5.
Ein großes Wort! Aber wir verstehen es nicht, weil wir nicht dieselbe Liebe haben wie Paulus. Und dennoch, so groß es ist, will der Apostel zeigen, daß es nichts ist der Liebe gegenüber, mit welcher Gott uns S. d14 umfängt; darum spricht der Apostel es erst aus, nachdem er die Liebe Gottes zu ihm geschildert hat, damit es nicht den Anschein habe, als überhebe er sich. Der Sinn dieser Worte ist folgender: Was ist es nötig, von zeitlichen Drangsalen zu reden, von Leiden, die das Los dieses Lebens sind? Wenn mir einer von den gewaltigen Wesen des Jenseits redete, von Tod und Leben, von Engeln und Erzengeln, von der ganzen jenseitigen Welt, das alles kommt mir gering vor im Vergleich zur Liebe Christi. Wenn mir auch jemand mit dem Tode im Jenseits drohte, der niemals stirbt, um mich abwendig zu machen von Christus, wenn mir jemand nie endendes Leben in Aussicht stellte, ich würde auch einen solchen Antrag zurückweisen. Gar nicht zu reden von irdischen Königen und Konsuln, von dem oder jenem Gewaltigen. Ja wenn du mir auch von Engeln sprichst, von allen himmlischen Mächten, von allem, was jetzt ist und was sein wird, so erscheint mir das alles klein und unbedeutend, alles auf der Erde und im Himmel und unter der Erde und über dem Himmel, im Vergleich zu jener Liebe. Und als ob das noch nicht genug wäre, die Liebe, die ihn beseelte, auszudrücken, geht er noch über das Gesagte hinaus und fügt hinzu: „Noch irgend anderes Erschaffene“; das heißt: Selbst wenn es noch eine andere Welt gäbe, so groß wie die sichtbare und so herrlich wie die Geisterwelt, auch sie könnte mich von jener Liebe nicht abwendig machen. Das sagte er nicht, als ob die Engel oder die andern seligen Geister je einen Versuch dieser Art machen würden, nein, sondern er wollte nur das Übermaß der Liebe ausdrücken, die er zu Christus hätte. Er liebte nämlich Christus nicht wegen der von ihm zu erwartenden Gaben, sondern er liebte diese wegen Christus, und nur eines schwebte ihm als etwas Entsetzliches vor Augen, nur eines fürchtete er, nämlich, daß er seine Liebe verlieren könnte. Das war ihm entsetzlicher als die Hölle selbst, wie andererseits das Verbleiben in dieser Liebe ihm begehrenswerter vorkam als das Himmelreich selbst.
O, was ist dann von uns zu halten! Der hl. Paulus legt im Vergleich zu der Liebe Christi nicht einmal auf den Himmel einen Wert, und wir ziehen diese Welt aus S. d15 Kot und Lehm Christus vor? Der Apostel war um dieser Liebe willen bereit, wenn es hätte sein, müssen, sogar der Hölle anheimzufallen und des Himmels verlustig zu gehen, und wir achten nicht einmal dieses kurze Erdenleben gering? Sind wir also auch nur würdig, ihm die Schuhriemen aufzulösen, da wir an Hochherzigkeit so weit hinter ihm zurückstehen? Er achtet im Vergleich zu Christus nicht einmal das Himmelreich für etwas, wir dagegen achten Christus selbst gering und legen nur dem einen Wert bei, was er uns zu schenken hat. Und wollte Gott, wir schätzten nur das! Aber dem ist gar nicht so; er hat uns den Himmel in Aussicht gestellt, aber wir lassen ihn fahren und laufen den ganzen Tag nur Schattenbildern und Träumen nach. Dabei verfährt Gott in seiner Liebe und Langmut so mit uns wie ein Vater, der sein Kind lieb hat, mit diesem, wenn es des fortwährenden Umganges mit ihm müde geworden ist; er wendet einen anderen Kunstgriff an. Nachdem wir nicht jene Liebe gegen ihn haben, wie sie ihm gebührt, legt er uns eine Menge anderer Dinge vor, um uns an sich zu fesseln. Und dennoch harren wir nicht bei ihm aus, sondern springen zurück zu unseren Kinderspielen. Nicht so der hl. Paulus; sondern wie ein braver, edler und liebevoller Sohn sucht er einzig und allein das Beisammensein mit seinem Vater und setzt dem alles andere nach. Eigentlich, er tut noch mehr als ein solcher Sohn. Er schätzt den Vater nicht bloß so hoch ein wie das, was er von ihm hat, sondern wenn für ihn sein Vater in Betracht kommt, achtet er das letztere für nichts und möchte lieber in Qual und Not an seiner Seite leben als getrennt von ihm ein gemächliches Leben führen.