3.
Dem Habsüchtigen kann jeder wehe tun. Wozu sollte ich aber Menschen erwähnen, wo Motten und Würmer gegen ihn zu Felde ziehen? Würmer? Nein, auch wenn ihn sonst gar nichts behelligt, die Zeit allein genügt, ihm den größten Schaden zuzufügen. Welche Freude gewährt also der Reichtum? Ich sehe nur Widerwärtigkeiten, die er mit sich bringt; bietet er auch Annehmlichkeiten, so ist es an dir, sie mir zu nennen. Was für Widerwärtigkeiten sind das, fragst du? Sorgen, Nachstellungen, Feindschaft, Hass, Angst, fortwährender Durst und Schmerz. Wie jemand aufs heftigste gefoltert wird, der ein geliebtes Mädchen umarmt, ohne seine Lust befriedigen zu können, so geht es auch dem Reichen. Er besitzt die Fülle und umfasst sie, kann aber seine Lust nicht völlig stillen, sondern es geht ihm nach dem Spruch des Weisen: „Eines Verschnittenen S. d1187 Begierde, eine Jungfrau zu schänden“1 , und: „wie ein Verschnittener, der eine Jungfrau umarmen will und seufzet“2 , so geht es allen Reichen. Was soll man noch weiter sagen? Ist ein Geizhals nicht allen zuwider, den Dienern, den Bauern, den Nachbarn, den Staatsmännern, den Geschädigten und Nichtgeschädigten, am allermeisten seinem Weibe, noch mehr seinen Kindern? Er erzieht sie nicht wie Freie, sondern elender als Gefangene und Sklaven. Er macht sich bei tausend Gelegenheiten zum Gegenstande des Zornes, des Ärgers, der Ausgelassenheit und des Gelächters, allen ist er eine Zielscheibe des Spottes. Das sind so einige von den Widerwärtigkeiten3 , und vielleicht gibt es deren noch mehr; man kann sie ja gar nicht alle schildern; die Erfahrung wird indessen Beispiele genug liefern können. Nun nenne du mir die Freuden des Geizes. Ich halte mich für reich, sagst du, und gelte dafür. Was bietet aber das für ein Vergnügen, wenn man dafür gilt? Es hat doch einen beneidenswerten schönen Klang. Einen Klang allerdings hat der Reichtum, aber auch nur einen Klang ohne Gehalt.
Aber dem Reichen tut es doch wohl, dass er für reich gehalten wird! Ja, er freut sich, aber an einer Sache, die ihm wehtun sollte. Wehtun? Warum, fragst du? Weil er dadurch zu allem untauglich, feige und unmännlich wird, zum Wandern und zum Tode; das empfindet er doppelt schwer, da er am Gelde mehr als am Leben hängt. Einen Habsüchtigen freut auch der Himmel nicht, weil er kein Gold einträgt, noch die Sonne, weil sie keine goldenen Strahlen aussendet. Aber es gibt doch Leute, entgegnest du, die ihr Vermögen genießen in Üppigkeit, Schwelgerei, Trinkgelagen und prunkvollem Aufwand. Das sind nun gerade die Schlechtesten unter den Reichen, die du da andeutest; sie sind es eben, die von ihrem Hab und Gut keinen Genuss haben. Die anderen sind nur in eine Gier verstrickt, enthalten sich aber der übrigen Laster; diese hingegen sind elender, da sie zu der erwähnten noch das Gelichter S. d1188 anderer niederträchtiger Gebieterinnen fügen, bösen Tyrannen huldigen, wie dem Bauche, der Wollust, der Trunksucht und den anderen Zügellosigkeiten, und zwar Tag für Tag, da sie überdies Buhldirnen halten, prunkvolle Mahlzeiten geben, Schmarotzer und Schmeichler erkaufen, Liebschaften gegen die Natur unterhalten und infolgedessen in tausend Krankheiten an Leib und Seele verfallen. Sie verwenden ihre Habe nicht auf die Bedürfnisse, sondern zum Verderben des Leibes und gleichzeitig zum Untergange der Seele. Sie handeln wie ein Mensch, der meint, er verschaffe sich einen Genuss, wenn er seinen Leib schmückt. Nur der allein genießt Freude und ist Herr seines Vermögens, der den Reichtum gebraucht, wie es sich gehört. Die anderen sind nur Knechte und Sklaven, da sie die Leiden des Leibes und die Krankheiten der Seele nähren. Was soll da für ein Genuss möglich sein, wo Belagerung, Krieg und Sturm wütet, gefährlicher als alles Toben des Meeres? Wenn der Reichtum Unverständigen zufällt, macht er sie noch unverständiger, und Lüstlinge macht er noch wollüstiger. Was nützt aber, fragst du, dem Armen seine Einsicht? Das kannst du freilich nicht wissen. Der Blinde weiß eben nicht, was das Licht wert ist. Höre was Salomon sagt: „So groß der Unterschied ist zwischen Finsternis und Licht, so sehr ist der Weise dem Tor überlegen“4 . Wie sollen wir aber einen belehren, der in der Finsternis befangen ist? Finsternis ist nämlich die Liebe zum Gelde, da sie gar nichts so erscheinen lässt, wie es wirklich ist, sonders anders. Wie es nämlich im Finstern einerlei ist, ob man Gold oder Edelsteine oder Purpurgewänder sieht, weil man ihre Schönheit nicht wahrnimmt, so erkennt auch der Habsüchtige nicht die Schönheit des Erstrebenswerten, wie es nötig ist. Lichte einmal das Dunkel, das diese Leidenschaft verbreitet, dann wirst du das wahre Wesen der Dinge durchschauen. Nirgends tritt das so deutlich zu tage wie in der Armut, nirgends erweist sich der Schein so sehr als nichtig wie im Tugendleben.