1.
V.27: „Da nahmen die Soldaten des Landpflegers Jesum hinein in das Gerichtshaus und versammelten um ihn die ganze Truppe,
V.28: und sie zogen ihn aus und legten ihm einen Scharlachmantel um,
V.29: und sie flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt, und gaben ein Rohr in seine Rechte. Und sie beugten das Knie vor ihm, höhnten ihn und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden.“
Wie auf Vereinbarung hin boten damals alle dem Teufel Gelegenheit zum Frohlocken. Es begreift sich noch, dass die Juden vor Neid und Scheelsucht vergingen und deshalb gegen den Herrn tobten, aber woher, aus welcher Ursache taten es auch die Soldaten? Ist es nicht klar, dass der Teufel damals in all diesen Menschen wütete? Sie machten sich in ihrer Grausamkeit und Roheit eine Freude aus der Misshandlung des Herrn. Wo sie hätten niedergeschlagen sein und weinen sollen, wie es ja auch das Volk tat, da tun sie gerade das Gegenteil, sie misshandeln und treten ihn, vielleicht auch um den Juden einen Gefallen zu leisten oder um ihrer eigenen Bosheit die Zügel schießen zu lassen. Die Misshandlungen sind von der verschiedensten Art. Bald schlagen sie das göttliche Haupt mit Fäusten, bald verhöhnen sie es durch die Dornenkrone, bald hauen sie mit dem Rohr darauf, diese elenden, verruchten Menschen. Nachdem aber Christus solche Misshandlungen erduldet hat, sollen wir uns da noch etwas daraus machen, wenn es uns ebenso geht? Es wurde ja auch das Äußerste geleistet an Hohn. Nicht etwa nur ein Glied, nein, der ganze Leib ohne Ausnahme wurde misshandelt, das Haupt durch die Krone, durch die Schläge S. d1226 mit dem Rohr und mit Fäusten, das Antlitz durch Anspeien, die Wangen durch Streiche, der ganze Leib durch die Geißelung, durch das Bekleiden mit dem Mantel und die spöttische Anbetung, die Hand durch das Rohr, das man ihm als Szepter gegeben hatte, der Mund durch das Darreichen des Essigs. Gibt es noch etwas Abscheulicheres, etwas Schimpflicheres? Was da geschah, spottet jeder Beschreibung. Alles betreiben sie so, als fürchteten sie, es könnte etwas an der Untat fehlen. Die Propheten hatten sie mit eigenen Händen um gebracht, Christum töten sie durch das Urteil des Richters, und sie werden Mörder, indem sie ihn verurteilen und vor ihrem eigenen Gericht, wie auch bei Pilatus schuldig sprechen und sagen: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ Sie misshandeln und beschimpfen ihn selbst, indem sie ihn fesseln und fortführen, und sind auch schuld, dass ihn die Soldaten verhöhnen; dann nageln sie ihn an, schmähen und bespeien ihn und treiben ihren Spott mit ihm. Dazu hat Pilatus gar nichts beigetragen, sondern alles haben sie allein getan, sie sind alles zugleich geworden: Ankläger, Richter und Henker.
Und das wird bei uns in voller Versammlung vorgelesen. Damit nämlich die Heiden uns nicht vorwerfen können, wir teilten dem Volke und den Laien nur das Glänzende und Herrliche im Leben Jesus mit, wie die Zeichen und Wunder, das Schmachvolle aber verhehlten wir, deshalb hat der Heilige Geist in seiner Gnade es so eingerichtet, dass alle diese Begebenheiten verlesen werden, wenn sich an dem Hochfeste Männer und Frauen in großer Zahl, und überhaupt alle ohne Ausnahme am großen Osterabend versammeln; wenn alle Welt zugegen ist, dann wird es mit lauter Stimme verkündet. Und trotzdem es verlesen wird, obschon alle wissen, glaubt man doch, dass Christus Gott ist. Unter anderem ist auch das ein Grund, ihn anzubeten, weil er sich würdigte, um unseretwillen sich so weit zu erniedrigen, dass er solches litt und uns in jeglicher Tugend unterwies. Wir sollen mithin seine Leidensgeschichte fleißig lesen und wir werden reichen Nutzen und den größten Vorteil daraus ziehen. Wenn du nämlich siehst, wie er durch S. d1227 Gebärden und Tätlichkeiten verspottet, mit so viel Hohn angebetet, ins Gesicht geschlagen und das Fürchterlichste leidet, wirst du, und wärest du auch ein Stein, doch weich werden wie Wachs und alle Hoffart aus der Seele wegschaffen. Vernimm also auch noch, was folgt:
V.31: „Und als sie ihn verspottet hatten, führten sie ihn fort, um ihn zu kreuzigen“,
und sie zogen ihm die Kleider aus und nahmen sie für sich; dann setzten sie sich nieder, um zu warten, bis er stürbe. Sie verteilten seine Kleider, wie es bei ganz gemeinen und verworfenen Verbrechern geschieht, die niemanden haben und ganz verlassen sind. Sie verteilten seine Kleider, durch die so große Wunder geschehen waren. Aber jetzt wirken sie nichts, da Christus ihre geheimnisvolle Kraft zurückhielt. Auch in diesem Vorgange lag eine weitere nicht geringe Beschimpfung. Alle Schandtaten verübten sie an ihm, als wäre er, wie gesagt, ein ehrloser und verworfener, ja der allergemeinste Mensch. Mit den zwei Räubern gingen sie nicht so um; gegen Christus erlaubten sie sich alles. Deshalb stellten sie auch sein Kreuz zwischen beiden auf, damit ihre Verruchtheit auch auf ihn falle.
V.34: „Und sie gaben ihm Essig zu trinken“,
um ihn auch damit zu verhöhnen; er mochte ihn jedoch nicht. Ein anderer Evangelist berichtet, er habe gekostet und dann gesagt: „Es ist vollbracht“1 . Was bedeutet das: „Es ist vollbracht“? Das heißt, die Prophezeiung über ihn ist in Erfüllung gegangen: „Sie gaben in meine Speise Galle und in meinem Durste tränkten sie mich mit Essig“2 . Aber auch da wird nicht gesagt, er habe getrunken; denn es ist kein Unterschied zwischen dem bloßen Kosten und nicht Trinken, es bedeutet ein und dasselbe. Aber auch hierbei bleiben sie bei ihrem Taumel nicht stehen. Nachdem sie den Herrn entkleidet, gekreuzigt und ihm Essig angeboten, gehen sie weiter: sie schmähen ihn, während er am Kreuze angenagelt hängt, ebenso tun auch die Vorübergehenden. Das war S. d1228 weil er ein Betrüger und Verführer, ein Prahler und eitler Großsprecher sei. Deshalb hatten sie ihn auch öffentlich gekreuzigt, um ihn in den Augen aller Welt bloßzustellen; deshalb hatte es auch durch die Hände oder Soldaten geschehen müssen, damit die Schmach um so größer sei, da ja dies alles an einem öffentlichen Gerichtshof vor sich ging.