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Aus diesem Grunde also hat auch der Herr vierzig Tage lang gefastet, und uns dadurch ein Heilmittel zu unserer Genesung gezeigt; und nur deshalb hat er nicht noch mehr getan, um nicht wieder durch das Übermaß des Wunderbaren die Wahrheit seiner Menschwerdung in Zweifel zu stellen. Jetzt konnte dies nicht wohl geschehen, da ja auch Moses und Elias, durch die Kraft Gottes gestärkt, schon vor ihm ebenso lang zu fasten vermocht hatten. Hätte aber der Herr noch länger gefastet, so wäre wohl manchen auch aus diesem Grunde die Annahme des Fleisches zweifelhaft erschienen.
V.2: „Nachdem er also vierzig Tage und ebensoviele Nächte gefastet hatte, da hungerte ihn.“
Dadurch bot er dem Teufel eine Gelegenheit, ihn zu S. 212versuchen; er wollte eben durch diesen Kampf zeigen, wie man ihn überwinden und besiegen soll. So machen es auch die Athleten; um ihren Schülern zu zeigen, wie man gewinnen und siegen könne, lassen sie sich gerne in der Palästra mit anderen in einen Ringkampf ein, damit jene am Leibe ihrer Gegnern sehen und lernen, wie man den Sieg erlangt. So geschah es auch damals. Da der Herr den Teufel zu solch einem Kampfe anlocken wollte, gab er ihm seinen Hunger zu erkennen, nahm es mit dem Angreifer auf und warf ihn im Kampfe ein, zwei, drei Mal mit der größten Leichtigkeit zu Boden. Um aber nicht an diesen Siegen vorüber zu eilen , und den Nutzen, den ihr aus ihnen schöpfen könnt, zu vermindern, wollen wir mit dem ersten Zusammenstoß beginnen, und jeden einzelnen genau betrachten. Da der Herr hungerte, so heißt es,
V.3: „kam der Versucher heran und sprach zu ihm: Wenn du der Sohn Gottes bist, dann befiehl, dass diese Steine zu Brot werden.“
Er hatte nämlich vorher die Stimme gehört, die vom Himmel herab sprach: „Dieser ist mein geliebter Sohn“; dann hatte er auch gehört, wie Johannes dasselbe von ihm bezeugte; zuletzt aber sah er ihn hungern. Da war er denn unschlüssig. Nach all dem, was er über ihn gehört hatte, konnte er ihn nicht für einen bloßen Menschen halten, sich aber auch nicht davon überzeugen, dass er der Sohn Gottes sei, da er ihn ja hungern sah. So befand er sich im Zweifel, und redete ihn dementsprechend an. Und wie er im Anfange sich an Adam heranmachte, um durch trügerische Vorspiegelungen die Wahrheit zu erfahren, so machte er es auch hier. Da er das unaussprechliche Geheimnis der Menschwerdung nicht klar kannte, und nicht recht wusste, wen er vor sich habe, so suchte er auf andere Weise die Schlingen zu legen, durch die er zu erfahren hoffte, was ihm verborgen und unklar war. Warum sagt er also: „Wenn du der Sohn Gottes bist, dann befiehl, dass diese Steine da Brot werden“? Er sagte nicht: da du Hunger hast, sondern: „Wenn du der Sohn Gottes bist.“ Er glaubte ihn durch Schmeicheleien überlisten zu können. Darum S. 213schweigt er auch vom Hunger, um sich nicht den Anschein zu geben, als halte er ihm dies vor und wolle ihn damit beschämen. Er kannte ja nicht die Größe des göttlichen Heilsplanes, und glaubte, der Hunger sei eine Schande für ihn. Deshalb schmeichelte er ihm hinterlistigerweise und erinnerte ihn nur an seine Würde. Was sagt nun Christus darauf? Er demütigt dessen Stolz und zeigt, dass das, was ihm widerfahren, keine Schande sei, nicht unwürdig seiner Weisheit, und stellt gerade das in den Vordergrund, was jener in schmeichlerischer Absicht verschwieg; er sagt:
V .4: „Nicht vom Brote allein wird der Mensch leben.“
So beginnt er gleich mit den Bedürfnissen des Leibes. Du aber bedenke die Schlechtigkeit des bösen Feindes, und sieh, wo er seinen Kampf beginnt, und wie er seine gewohnte Verschlagenheit nicht vergisst. Die gleiche List, mit der er den ersten Menschen zu Fall gebracht und in vielfältiges Unglück gestürzt hat, wendet er auch hier an, nämlich die sinnliche Begierde. Auch jetzt kann man viele Toren sagen hören, der Bauch sei schuld an unseren zahllosen Übeln. Dagegen zeigt uns hier Christus, dass den Tugendhaften auch diese Leidenschaft nicht zwingen kann, etwas Ungehöriges zu tun. Er hungert und gehorcht der Aufforderung des Teufels nicht, um uns so die Lehre zu geben, dass wir in nichts dem Teufel willfahren sollen. Da nämlich der erste Mensch aus solch einem Anlass Gott beleidigte und sein Gebot übertrat, so zeigt dir Christus hiermit mehr als deutlich, dass du in keinem Falle dem Teufel gehorchen darfst, selbst wenn das, was er dich tun heißt, keine Sünde wäre. Und was sag ich; Sünde! Selbst wenn dir die bösen Geister etwas Nützliches raten, höre nicht auf sie. So hat ja der Herr auch jenen Dämonen Schweigen geboten, die da laut verkündeten, er sei der Sohn Gottes. Ebenso hat auch Paulus es jenen verwehrt, die dasselbe riefen, obgleich das, was sie sagten, für ihn vorteilhaft war. Ja der Herr hat den Dämonen überdies noch gedroht, ist ihrer Arglist wider uns entgegen getreten und hat sie verscheucht, obgleich sie Heilswahrheiten verkündeten, hat ihnen den Mund gestopft und S. 214sie schweigen geheißen. Darum hat er auch hier den Worten des Teufels nicht entsprochen, sondern welche Antwort gab er ihm? „Nicht vom Brote allein wird der Mensch leben.“ Mit diesen Worten will er sagen: Gott kann einen Hungernden mit einem bloßen Worte laben, und das Alte Testament bezeugt und lehrt, dass man vom Herrn niemals lassen darf, wenn wir auch Hunger oder was immer sonst zu leiden haben.