2.
Ganz treffend hat er ihnen auch den Namen "Vipernbrut" gegeben. Von diesem Tiere sagt man S. 181nämlich, es komme auf die Welt, nachdem es der Mutter dadurch den Tod gebracht, dass es sich durch ihren Leib durchfrißt. So machten es ja auch die Pharisäer, die Väterund Muttermörder geworden, und ihre Lehrer mit eigener Hand getötet haben. Indes bleibt Johannes bei seinem Tadel nicht stehen; er fügt noch einen guten Rat hinzu, indem er sagt:
V.8: "Bringt würdige Früchte der Buße."
Es genügt nämlich nicht, nur das Böse zu fliehen, ihr müsst auch viel Gutes tun. Macht es ihr also nicht umgekehrt wie sonst immer, und wendet euch nicht nach kurzer Besserung zu eurer früher gewohnten Schlechtigkeit zurück. Ich bin nicht zum gleichen Zweck gekommen, wie die früheren Propheten. Jetzt handelt es sich um Anderes und Höheres; denn der Richter selbst wird jetzt kommen, der Herr des Himmelreiches in eigener Person, um uns zu einer höheren Weisheit zu führen, uns zum Himmel zu rufen, und zu den himmlischen Wohnungen zu ziehen. Darum beginne ich meine Rede mit der Hölle: denn das Gute wie das Böse dauert ewig. Verharret also nicht immer in den gleichen Sünden, und kommt nicht immer mit dem alten Gerede von Abraham und Isaak und Jakob, und der hohen Geburt eurer Stammväter. So sprach aber Johannes, nicht weil er sie hindern wollte, zu sagen, dass sie von jenen Heiligen abstammen, sondern um sie von ihrem vermessenen Vertrauen auf ihre Abstammung abzubringen, da sie ihretwegen die geistigen Tugenden vernachlässigten; zugleich wollte er aber auch offenbaren, wie sie in ihrem Inneren dachten, und wollte auch die Zukunft vorherverkünden. Denn auch später kommen sie wieder daher und sagen:"Wir haben Abraham zum Vater, und sind niemals irgend jemandens Knechte gewesen"1 . Da also dieser Punkt es war, der sie am meisten zum Hochmut veranlasste und ins Verderben führte, so greift er diesen zuerst an. Beachte aber, wie er unter Wahrung des Ansehens des Patriarchen die Pharisäer zurückweist. Nach den Worten:
V.9: "Rühmet euch nicht und saget nicht: Wir haben Abraham zu unserem Stammvater",
fährt er nicht weiter: denn dieser Patriarch wird euch ja doch nichts nützen können; nein, er kleidet den gleichen Gedanken in die viel milderen und höflicheren Worte:
"Denn Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken."
Da behaupten nun einige, Johannes rede hier von den Heiden, die er im bildlichen Sinne Steine nenne. Ich glaube aber, seine Worte haben auch noch einen anderen Sinn. Und welchen? Glaubet nicht, will er sagen, dass ihr den Patriarchen kinderlos machen werdet, wenn ihr zugrunde geht. Nein, ganz und gar nicht. Gott kann ihm auch aus Steinen Menschen schaffen, und sie zu seinen Stammesgenossen machen, wie es auch im Anfang so geschah. Wenn nämlich aus Steinen Menschen würden, so wäre dies ungefähr so, wie damals, da jene unfruchtbare Mutter ein Kind gebar. Darauf spielt auch der Prophet an, wenn er sagt: "Sehet an den starren Felsen, aus dem ihr gemeißelt worden, und die hohle Grube, aus der ihr gestiegen: blicket hin auf Abraham, euren Vater, und auf Sarah, eure Mutter"2 . An diese Prophetie erinnert sie also Johannes, und zeigt ihnen, dass, wenn Gott im Anfange den Abraham auf so wunderbare Weise zum Vater machte, als hätte er ihm den Sohn aus Steinen gemeißelt, das gleiche auch jetzt noch geschehen könne. Und siehe, wie Johannes die Pharisäer erschreckt und zugleich die Wurzel ihres Hochmutes ausreißt. Er sagt nämlich nicht: Gott hat schon erweckt, damit sie nicht an sich selbst verzweifelten, sondern nur: "Er kann erwecken." Auch sagt er nicht: Er kann aus Steinen Menschen machen, sondern, was viel mehr ist, auch Stammverwandte und Kinder Abrahams". Siehst du, wie sehr er sie von ihren fleischlichen Vorstellungen abzieht, und von ihrer Sucht, sich auf ihre Vorfahren zu berufen? Er will eben, dass sie in ihre persönliche Bußgesinnung und Rechtschaffenheit ihre Heilshoffnung setzten. Siehst du also, wie er die S. 183Verwandtschaft dem Fleische nach verwirft, und jene an ihre Stelle setzt, die aus dem Glauben entspringt?