3.
Damit sie nun nicht bloß an jenem Tage eifrig wären, sondern jederzeit, so offenbart er ihnen weder im allgemeinen noch im besonderen den Tag, weil er will, dass sie desselben immer gewärtig seien. Ebendarum hat er auch das Lebensende eines jeden einzelnen im Dunkel gelassen. Ferner legt er sich hier mit unverhüllter Offenheit wie nirgends sonst den Namen "Herr" bei. An dieser Stelle geißelt er, glaube ich, die Nachlässigen, dass sie nicht einmal so viel Eifer auf ihre Seele verwenden, wie Leute, die einen Dieb fürchten, auf ihr Geld. Diese treibt die Befürchtung zur Wachsamkeit, nichts aus ihrem Hause rauben zu lassen; ihr aber, will der Herr sagen, wisset, und zwar ganz gewiss, dass er kommen wird, und seid trotzdem nicht wachsam und bereit, nicht unvorbereitet von hier abgerufen zu werden. Daher wird jener Tag die Schlafenden zu ihrem Verderben überraschen. Wie der Hausvater sich hütete, wenn er wüsste1 , so werdet auch ihr dem Unheil entgehen, wenn ihr gerüstet seid. Nachdem er vom Gericht gesprochen, wendet sich Jesus schließlich an die Lehrer und spricht von Strafe und Lohn. Hierbei handelt er zuerst von den Tugendhaften, dann von den Sündern und schließt seine Rede mit dem, was Furcht einflößen soll. Zuerst sagt er daher:
V.45: "Wer ist also der getreue und kluge Knecht, welchen der Herr über sein Hausgesinde gesetzt hat, um ihnen zur rechten Zeit die Speise zu geben?
V.46: Selig jener Knecht, welchen sein Herr, wenn er ankommt, also tun sieht.
V.47: Wahrlich, ich sage euch, über alle seine Besitztümer wird er ihn setzen."
Sage mir doch, deuten auch diese Worte darauf hin, dass der Herr2 nicht kenne? Denn wenn du dies aus den Worten herausliesest; "Auch der Sohn weiß es nicht", was sagst du dann dazu, wenn er spricht: "Wer ist demnach ...?" Oder willst du behaupten, er wisse auch das nicht? Fort mit solchen Reden! Nicht einmal ein Wahnsinniger würde solche Torheiten sagen; ließe sich dort noch ein Grund dafür anführen, so ist es hier ganz ausgeschlossen. Als der Herr fragte: "Petrus, liebst du mich?"3 , oder als er fragte: "Wohin habt ihr ihn gelegt?"4 , geschah das aus Unwissenheit? Auch der Vater drückt sich ähnlich aus. So sprach er: "Adam, wo bist du?"5 , und: "Der Ruf Sodomas und Gomorrhas ist vielfach zu mir gedrungen. Ich will also hinabgehen und sehen, ob sie wirklich nach dem Rufe, welcher zu mir gekommen ist, getan haben; wenn nicht, damit ich es wisse"6 . An anderen Stellen wieder: "Ob sie etwas hören, ob sie etwas einsehen"7 . Und im Evangelium: "Vielleicht werden sie meinen Sohn achten"8 ; lauter Reden, wie man sie braucht, wenn man etwas nicht weiß. Allein nicht aus Unwissenheit sprach er so, sondern um auf diese Weise seine Absicht zu erreichen: bei Adam, um ihn zur Anklage seiner Sünde zu bewegen, bei Sodoma, um uns zu unterweisen, dass wir nicht eher urteilen sollen, als bis wir den Tatbestand kennen, bei dem Propheten, um zu bewerkstelligen, dass die Einsichtslosen nicht glauben, die Weissagung habe den Ungehorsam mit Notwendigkeit S. d1105 herbeigeführt, in dem Gleichnisse des Evangeliums, um zu zeigen, dass sie wirklich den Sohn hätten achten sollen; an unserer Stelle endlich, um die Jünger einerseits von unnötigem Grübeln und Vorwitz abzuhalten, und anderseits darauf hinzuweisen, wie selten und schätzenswert ein solcher Fall sei. Siehe also, wie groß die Unwissenheit wäre, die in seinen Worten läge, wenn er nicht einmal wüsste, wen er eingesetzt hat. Preist er doch den Knecht selig mit den Worten: "Selig jener Knecht", ohne zu sagen, wer es ist. "Wer ist der, den der Herr gesetzt über sein Hausgesinde?" und: „Selig jener Knecht, welchen sein Herr also tun sieht", heißt es.
Alles das gilt indessen nicht bloß von den Talenten, sondern auch vom Worte, von den Kräften, von den Charismen und von allen übernatürlichen Gaben, die einer empfangen hat. Ja, auch auf die weltlichen Machthaber ließe sich das Gleichnis anwenden. Jeder soll nämlich das, was er besitzt, sei es Weisheit oder Gewalt oder Reichtum oder sonst etwas, zum allgemeinen Wohle verwenden, nicht aber zum Nachteile seiner Mitmenschen oder zum eigenen Verderben. Deshalb verlangt der Herr von den Knechten zwei Dinge: Klugheit und Treue. Die Sünde hat nämlich ihre Quelle in der Einsichtslosigkeit. Treu heißt er ihn, weil er vom Eigentum des Herrn nichts veruntreut oder zweck- und planlos verwendet hatte, und klug, weil er die anvertrauten Güter in gebührender Weise zu verwalten wusste. Beides ist ja auch notwendig, wir dürfen die Güter des Herrn nicht unterschlagen und sollen sorglich damit umgehen. Fehlt das eine, dann ist auch das andere mangelhaft. Denn wenn du auch treu bist und nicht stiehlst, wenn du aber verschwenderisch und nachlässig bist, so verdienst du großen Tadel; und wenn du zwar haushälterisch zu sein verstehst, dabei aber untreu bist, so ist auch das kein geringes Vergehen. Beherzigen auch wir es, wenn wir Vermögen besitzen. Die Lehren des Herrn gelten ja nicht bloß den Jüngern, sondern auch den Reichen. Beiden ist Reichtum anvertraut: den Lehrern der wichtigere, euch S. d1106 Reichen der geringere. Wenn nun die Lehrer das Bedeutendere austeilen, wie groß muss dann eure Schuld sein, wenn ihr bei dem Geringfügigeren keine Hochherzigkeit, ja ich will nicht sagen Hochherzigkeit, nicht einmal Dankbarkeit bekunden wollt9 ? Aber anstatt von der Strafe derer, welche dem zuwiderhandeln, lasset uns jetzt vom Lohne desjenigen sprechen, der recht handelt. "Wahrlich, ich sage euch, über alle seine Güter wird er ihn setzen." Kann es eine Ehre geben, die dieser gleicht? Wer ist beredt genug, um die Würde, die Seligkeit des Menschen zu schildern, den der König des Himmels, der Herr des Alls über alle seine Güter setzen wird? Eben darum nannte er ihn auch klug, weil er es verstand, das Große über dem Kleinen nicht aus dem Auge zu verlieren, sondern durch Enthaltsamkeit hier auf Erden den Himmel zu gewinnen.