5.
So etwas kommt bei den Mönchen nicht vor, ihr ganzes Streben ist nur auf die Nachahmung der Engel gerichtet. Sie freien nicht, sie heiraten nicht, sie schlafen nicht zu lange, sie frönen nicht der Schwelgerei; ja, abgesehen von einigen Kleinigkeiten, leben sie, als hätten sie keinen Leib. Wer ist also imstande, seine Feinde so leicht zu besiegen, dass er sogar beim Essen noch Lorbeeren sammelt? Deshalb spricht der Prophet: „Einen Tisch hast Du vor meinem Angesichte bereitet gegen die, so mich bedrängen“1 . Man wird nicht fehlgehen, wenn man dieses Wort auf eine solche Mahlzeit anwendet. Denn nichts bedrängt die Seele so sehr wie sündhafte Begierden, Üppigkeit, Trunkenheit und die S. d1019 Laster, die darin wurzeln. Wer es schon durchgemacht hat, wird das recht gut verstehen. Wenn du ferner wüsstest, woher die Mittel für die Mahlzeiten der einen und der anderen fließen, so würdest du erst recht klar den Unterschied zwischen beiden erkennen. Woher die Mittel für den Tisch der Schwelger kommen? Von ungezählten Tränen, von den Betrügereien gegen Witwen, von den Veruntreuungen gegen Waisen. Bei den Mönchen kommen sie von der ehrlichen Arbeit. Ihr Tisch gleicht einem schönen, wohlgestalteten Weibe, das keines fremden Schmuckes bedarf, sondern angeborene Schönheit besitzt, indes der Tisch der Weltmenschen gleich einer hässlichen, missgestalteten Buhlerin ist, die sich stark schminkt, ohne jedoch ihre Hässlichkeit ganz verbergen zu können, ja, sie nur um so mehr verrät, je näher man ihr kommt. So tritt auch die Hässlichkeit eines solchen Tisches zutage, je vertrauter man damit wird. Du musst dir nur die Tischgäste einmal ansehen, nicht, wenn sie sich zu Tische setzen, sondern wenn sie ihn verlassen, dann wirst du seine Hässlichkeit gewiss einsehen. Der Tisch der Mönche ist vornehm und verträgt darum keine schändlichen Reden; der Tisch der Schwelger ist gemein und unanständig wie eine Buhlerin. Dort geht man auf den Nutzen des Gastes, hier auf sein Verderben aus; dort duldet man keine Beleidigung Gottes, hier ist man nicht einmal zufrieden, wenn Gott nicht beleidigt wird.
Lasset uns demnach zu den Mönchen gehen! Da werden wir inne werden, in wie viele Bande wir verstrickt sind, da werden wir erfahren, wie man sich einen Tisch reich an Genüssen bereiten kann, voll Süßigkeit, ohne große Unkosten und Sorgen, bei dem die Eifersucht, der Neid, die Leidenschaft keinen Platz finden, wo man beseligende Hoffnung und viele Siege erntet. Da gibt es keine Unruhe der Seele, keinen Trübsinn, keinen Zorn; alles atmet Ruhe und Frieden. Man wende dagegen nicht ein, dass in den Häusern der Reichen doch auch die Dienerschaft schweigt; ich rede vom Lärm der Speisenden, und zwar nicht von jenem, den sie untereinander machen2 , sondern von dem Lärm in ihrem Innern, in der S. d1020 Seele, der einen gar mächtig fesselt, von dem Tumult in den Gedanken, dem Sturme, der Finsternis, dem Unwetter, wodurch alles durcheinander gerät und auf den Kopf gestellt wird, als fände ein nächtlicher Kampf statt. Nichts von all dem kommt bei den Mönchen vor; dort herrscht vielmehr die größte Ruhe, die tiefste Stille. Auf die Mahlzeit der Weltmenschen folgt ein todesähnlicher Schlaf; bei den Mönchen Nüchternheit und Wachsamkeit; dort ist Strafe die Folge, hier das Himmelreich und unvergleichlicher Lohn. Ahmen wir darum das Leben der Mönche nach, damit wir auch die Früchte davon ernten, die uns allen zuteil werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Macht sei in alle Ewigkeit. Amen!