2.
Nicht allein durch diesen Hinweis, sondern auch durch die Worte: „in die Hände der Sünder" sucht Jesus den Mut der Apostel aufzurichten; denn er zeigt ihnen damit, dass er keiner Sünde schuldig sei, sondern dass die Bosheit der Juden die Sache ins Werk setze.
V.46: „Stehet auf und lasset uns gehen! Sehet, nahe ist der, welcher mich überantwortet."
Immer wieder belehrt er sie, dass sein Leiden nicht eine Folge des Zwanges oder der Schwäche, sondern der Ausfluss eines geheimnisvollen Ratschlusses sei. Er wusste wohl, was ihm bevorstand, und doch floh er nicht, ja er ging ihnen sogar noch entgegen.
V.47: „Noch während er redete, siehe, da kam Judas, einer von den zwölfen und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und Knütteln, gesendet von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes."
Das ist eine schöne Ausrüstung für Priester; mit Schwertern und Prügeln rücken sie an. Und „Judas", heißt es, „einer von den zwölfen, war mit ihnen". Wieder bezeichnet ihn der Evangelist unbedenklich als einen von den zwölfen.
V.48: „Der aber, welcher ihn verriet, gab ihnen ein Zeichen, indem er sagte: Welchen ich küssen werde, der ist es, ihn nehmet fest."
O, welch eine Bosheit hatte doch in der Seele des Verräters platzgegriffen! Mit was für Augen sah er denn damals seinen Meister an? Mit was für einem Munde küsste er ihn? O diese Niederträchtigkeit! Was plante er? Was unterfing er sich? Was für ein Zeichen hat er für den Verrat angegeben? „Den ich küssen werde", sagt er. Er baute auf die Nachsicht des Meisters. Gerade das musste ihn am meisten beschämen, ihn aber auch um jede Verzeihung bringen, dass er einen so milden Herrn verriet.
Warum hatte er aber dieses Zeichen angegeben? Weil Christus oft, obschon ergriffen, ihnen entgangen war, ohne dass sie es merkten. Auch dieses Mal wäre es so geschehen, wenn er gewollt hätte. Zum Beweise dafür blendet er auch jetzt ihre Blicke und fragt: „Wen suchet ihr?"1. Sie kannten ihn nicht, trotzdem sie Laternen und Fackeln mithatten und Judas unter ihnen S. d1185 war. Als sie dann antworteten: „Jesum", erwiderte er: „Ich bin es, den ihr suchet"2. Darauf fragte er:
V.50: „Freund, wozu bist du gekommen?" Erst nachdem er einen Beweis seiner Macht gegeben, ließ er sie ihr Vorhaben ausführen. Johannes berichtet, dass der Herr sogar jetzt noch Judas zu bessern suchte, indem er sagte: „Judas, mit einem Kusse verrätst du den Menschensohn?"3. Schämst du dich nicht einer solchen Art des Verrates? Da aber auch das ihn nicht abheilt, ließ er sich küssen und übergab sich ihnen willig; sie legten Hand an ihn und bemächtigten sich seiner in eben der Nacht, da sie das Osterlamm gegessen hatten; so groß war ihre Leidenschaft und Wut. Aber sie hätten gleichwohl nichts über ihn vermocht, wenn er sich ihnen nicht freiwillig überlassen hätte. Dadurch kann aber Judas doch nicht von der fürchterlichen Strafe befreit werden, sondern es verdammt ihn nur um so mehr, dass er trotz eines so klaren Beweises von der Macht, Nachsicht, Milde und Sanftmut Christi schlimmer war als das wildeste Tier. Da wir also die Ursache davon kennen, so lasset uns doch ja der Habsucht fliehen. Sie, ja sie war es, die den Verräter außer sich brachte. Wen sie einmal ergriffen hat, den treibt sie zur äußersten Grenze der Grausamkeit und Unmenschlichkeit. Wenn sie schon zur Verzweiflung am eigenen Heile führt, um wieviel mehr zur Vernachlässigung des Heiles der anderen. Solche Gewalt übt diese Leidenschaft aus, dass sie manchmal sogar stärker wird als die heftigste sinnliche Liebe. Ich verhülle mein Antlitz darüber, dass es viele gibt, die ihre Geilheit im Zaume hielten, nur um Geld zu sparen, während die Furcht vor Christus nicht imstande war, sie zu einem enthaltsamen und züchtigen Leben zu bewegen. Fliehen wir demnach dieses Laster. Ich werde nie aufhören, das immer von neuem zu wiederholen. Was scharrst du auch Gold zusammen, o Mensch, weshalb machst du deine Knechtschaft noch härter, den Kerker S. d1186 noch empfindlicher, die Sorge noch schwerer? Stelle dir einmal vor, die Goldkörner, die in den Bergwerken ausgegraben werden, das Gold, das in Königspalästen liegt, sei alles dein. Wenn du nun auch diesen Haufen besäßest, du würdest ihn bloß hüten, ohne ihn zu verwenden; denn wenn du schon jetzt dein Vermögen nicht angreifst, als wäre es fremdes Eigentum, so würdest du es um so mehr so machen, wenn du noch mehr besäßest. Es ist ja eine Erfahrung, dass die Geizhälse nur um so emsiger sparen, je mehr sie erworben haben. Aber ich weiß doch, wendet man ein, dass es mein ist. Dein Besitz besteht also in einer Voraussetzung, nicht im Genusse. Allein, ich möchte mir vor der Welt Geltung verschaffen. Du bietest aber nur leichte Angriffspunkte für reich und arm, für Räuber und Gaukler, für Sklaven und überhaupt für jeden, der dir nachstellen will. Willst du in Geltung stehen, so entferne die Handhaben, an denen man dich fassen kann, wenn man darauf ausgehen sollte, dich zu kränken. Oder hast du nicht gehört, was das Sprichwort sagt: Einem Armen und Nackten vermögen hundert zusammen nichts zu rauben? Es steht ihm eben die mächtigste Beschützerin zur Seite, die Armut, die nicht einmal ein Herrscher überwinden oder fassen kann.