1.
V.13: „Um diese Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen.“
Zusammen mit den Knechten kommt der Herr, mit den Schuldigen der Richter, um die Taufe zu empfangen! Doch lass dich nicht irre machen! Gerade in diesen Akten der Erniedrigung glänzt seine Hoheit nur um so mehr. Der Herr hat es sich ja gefallen lassen, so lange Zeit im Schoße der Jungfrau getragen zu werden, und mit unserer Menschennatur bekleidet daraus hervorzugehen, geschlagen und gekreuzigt zu werden und alle anderen Leiden zu ertragen. Was Wunder, wenn er sich auch bereitwillig taufen ließ und zugleich mit den anderen zu seinem eigenen Diener kam? Das Wunderbare war vielmehr das, dass er als Gott Mensch werden wollte; alles andere war nur eine natürliche Folge davon. Deshalb hat auch Johannes gleich zu Anfang seinen bekannten Ausspruch getan, dass er nämlich nicht würdig sei, seinen Schuhriemen zu lösen, S. 198und hat all das andere von ihm gesagt, z.B., dass er Christus der Richter sei, der jeden nach Verdienst belohnt, und allen in reichlichem Maße den Geist spenden werde. Er wollte damit erreichen, dass du nicht etwa den Verdacht hegest, es geschehe aus wirklicher Niedrigkeit, wenn du ihn zur Taufe kommen siehst. Deshalb will er auch den Herrn bei seiner Ankunft daran hindern und sagt:
V.14: „Ich habe nötig von Dir getauft zu werden, und da kommst Du zu mir?“
Hier handelt es sich eben um eine Taufe zur Buße, die zum Bekenntnis der eigenen Sünden führen sollte. Damit also niemand glaube, auch er komme in dieser Absicht zum Jordan, so gibt Johannes schon zum voraus die rechte Erklärung hierfür, indem er ihn „Lamm“ nennt und als den bezeichnet, der alle Sünden der ganzen Welt abwaschen werde. Derjenige, der die Sünden des ganzen Menschengeschlechtes hinwegzunehmen vermochte, musste ja doch in erster Linie selbst von Sünden frei sein. Aus diesem Grunde sagte er nicht: Sehet den Sündelosen, sondern, was weit mehr war: „Sehet den, der auf sich nimmt die Sünde der Welt.“ Du sollst nämlich mit diesem auch jenes mit vollkommener Überzeugung annehmen und daraus erkennen, dass er in anderer Absicht zur Taufe kommt. Deshalb sagte ihm auch der Täufer bei seiner Ankunft: „Ich habe nötig, von Dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?“ Er sagte nicht: Und du wirst von mir getauft? denn auch das wagte er nicht zu sagen, statt dessen aber was: „Und du kommst zu mir?“ Was machte nun Christus? Dasselbe, was er später bei Petrus tat, tat er auch jetzt. Auch der wollte ihn ja hindern, seine Füße zu waschen; nachdem er aber zu hören bekommen hatte: „Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht, du wirst es aber später einsehen“1 , und: „Du wirst sonst keinen Teil an mir haben“2 , da ließ er schleunigst ab von seinem Widerstand und wollte das Gegenteil zuvor. S. 199Ähnlich verhielt sich auch Johannes; kaum hatte er die Worte gehört:
V.15: „Lass es nur geschehen; denn so geziemt es sich für mich, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“, da gehorchte er alsbald. Die beiden wollten ja nicht in ungehöriger Weise streiten; vielmehr bewiesen sie, dass sie nicht bloß Liebe, sondern auch Gehorsam besaßen, und dass ihre einzige Sorge war, den Herrn in allem zu willfahren. Beachte indes, wie der Herr den Johannes gerade mit dem willfährig machte, was ihm bei der Sache am meisten Bedenken verursachte. Er sagte nämlich nicht: So verlangt es die Gerechtigkeit, sondern: „So geziemt es sich.“ Da nämlich Johannes hauptsächlich meinte, es sei des Herrn nicht würdig, von seinem eigenen Untergebenen getauft zu werden, so stellte er vor allem das fest, was dessen Meinung direkt entgegengesetzt war; gerade als ob er sagte: Suchst du dich meiner Taufe nicht deshalb zu entziehen und zu widersetzen, weil du glaubst, es geziemte sich so nicht? Gerade deshalb gib nach, weil es sich in ganz hervorragendem Maße so geziemt. Er sagte auch nicht bloß: Gib nach, sondern setzte noch hinzu: „jetzt sogleich“. Es wird ja nicht immer so sein, will er sagen, sondern du wirst mich schon einmal so sehen, wie du wünschest; indes musst du dich jetzt noch gedulden.
Dann gibt der Herr auch den Grund an, warum sich dies gezieme. Wieso also geziemt es sich? Weil ich das ganze Gesetz erfüllen will. Das wollte er sagen mit den Worten: „alle Gerechtigkeit“. Denn Gerechtigkeit ist die Erfüllung der Gebote. Nachdem ich nun alle anderen Gebote erfüllt habe, und dies allein noch übrig bleibt, so muss auch dieses noch dazu kommen. Ich bin ja gekommen, den Fluch aufzuheben, der auf der Übertretung des Gesetzes lastet. Ich muss darum das Gesetz zuerst selber ganz erfüllen und erst dann es aufheben, wenn ich euch vom Fluche befreit. Es gehört sich also für mich, dass ich das ganze Gesetz erfülle, sowie es sich auch geziemt, dass ich den im Gesetz wider euch niedergelegten Fluch beseitige. Aus diesem Grunde habe ich S. 200ja auch Fleisch angenommen und bin zu euch gekommen. „Da ließ er seinen Willen geschehen.“
V.16: „Und Jesus ward alsbald getauft und stieg aus dem Wasser; und siehe, es öffnete sich ihm der Himmel, und er sah den Geist Gottes in Gestalt einer Taube herabsteigen und über ihn kommen.“