1.
V.15: „Damals gingen die Pharisäer weg und hielten Rat, wie sie ihn in einer Rede fangen könnten.“
Wann: „damals“? Zu der Zeit, da die Pharisäer ganz besonders hätten zerknirscht sein sollen, da sie Grund gehabt hätten, die Liebe des Herrn zu bewundern und um die Zukunft in Sorge zu sein, weil sie ja aus der Vergangenheit die Lehre für die Zukunft hätten ziehen und glauben sollen; sprachen doch die Tatsachen für seine Worte. Sogar Zöllner und Buhlerinnen hatten geglaubt, Propheten und Gerechte waren umgebracht worden, da hätten sie nicht der Ankündigung ihres eigenen Unterganges widersprechen, sondern daran glauben und in sich gehen sollen. Allein ihre Verkehrtheit ist noch nicht abgetan, sie wächst vielmehr und macht immer größere Fortschritte. Sie wollten den Herrn ergreifen, trauten sich aber nicht aus Furcht vor dem Volke; daher schlugen sie einen anderen Weg ein, um ihn in die Gefahr zu bringen, dass er sich als Verbrecher am Staate hinstelle
V.16: „Sie schickten ihm ihre Jünger zu samt den Herodianern und ließen sagen: Meister! wir wissen, dass Du wahrhaft bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst und um niemand Dich kümmerst; denn du siehst nicht auf das Äußere des Menschen.
V.17: Gib uns nun Bescheid: Was dünket Dir? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht?“
Nachdem der jüdische Staat unter die Botmäßigkeit der Römer geraten war, mussten die Juden Steuer zahlen. Sie hatten es erlebt, dass gerade deswegen in früheren Zeiten Männer wie Theudes und Judas mit ihren Anhängern unter der Anklage versuchter Empörung hingerichtet worden waren, und wollten nun S. d1008 auch den Herrn durch solche Reden in einen ähnlichen Verdacht bringen. So schickten sie denn ihre Schüler und die Parteigänger des Herodes an ihn in der Hoffnung, ihm durch beide Teile eine Doppelgrube zu graben, ihn von allen Seiten zu umgarnen, um ihn, was er auch antworte, zu fangen. Antwortete er im Sinne der Herodianer, so hätten sie ihn angeklagt; antwortete er in ihrem Sinne, so sollten ihn die anderen anschuldigen. Sie wussten eben nicht, dass er bereits die Doppeldrachme bezahlt hatte. Sie hofften also, ihn auf irgendeiner Seite zu fassen, hätten aber doch lieber gehabt, er möchte sich gegen die Herodianer aussprechen. Sie schicken also ihre Jünger, um ihn durch deren Anwesenheit dazu zu reizen und hätten ihn dann dem Fürsten als einen Empörer ausgeliefert. Dieselbe Absicht lässt auch Lukas durchblicken, wenn er berichtet, man habe die Frage auch in Gegenwart des Volkes gestellt, offenbar um mehr Zeugen zu haben. Allein es kam ganz anders.
Die große Zahl der Anwesenden diente nur dazu, die Torheit der Pharisäer noch deutlicher ins Licht zu stellen. Auch ihre Schmeichelei und Tücke muss auffallen. „Wir wissen“, sagen sie, „dass Du wahrhaft bist.“ Wie könnt ihr also behaupten, er sei „ein Verführer“1 , „ein Volksaufwiegler“2 ,„er habe einen Teufel“3 und sei „nicht von Gott“?4 . Wie konntet ihr kurz vorher den Beschluss fassen, ihn aus dem Wege zu räumen?5 . Sie lassen sich eben in allem nur von ihrer Hinterlist leiten. Da sie kurz zuvor auf ihre dreiste Frage: „Woher hast du die Vollmacht, also zu handeln“6 , keine Antwort erhalten hatten, wähnen sie, ihn durch Schmeichelei einnehmen zu können, dass er sich stolz gegen die bestehenden Gesetze und gegen die herrschende Staatsgewalt ausspreche. Deshalb sprechen sie ihm ihre Anerkennung wegen seiner Wahrhaftigkeit aus und gestehen, freilich ungern und in böser Absicht, die Wahrheit zu, um dann S. d1009 fortzufahren: „Du kümmerst Dich um niemand.“ Daraus ersiehst du, dass sie ihn offenbar zu Reden veranlassen wollen, die Herodes beleidigen und ihn selbst in den Verdacht brächten, er strebe nach der Herrschaft, weil er gegen die Gesetze auftrete; dann hätte er als Empörer und Hochverräter verurteilt werden können. Denn in den Worten: „Du kümmerst Dich um niemand“ und: „Du siehst nicht auf die Person eines Menschen“ spielten sie auf den Kaiser und auf Herodes an. Daran schließen sie die Frage: „Sage uns also, was dünkt Dir?“ Jetzt ehrt ihr ihn und lasset ihn als Lehrer gelten; als er jedoch von eurem Heile sprach, da habt ihr ihn verachtet und verhöhnt. Daher kommt es, dass sie sich einmütig zusammengetan haben. Beachte auch ihre Heimtücke. Sie sagen nicht: Erkläre uns, was gut, was nützlich, was gesetzlich ist, sondern: „Was dünkt Dir?“ Sie verfolgten eben nur den einen Zweck, ihn zu verraten und mit dem Herrscher zu verfeinden. Auch Markus weist darauf hin und deckt ihre Schurkerei und ihren Mordplan offen auf, wenn er erzählt, dass sie sagten: „Sollen wir dem Kaiser Steuer zahlen oder nicht?“7 . So schnaubten sie Rache und legten Fallstricke, während sie Anerkennung heuchelten. Was antwortet also der Herr? Er fragt:
V.18: „Was versucht ihr mich, ihr Heuchler?“
Siehst du, wie scharf er sie tadelt? Nachdem ihre Bosheit den Höhepunkt erreicht hatte und offen ans Licht gekommen war, teilt er schärfere Schläge aus, verwirrt sie zuerst und zwingt sie zum Schweigen, indem er ihre geheimen Anschläge aufdeckt und die Absicht, in der sie zu ihm kommen, vor aller Augen ans Licht zieht. Das tat er, um ihre Bosheit zu entlarven und ihnen weitere Versuche, ihm zu schaden, abzuschneiden. Ihre Worte troffen förmlich vor Freundlichkeit; sie nannten ihn Meister, bezeugten seine Wahrhaftigkeit und Unbestechlichkeit; allein damit konnten sie ihn, der ja Gott war, in keiner Weise täuschen. Daher mussten sie auch zur Überzeugung kommen, dass er sie so scharf S. d1010 anließ, nicht weil er etwa ihre Gedanken bloß mutmaßt, sondern weil er sie völlig durchschaute.