4.
Gibt es denn jemanden, fragst du, der so erbärmlich wäre, dass er für seine Seele nicht einmal so viel Sorge aufbrächte? Das ist eben gerade das Befremdliche, dass wir in unseren eigenen Augen so wenig wert sind, dass wir uns geringer anschlagen als unsere Sklaven. Wenn ein Sklave das Fieber hat, so rufen wir einen Arzt, stellen dem Kranken einen eigenen Raum zur Verfügung und nötigen ihn, den Vorschriften der Heilkunst zu folgen. Und wenn er dieselben außer acht lässt, werden wir gegen ihn aufgebracht und stellen Wärter an S. d1063 seine Seite, und zwingen ihn, seinen eigenen Gelüsten zu entsagen. Und wenn die Ärzte teure Heilmittel verschreiben, so willigen wir ein, fügen uns in alle ihre Anordnungen und zahlen ihnen noch Geld für ihre Weisungen. Wenn aber wir selbst krank sind, eigentlich sind wir immer krank, wollen wir nichts von einem Arzt wissen und kein Geld ausgeben; wir vernachlässigen vielmehr unsere Seele, als wäre es ein Henker, ein Feind und Widersacher, der darniederliegt. Damit will ich jedoch die Sorge um die Dienerschaft keineswegs tadeln, im Gegenteil; nur wünsche ich, dass man die gleiche Sorgfalt auch seiner Seele zuwende.
Wie soll ich das aber machen, fragst du? Zeige deine kranke Seele dem hl. Paulus, führe sie zu Matthäus, wende dich an Johannes; von ihnen lass dir sagen, was man in einer solchen Krankheit zu tun hat, sie werden es dir offen und ohne Fehl mitteilen. Sie sind ja nicht tot, sie leben noch in ihren Evangelien fort. Aber die Seele merkt nicht auf sie, sie ist vom Fieber befallen. Nun, so tue ihr Zwang an, rüttle ihren vernünftigen Teil auf. Führe die Propheten zu ihr. Für solche Ärzte braucht man kein Geld auszugeben, sie verlangen keinen Lohn, weder für ihre Mühewaltung noch für die Heilmittel, die sie verschreiben; sie machen dir keine anderen Auslagen als Almosen, im übrigen erhältst du noch etwas von ihnen; z. B. wenn sie dir Mäßigkeit verordnen, bewahren sie dich vor unpassenden und unstatthaften Ausgaben; wenn sie dich vor der Trunkenheit abhalten, vermehren sie dein Vermögen. Siehst du also, wie groß die Kunst dieser Ärzte ist, da sie dir nicht nur zur Gesundheit, sondern auch noch zu Geld verhelfen? Ziehe sie also zu Rate und erkundige dich bei ihnen nach der Art deiner Krankheit. Du trachtest z. B. nach Geld und dürstest nach Besitz wie ein Fiebernder nach kaltem Wasser? Höre, was sie dir raten. Wie ein Arzt, der zu dir spricht: Wenn du dein Gelüste befriedigst, musst du zugrunde gehen und wirst das und jenes zu leiden haben, so spricht auch Paulus: „Die, welche reich werden wollen, fallen in Versuchung und in des Teufels Schlinge und in viele unnütze und schädliche Begierden, welche die Menschen hinabstürzen in Untergang und S. d1064 Verderben“1 . Allein du bist ungeduldig? Höre wieder, was er schreibt: „Noch eine kleine Weile, und der da kommen soll, wird kommen und wird nicht säumen“2 ; „Der Herr ist nahe; in nichts seid bekümmert“3 , und: „Es geht vorüber die Gestalt dieser Welt“4 . Nicht bloß Weisungen gibt er, er spendet auch Trost. Wie ein Arzt, der anstatt eines kalten Trunkes anderes ersinnt, so sucht er deine Begierde auf etwas anderes zu lenken. Du willst reich werden? Sagt er: gut, werde es an guten Werken. Du trachtest nach Schätzen? Es steht dir nichts im Wege, nur suche Schätze für den Himmel. Und wie ein Arzt erklärt, das kalte Trinken schade den Zähnen, den Nerven, den Knochen, so spricht auch er, zwar bündig, da er die Kürze liebt, aber noch viel deutlicher und eindringlicher: „Eine Wurzel aller übel ist die Habsucht“5 . Welches Mittel soll man nun anwenden? Auch das gibt er an. So gegen die Habsucht die Genügsamkeit: „Es ist ein großer Gewinn, die Frömmigkeit mit Genügsamkeit“6 .
Und wenn dir dies schwer fällt, wenn du noch mehr verlangst und es nicht über dich bringst, alles Überflüssige aufzugeben, so weiß er auch für eine solche Krankheit Mittel: „Die sich am Besitztum freuen, seien, als freuten sie sich nicht, die, so etwas haben, als besäßen sie nicht, und die sich dieser Welt bedienen, als bedienten sie sich nicht“7 . Siehst du, das sind die Vorschriften, die er gibt. Soll ich dir noch einen anderen Arzt nennen? Ich halte es für gut. Diese Ärzte sind ja nicht wie die Ärzte für den Leib, welche oft aus Eifersucht gegeneinander den Kranken zugrunde richten; nein, sie haben nur die Genesung des Kranken, nicht ihren eigenen Ehrgeiz im Auge. Fürchte dich also nicht vor der großen Zahl S. d1065 derselben, durch sie alle spricht ja nur ein einziger Meister, nämlich Christus.