersten Plätze keineswegs einnehmen, wenn sie sich derselben nicht würdig zeigten.