4.
Warum nennt aber der Apostel kein anderes Laster mit Namen, z. B, Neid, Geiz u. dgl. sondern bloß Unzucht? Nun, ich glaube, er spielte damit auf Zustände an, wie sie seinen Zuhörern und den Empfängern seines Briefes bekannt waren. — „Zur Unreinigkeit, daß sie untereinander sich ihre eigenen Leiber schänden ließen.“ Beachte da die recht treffende Ausdrucksweise des Apostels! Sie brauchten, will er sagen, gar nicht andere, die sie schändeten, sondern das, was ihnen ihre Feinde hätten antun können, das taten sie sich selbst an. Dann faßt er noch einmal den Grund (der sittlichen Verirrungen) auf, indem er sagt:
V. 25: „Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie brachten ihre Weihegeschenke und Opfergaben den Geschöpfen dar und setzten den Schöpfer beiseite.“
Was ganz besonders lächerlich ist, führt der Apostel im einzelnen an, was weniger grob erscheint, im allgemeinen; die ganze Beweisführung läuft aber darauf hinaus, zu zeigen, daß die Anbetung der Geschöpfe ein Merkmal des Heidentums ist. Beachte auch, was der Apostel noch für ein Wort beifügt! Er sagt nicht bloß: „Sie brachten ihre Opfergaben den Geschöpfen dar“, sondern: „und setzten dabei den Schöpfer beiseite“. Im ganzen Abschnitt erhebt er gegen die Heiden diesen Vorwurf, durch diesen Beisatz aber spricht er ihnen jedwede Entschuldigung ab.
„Der gepriesen ist in Ewigkeit. Amen.“
— Doch dadurch, will er sagen, erlitt Gott keinen Schaden. Er bleibt ja doch gepriesen in Ewigkeit. Hiermit bringt der Apostel zum Ausdruck, daß Gott die Heiden nicht etwa sich selbst überlassen hat, um sich an ihnen zu rächen; er litt ja nicht dadurch. Mochten sie ihn schmähen, er wurde durch ihre Schmähungen; nicht getroffen, seine Ehre erfuhr keine Minderung, er ist und bleibt doch der Gepriesene allezeit. Wird ja S. b49 doch oft auch ein Mensch dadurch, daß er sich der Weisheit befleißt, unverletzbar durch Schmähungen, um wieviel mehr muß es nicht Gott sein, der seinem Wesen nach unsterblich und unveränderlich ist, dessen Ehre unverlierbar und unantastbar ist.
Auch Menschen werden Gott ähnlich, wenn sie nicht zu verletzen sind durch Schimpf, den ihnen andere antun wollen, wenn sie durch Schmähungen von andern nicht geschmäht, durch Hiebe nicht getroffen, durch Verspottungen sich nicht verspottet fühlen. Ja, wie ist das möglich? fragst du. Nun, es ist möglich, ganz wohl möglich, wenn du dich nämlich nicht kränkst, was immer geschehe. Ja, sagst du, wie soll ich mich denn nicht kränken? Nun, sag’ mir, wenn dein kleines Kind gegen dich unartig ist, faßt du das etwa als Beleidigung auf? Kränkst du dich darüber? Keineswegs. Ja, wenn du dich kränktest, würdest du da nicht lächerlich? In dieselbe Stimmung müssen wir uns nun dem Nebenmenschen gegenüber versetzen, und wir werden nichts Unangenehmes zu erleiden haben. Sind ja doch solche, welche uns schmähen, unverständiger als kleine Kinder. Wir wollen nicht ängstlich bestrebt sein, ja keine Beleidigung zu erfahren, und wenn uns eine angetan wird, sie zu ertragen wissen. Dann ist unsere Ehre wirklich sicher. Wieso? Weil das letztere (auf keine Beleidigung zu achten) bei dir steht, das erstere (dir keine zuzufügen) beim andern. Siehst du nicht, wie der Diamant den verwundet, der auf ihn schlägt? Ja, sagst du, das hat der Diamant von Natur aus. Und du kannst frei gewollt das sein, was jenem von Natur aus zukommt. Wieso? Siehst du nicht, daß die Jünglinge im Feuerofen nicht verbrennen und Daniel in der Löwengrube unversehrt bleibt? Auch jetzt kann das geschehen. Umgeben uns ja auch Löwen — der Zorn, die böse Lust —; sie haben scharfe Zähne und zerfleischen den, welcher ihnen in den Rachen fällt. Sei du darum ein anderer Daniel und laß die Leidenschaften nicht ihre Zähne in deine Seele schlagen. — Aber, sagst du, bei Daniel war das Ganze rein ein Werk der Gnade. Ja, aber die Tat des freien Willens war doch voraus gegangen. So steht auch uns die Gnade zur Seite, wenn wir S. b50 uns ebenfalls so bewähren wollen. Mögen uns diese Bestien auch hungernd umlauern, sie werden uns nicht anpacken. Denn wenn sie scheu zurückweichen beim Anblick des Leibes eines Dieners (Gottes), wie werden sie erst Ruhe geben, wenn sie Glieder Christi — das sind nämlich die Gläubigen — vor sich sehen? Geben sie aber keine Ruhe, dann liegt die Schuld an denen, die sich ihnen (als Beute) vorwerfen. Denn es gibt auch viele, die diesen Löwen einen reichen Schmaus darbieten, indem sie Huren aushalten, Ehen zerstören, an Feinden Rache nehmen. Solche werden freilich zerrissen, bevor sie noch am Boden anlangen. Dem Daniel widerfuhr dies nicht, aber auch uns wird es nicht widerfahren, ja es wird für uns noch viel günstiger ausfallen als für ihn. Dem Daniel fügten die Löwen bloß keinen Schaden zu; uns werden die Beleidiger, wenn wir wachsam sind, sogar noch Nutzen bringen. So wurde ja auch Paulus bereichert gerade durch seine Verfolger, Job durch seine vielen Schicksalsschläge, Jeremias durch die Schlammgrube, Noë durch die Sintflut, Abel durch seines Bruders Arglist, Moses durch die Mordgier, so Elisäus, so ein jeder jener großen Männer: nicht durch geruhsames Wohlleben, sondern durch Leiden und Trübsale erwarben sie sich ihre herrlichen Ruhmeskronen. Darum sprach auch Christus, der wohl wußte, daß das die Vorbedingung zu wahrem Ruhm sei, zu seinen Jüngern: „In der Welt werdet ihr Bedrängnis haben; aber vertraut, ich habe die Welt überwunden“ 1. — Was sagst du nun aber dazu, wendet man ein: Sind denn nicht doch auch viele zusammengebrochen unter der Last der Trübsale? Nicht durch die Trübsale an und für sich, sondern durch ihre eigene Schwachmütigkeit. — Aber der (da droben), der zugleich mit der Versuchung auch den glücklichen Ausgang und die Kraft gibt, sie zu überstehen, stehe uns allen bei und reiche uns seine Hand, auf daß wir einmal ruhmvoll verherrlicht werden und die himmlische Krone erlangen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater und dem Hl. Geiste sei Ehre, Ruhm und Herrlichkeit jetzt und allezeit bis in alle Ewigkeit. Amen. S. b51
-
Joh. 16, 33. ↩