5.
Was bildest du dir auch viel auf dein Vaterland ein, so sagt gleichsam der Herr, wenn ich will, dass dir die ganze Welt fremd sei, wenn du so werden kannst, dass die ganze Welt deiner nicht wert ist?1 . Denn so wertlos sind diese weltlichen Dinge, dass nicht einmal die heidnischen Philosophen sie für nennenswert fanden, sondern sie Äußerlichkeiten nannten, denen der S. 157allerletzte Platz zukomme. Jedoch, sagst du, Paulus anerkennt solche Rücksichten, wenn er sagt: „Infolge der Berufung sind sie uns lieb, wegen ihrer Väter“2 . Indes sage mir doch, wann, von wem und zu wem hat Paulus so gesprochen? Zu den Heidenchristen, die sich auf ihren Glauben zu viel einbildeten, die Judenchristen bekämpften, und sie so noch mehr von sich abstießen; er will damit die Selbstüberhebung der einen etwas demütigen, und die anderen anziehen, um sie mit dem gleichen Eifer zu erfüllen. Höre doch nur, wie er spricht, wenn er von jenen edlen und großen Männern redet: „Diejenigen, die also reden, bekunden damit, dass sie ein Vaterland suchen. Und wenn sie an jenes hätten zurückdenken sollen, das sie verlassen hatten, so hätten sie ja Gelegenheit gehabt, dahin zurückzukehren. Jetzt aber streben sie nach einem anderen und besseren“3 . Und ebenso sagt er:„Im Glauben sind alle diese gestorben, ohne der Verheißungen teilhaft geworden zu sein; nur von weitem haben sie dieselben geschaut und begrüßt“4 . In gleicher Weise sagte Johannes zu denen, die zu ihm kamen: „Saget nur nicht: Wir haben Abraham, zum Vater“5 . Und Paulus wiederum schreibt; „Nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israeliten, und die Kinder des Fleisches sind nicht die Kinder Gottes“6 . Was nützte den Kinder Samuels der Adel ihres Vaters, nachdem sie nicht die Erben seiner Tugend geworden? Und welchen Vorteil hatten die Nachkommen des Moses, die dessen Rechtschaffenheit nicht nachahmten? Nicht einmal in der Herrschaft folgten sie ihm nach; während sie ihn ihren Vater nannten, ging die Leitung des Volkes an einen anderen über, der sein Sohn der Tugend nach geworden.
Was schadete es dem Timotheus, dass sein Vater ein Heide war? Und was nützte dem Sohne des Noe die Vortrefflichkeit seines Vaters, da er doch aus einem Freien ein Sklave geworden? Siehst du, dass des Vaters Adel nicht genügt, S. 158um den Söhnen Ansehen zu verschaffen? Die Schlechtigkeit des freien Willens wog mehr als die Gesetze der Natur, und brachte ihn nicht nur um den Adel seines Vaters, sondern auch um seine eigene Freiheit. Und wie ging es mit Esau? War er nicht der Sohn Isaaks, und stand unter der schützenden Fürsorge seines Vaters? Sein Vater bemühte sich ja auf jede Weise, dass auch er an seinem Segen Anteil bekäme, und dieser selbst tat eben deswegen alles, was ihm aufgetragen worden war. Aber trotzdem nützte ihm dies in seiner Verkehrtheit alles nichts; obwohl er der Geburt nach der erste war, und der Vater zu ihm hielt, der alles zu diesem Zwecks für ihn tat, verlor er doch alles, weil Gott nicht auf seiner Seite stand. Und was rede ich nur von Menschen? Die Juden waren Kinder Gottes geworden, und doch hat ihnen diese Würde nichts genützt. Wenn also einer, der ein Kind Gottes geworden ist, aber den Tugendgrad nicht aufzuweisen hat, der sich für einen solchen Vorrang geziemt, so wird er dafür nur um so mehr gestraft. Was kommst du mir also da und redest von dem Adel deiner Vorfahren und Großeltern? Diese Regel gilt ja nicht bloß für das Alte Testament, sondern auch für das Neue. „Denn allen denen, die ihm Aufnahme gewährten, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden“7 . Aber dennoch sagt der hl. Paulus, werde solche Vaterschaft vielen dieser Kinder keinen Nutzen bringen: „Denn, wenn ihr euch beschneiden lasset. wird Christus euch nichts nützen“8 . Wenn aber Christus denen nichts nützen wird, die auf sich selbst nicht achten wollen, wie soll ein Mensch ihnen helfen?
Bilden wir uns also weder auf Adel noch auf Reichtum vieles ein; im Gegenteil, bemitleiden wir die, die solches tun. Und werden wir nicht traurig ob unserer Armut, sondern suchen wir den Reichtum, der in den guten Werken liegt. Fliehen wir dagegen jene Armut, in die uns die Sünde stürzt, und die auch jenen Reichen9 arm gemacht hatte; denn ihrethalben erhielt S. 159er nicht einmal ein Tröpflein Wasser, wie sehr er auch darum bat. Wer von uns wäre aber so arm, wie er10 ? Gewiss kein einziger! Denn selbst diejenigen, die vom ärgsten Hunger gepeinigt werden, finden wenigstens einen Tropfen Wasser zu schlürfen; ja nicht bloß einen Wassertropfen, sondern noch viel größere Linderung. Nicht so jener Reiche, dessen Armut soweit ging. Was aber noch schlimmer war, er konnte gar niemals auch nur die geringste Linderung in seiner Armut finden. Was rühmen wir uns also unserer Reichtümer, da sie uns doch nicht in den Himmel verhelfen? Sage mir doch: Wenn ein König dieser Welt sagte, kein Reicher könne in seinem Palast zu Glanz und Ehre gelangen, würdet ihr nicht alle euer Eigentum wegwerfen wie eine wertlose Sache? Also, wenn eure Reichtümer euch der Gunst eines irdischen Königs beraubten, dann sind sie wertlos; wenn aber der König des Himmels tagtäglich uns zuruft und sagt, es sei schwer, mit denselben in diese heilige Hallen einzutreten, sollen wir da nicht alles wegwerfen, sollen wir uns nicht unseres Eigentums entäußern, damit wir frei und zuversichtlich den Königspalast betreten können?