4.
Siehst du also, wie ungünstig damals bei den häufigen Kriegen die Lage war, wo doch jedes große Werk im Anfange der Ruhe bedarf? Wie lagen nun damals die Dinge? Es steht nichts im Wege, noch einmal darauf zurückzukommen. Es galt zuerst, gegen die Betrüger zu kämpfen; "es werden", sagt Christus, "falsche Christusse und falsche Propheten auftreten"; sodann gegen die Römer, "ihr werdet von Schlachten hören, drittens werden Seuchen darauf folgen, viertens Hungersnot und Erdbeben, fünftens "sie werden euch in Trübsal stürzen", sechstens "ihr werdet von allen gehasst werden", siebtens "sie werden einander verraten und hassen", womit er den Bürgerkrieg andeutet; dann werden falsche Christusse und falsche Propheten kommen, schließlich "wird die Liebe erkalten", und das ist die Ursache allen Unheiles. Siehst du, wie zahllos, wie neu und unerhört diese Kämpfe sind? Trotz all dieser und noch anderer Widerwärtigkeiten1 drang doch das Evangelium, siegreich über die ganze Erde vor. "Das Evangelium wird auf der ganzen Welt gepredigt werden." Wo bleiben da die Leute, die das unabwendbare Schicksal der "Geburtsstunde" und den "Kreislauf der Zeiten" gegen die Lehrsätze der Kirche ins Feld führen? Wer erinnert sich, dass Christus je wieder erschienen ist, oder dass etwas Derartiges vor sich gegangen ist? So etwas hat man doch noch nicht gefaselt, wenn man auch andere Lügen auftischt, z.B. dass schon Hunderttausende von Jahren dahingegangen seien. Wo ist also der S. d1077 Kreislauf, den ihr aufweisen könnt? Weder Sodoma und Gomorrha noch die Sündflut ist ein zweites Mal aufgetreten. Wie weit wollt ihr mit eurer Spielerei, mit dem Geschwätz von "Kreislauf" und "Geburtsdeuterei" gehen?
Wie kommt es aber, wendet man ein, dass viele Deutungen dieser Art in Erfüllung gehen? Nachdem du dich selber der Hilfe Gottes beraubt, dich verraten und der Vorsehung entzogen hast, lenkt der Teufel deine Angelegenheiten und gestaltet sie, wie er will; bei den Heiligen konnte er das nicht, ja nicht einmal bei uns armen Sündern vermag er es, obschon wir die Vorsehung gar sehr missachten. Mag auch unser Leben verwerflich sein, so sind wir doch, da wir mit Gottes Gnade fest an den Wahrheiten des Glaubens halten, über die Anfechtungen des Teufels erhaben. Was ist denn im Grunde genommen die ganze Geburtsdeuterei? Die reine Bosheit und Verrücktheit, der Glaube, dass alles nur durch Zufall geschehe, nein, nicht bloß durch Zufall, sondern in einer Weise, die geradezu der gesunden Vernunft zuwider ist. Wenn es nun mit der Geburtsdeuterei nichts ist, entgegnest du, wie kommt es dann aber, dass der eine reich, der andere arm ist? Ich weiß es nicht. Diese Antwort gebe ich dir, um dich zu belehren, dass man nicht alles ergründen kann, aber auch, dass man deshalb noch nicht alles auf den Zufall zurückführen muss. Wenn du nämlich etwas nicht weißt, so darfst du darum doch nicht erdichten, was nicht wahr ist. Bewusstes Nichtwissen ist immerhin besser als falsches Wissen. Wer über eine Ursache bloß im unklaren ist, wird rasch auf die richtige Fährte kommen; wer hingegen in Unkenntnis der wahren Ursache eine falsche annimmt, wird nur schwer imstande sein, die richtige zu finden; es wird viel Mühe und Anstrengung kosten, die verkehrte Ansicht zu beseitigen. Es ist da wie bei einer Schreibtafel. Wenn sie geglättet ist, lässt sich leicht darauf schreiben; ist sie aber bekritzelt, dann ist es nicht mehr so leicht, man muss zuerst die Schrift, die nicht hingehört, ausstreichen. Dasselbe gilt auch sonst. So ist es besser, wenn ein Arzt gar nicht behandelt, als wenn er S. d1078 Schädliches verordnet; es ist schlimmer, schadhaft zu bauen, als überhaupt nicht zu bauen; wie es auch besser ist, ein Stück Land liegt brach, als dass es Disteln trägt. Wir sollen demnach nicht alles ergründen wollen, sondern uns zufrieden geben, wenn wir auch einiges nicht verstehen, damit jemand, der uns etwas belehren will, nicht doppelte Mühe mit uns hat. Mancher ist schon unheilbar geblieben, weil er einmal verkehrte Ansichten angenommen hatte. Es ist eben nicht die gleiche Arbeit, ob man unbebautes Land bepflanzt oder ob man erst böses Wurzelwerk ausreuten muss, um säen zu können. Dort ist das Ohr schon willig zum Hören, hier muss man erst jäten, ehe man neu säen kann.
Woher kommt es also, dass dieser oder jener reich ist? Ich will es euch jetzt sagen. Einige kommen zu Reichtum, weil Gott es so fügt, viele auch, weil Gott es zulässt. Das ist die kurze und einfache Erklärung. Wie? fragst du, dem Buhler, dem Ehebrecher, dem Kuppler, dem Verschwender verleiht Gott selbst Reichtum? Nein, Gott fügt das nicht, aber er lässt es zu, dass ein solcher reich wird. Es ist ein gar gewaltiger und grenzenloser Unterschied zwischen Fügen und Zulassen. Aber warum lässt er es überhaupt zu? Weil die Zeit des Gerichtes noch nicht da ist, wo ein jeder nach Verdienst empfängt. Gibt es wohl etwas Hässlicheres, als dass jener Reiche dem Lazarus nicht einmal die Brosamen gab? Nun, es ging ihm aber auch nachher am allerelendesten, denn er konnte nicht einmal einen Tropfen Wasser erhalten, und der Grund davon lag hauptsächlich darin, dass er trotz seines Reichtums so hartherzig war. Sind zwei Menschen gottlos gewesen, wovon der eine auf Erden reich, der andere arm war, so richtet sich auch die Strafe nach ihren verschiedenen Verhältnissen im Leben; der Bessergestellte wird strenger gestraft, als der andere.
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zu den Bürgerkriegen gesellten sich die Streitigkeiten unter den Verwandten ↩