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Works John Chrysostom (344-407) In epistula ad Romanos commentarius Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer (BKV)
SIEBENUNDZWANZIGSTE HOMILIE: Kap. XIV, V. 14—23.

4.

Und das, fragt man, verlangst du von einem einfachen, ungebildeten Menschen? Nicht bloß von einem S. d219 einfachen, ungebildeten Menschen, sondern man kann es verlangen, wenn einer auch noch so ungebildet wäre. Warum, sag’ mir, versteht es ein solcher, im täglichen Leben Widerspruch zu erheben, wenn ihm ein Unrecht geschieht, sich zur Wehr zu setzen, wenn man ihm Gewalt antun will? Da läßt er sich nicht den geringsten Schaden zufügen. Warum hat er in geistlichen Dingen nicht dasselbe Verständnis? Wenn er einem Steine göttliche Verehrung erweist, wenn er diesen für einen Gott hält, wenn er ihm zu Ehren Feste feiert, sich’s Geld kosten läßt und ihm Ehrfurcht bezeugt, da ist er gar nicht faul dazu infolge seiner Verständnislosigkeit. Wenn es aber heißt, den einzig wahren Gott zu suchen, dann führst du seine Verständnislosigkeit und seine Einfältigkeit ins Feld. Nein, nein, das sind nur Ausreden der Trägheit. Was meinst du, welche Menschen waren einfältiger und ungebildeter, die zu Abrahams Zeiten oder die von heutzutage? Offenbar die ersteren. Und wann war es leichter, den Weg der richtigen Gottesverehrung zu finden, jetzt oder damals? Offenbar jetzt. Denn jetzt ist der Name Gottes bei allen bekannt geworden: die Propheten haben ihn angekündigt, die Geschichte ist Zeuge dafür, das Heidentum ist widerlegt. Damals dagegen blieben die meisten ohne Belehrung, die Sünde herrschte, es gab kein Gesetz als Lehrer, keinen Propheten, keine Wunder, keinen Unterricht, nicht eine Menge von Leuten, die in göttlichen Dingen wohl bewandert waren; alles lag wie in der tiefen Finsternis einer mondlosen, stürmischen Nacht. Und doch erkannte jener bewunderungswürdige und edle Mann bei all diesen Hindernissen Gott; er übte die Tugend, war vielen ein Führer zu gleichem Eifer — das alles, ohne ein Wissen darüber von außen her erlangt zu haben. Wie hätte er es gekonnt, da damals noch nicht einmal die Schrift erfunden war? Und doch, weil er von seiner Seite alles Mögliche tat, darum gewährte ihm Gott seine Hilfe. Man kann nicht einmal sagen, daß Abraham die rechte Gottesverehrung von seinen Vätern ererbt hatte. Denn von Hause aus war auch er ein Götzendiener. Trotzdem er nun aber von solchen Voreltern abstammte, trotzdem er ein Ungebildeter war S. d220 und unter Ungebildeten aufgewachsen war, trotzdem er keinen Lehrer der richtigen Gottesverehrung hatte, so gelangte er doch zur Erkenntnis des wahren Gottes und überragte sogar an ihr unsagbar seine Nachkommen, die doch das Gesetz und die Propheten besaßen. Warum aber? Weil er nicht ganz und gar aufging in den Sorgen des irdischen Lebens, sondern sich vielmehr ganz mit geistlichen Dingen befaßte. Und wie war’s mit Melchisedech? Lebte er nicht zur selben Zeit und stach doch so sehr hervor (an Gotteserkenntnis), daß er sogar ein „Priester Gottes“ hieß? Ja, es ist unmöglich, ganz unmöglich, daß ein Mensch mit eifrigem Streben nach Gott je im Stiche gelassen werde. Das soll euch also keine Sorge machen. Laßt uns vielmehr zusehen, daß wir immer besser werden, überzeugt davon, daß es dabei hauptsächlich auf die Absicht ankommt. Laßt uns Gott nicht zur Rechenschaft ziehen und nicht fragen, warum er den beiseite gelassen und jenen berufen hat! Wir würden da so handeln wie ein Diener, der sich selbst Betrügereien zuschulden kommen läßt, dabei aber die Wirtschaftsführung seines Herrn scharf im Auge hat. Armer Wicht! Du solltest an deine eigene Rechenschaft denken und wie du deinen Herrn versöhnen könntest; dafür verlangst du Rechenschaft über Dinge, die dich nichts angehen und gehst an den andern vorüber, für die du Rechenschaft geben solltest!

Du fragst: Was soll ich also zum Heiden sagen? — Das, was ich schon gesagt habe. Schau übrigens nicht bloß, was du dem Heiden sagen sollst, sondern auch, wie du ihn bessern kannst. Wenn er dein Leben betrachtet und daran Ärgernis nehmen muß, dann mach’ dir deswegen Sorge, was du sagen sollst! Du brauchst zwar für ihn nicht Rechenschaft zu geben, wenn er Ärgernis nimmt, aber du läufst äußerste Gefahr deines eigenen Lebens wegen, wenn er dadurch Schaden nimmt. Wenn er dich beobachtet, wie du zwar über den Himmel schön zu reden verstehst und doch am Irdischen klebst, wie du zwar von Furcht vor der Hölle sprichst und doch vor den irdischen Übeln zitterst, dann mache dir darob Sorge! Wenn er das sieht und dich fragt: Wenn du dich nach dem Himmel sehnst, warum kommen dir nicht die S. d221 irdischen Dinge unbedeutend vor? Wenn du das schreckliche Gericht im Jenseits erwartest, warum verachtest du nicht das Leid des Diesseits? Wenn du auf Unsterblichkeit hoffst, warum verlachst du nicht den Tod? Wenn er so zu dir spricht, dann mach dir Sorge wegen der Antwort! Wenn er sieht, wie du, der Anwärter auf den Himmel, zitterst vor einem Verlust an Geld und Gut, wie du voller Freude bist über den Gewinn eines Obolus, wie du deine Seele verkaufst um wenig Geld, dann mach dir Sorge! Das, ja das ist es, was dem Heiden Ärgernis gibt. Wenn du daher wirkliche Sorge um dein Heil hast, dann gib Antwort auf diese Fragen, und zwar nicht mit Worten, sondern durch Taten! Mit solchen Fragen hat noch nie jemand eine Lästerung Gottes begangen, wohl aber eine solche tausendfach in einem schlechten Leben. Dieses mußt du daher verbessern. — Wenn dich weiter der Heide fragt: Woran soll ich erkennen, daß Gott Dinge befohlen hat, die möglich sind? Denn sieh, du bist ein Christ, du stammst von christlichen Eltern ab, du bist in dieser schönen Religion aufgewachsen, tust aber nichts von dem, was sie befiehlt. Was wirst du darauf sagen? Du kannst freilich sagen: Da weise ich dich auf Beispiele von andern hin, die es tun, auf die Mönche in den Wüsteneien. Aber schämst du dich denn nicht, daß du dich als Christ bekennst und auf andere verweisen mußt, selbst nicht imstande, dein Christentum durch Taten zu erweisen? Da kann dir doch der andere gleich darauf sagen: Welche Berge muß ich denn dann ersteigen und welche Wüsteneien durchqueren? Wenn es nicht möglich ist, mitten in den Städten ein Christ zu sein, so ist es ja doch ein schwerer Vorwurf gegen diese Lebensform, wenn wir die Städte verlassen und in die Wüste flüchten müssen. Zeig’ mir doch das Beispiel eines Mannes, der Frau und Kind und Haus hat und dabei ein Christ ist! — Was werden wir auf solche Einwände antworten? Müssen wir da nicht die Augen niederschlagen und erröten? Das hat Christus ja nicht geboten, sondern was? „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen“ 1, S. d222 nicht vor den Bergen, nicht in den Wüsteneien und unzugänglichen Orten! Wenn ich das sage, so will ich damit denen nicht nahetreten, die sich in die Gebirge zurückgezogen haben, sondern ich bedauere nur die Bewohner der Städte, daß sie die Tugend daraus vertrieben haben. Darum lautet meine Mahnung: Führen wir das christliche Leben von dort bei uns ein, damit die Städte wirklich Städte werden! Das ist das Mittel, den Heiden zu bekehren und unzählige Ärgernisse zu vermeiden. Daher: wenn du den Heiden vor Ärgernis behüten und selbst des unendlich großen Lohnes teilhaftig werden willst, dann bessere dein Leben! Laß es leuchten (als Vorbild) nach allen Seiten hin, „damit die Menschen eure guten Werke sehen und euern Vater preisen, der im Himmel ist!“ Auf diese Weise werden auch wir jener unaussprechlich großen Herrlichkeit teilhaftig werden, die wir alle erlangen mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater sei Ehre zugleich mit dem Hl. Geiste in Ewigkeit. Amen. S. d223


  1. Matth. 5, 16. ↩

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