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S. 53 Wir wollen daher nicht die Toten überhaupt beweinen, sondern nur jene, welche in Sünden gestorben sind. Diese verdienen Wehklagen, diese Jammer und Tränen. Denn was für eine Hoffnung, sage mir, erübrigt noch, wenn man mit Sünden behaftet hinübergeht, wo es keinen Nachlaß der Sünden mehr gibt? So lange sie noch auf Erden weilten, bestand immer noch die Möglichkeit für sie, sich zu ändern und besser zu werden; wenn sie aber in die Unterwelt eingegangen sind, wo die Reue nichts mehr hilft — „denn in der Unterwelt,“ sagt der Psalmist, „wer wird da dich lobpreisen1 ?“ —, wie sollten sie nicht beklagenswert sein? — Beweinen wir diejenigen, welche so hinscheiden, ich wehre es nicht, aber nicht auf unschickliche Weise, nicht durch Zerraufen der Haare, nicht durch Entblößen der Arme, nicht durch Zerfleischen des Gesichtes, nicht durch Tragen schwarzer Kleider, sondern einzig dadurch, daß wir im Herzen still bittere Tränen vergießen. Man kann ja auch ohne solche äußere Schaustellung bitterlich weinen und nicht bloß erheucheltes Spiel treiben. Denn das Gebaren mancher gleicht dem reinsten Possenspiel. Gehen doch jene Wehklagen auf offener Straße nicht aus innerer Teilnahme hervor, sondern aus dem Verlangen, Aufsehen zu erregen, aus Ehrgeiz und Eitelkeit, Viele Weiber machen daraus ein förmliches Gewerbe2. — Weine bitterlich, klage zu Hause, wo es niemand sieht; das zeugt von aufrichtiger Teilnahme, das frommt auch dir selber. Denn wer den Nächsten in dieser Weise betrauert, wird umso mehr selber sich bestreben, nie und nimmer in dasselbe Unglück zu geraten. Du wirst vor der Sünde in Zukunft zurückschaudern. — Beweine die Ungläubigen, beweine diejenigen, welche sich in nichts von ihnen unterscheiden, welche ohne Taufe (χωρὶς φωτίσματος), ohne Firmung (χωρὶς σφραγῖδος) von hinnen gehen! Diese verdienen in Wahrheit beklagt, in Wahrheit bejammert zu werden. Sie sind vom Palaste (des himmlischen Königs) ausgeschlossen, in S. 54 Gesellschaft der Verurteilten, in Gesellschaft der Verdammten. Denn „wahrlich, ich sage euch, wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Hl. Geiste, so kann er nicht eingehen ins Himmelreich3.“ — Beweine diejenigen, welche in Reichtum gestorben sind, ohne daran zu denken, den Reichtum zum Troste ihrer Seelen zu verwenden; diejenigen, welche Gelegenheit bekommen hatten, sich von ihren Sünden rein zu waschen, und dieselbe von sich wiesen! — Diese wollen wir alle, jeder für sich und gemeinsam, beweinen; aber mit Anstand, mit Würde, nicht so, daß die Leute mit Fingern auf uns zeigen! Diese wollen wir beweinen nicht nur einen Tag oder zwei, sondern unser ganzes Leben lang! Das sind nicht Tränen unvernünftigen Schmerzes, sondern zärtlicher Liebe. Jenes dagegen sind Tränen unvernünftigen Schmerzes; deshalb versiegen sie auch schnell. Wenn aber die Tränen aus der Gottesfurcht quellen, so strömen sie immerfort. — Diese wollen wir beweinen, ihnen nach Kräften beispringen, darauf bedacht sein, ihnen eine wenn auch nur schwache Hilfe, aber immerhin eine Hilfe zu gewähren! — Inwiefern und auf welche Weise? — Indem wir beten und andere bitten, Gebete für sie zu verrichten, indem wir unablässig für sie dem Armen Almosen geben. Darin liegt kein geringer Trost. Denn höre, was Gott spricht: „Ich will diese Stadt beschützen um meinetwillen und um Davids, meines Dieners, willen4.“ Wenn schon das bloße Gedenken an einen Gerechten so viel vermochte, wieviel wird dann nicht das Verrichten von guten Werken für denselben vermögen? Nicht umsonst ist von den Aposteln die Anordnung getroffen worden, daß bei der Feier der schauervollen Geheimnisse der Abgeschiedenen gedacht werden solle. Sie wußten recht gut, daß denselben daraus großer Gewinn, großer Nutzen zufließe. Denn wenn das gesamte Volk dasteht mit aufgehobenen Händen, die ganze Priesterschar, und das schauervolle Opfer auf dem Altare liegt: wie sollten wir da nicht durch unsere Fürbitten für sie das Herz S. 55 Gottes erweichen? — Doch dies gilt nur für die im Glauben Dahingeschiedenen; die Katechumenen aber werden nicht einmal dieses Trostes gewürdigt, sondern sind jeder derartigen Hilfe beraubt, mit Ausnahme einer einzigen. Und was ist das für eine? Man kann für sie den Armen Almosen geben; das verschafft ihnen einige Erleichterung. Denn Gott will, daß auch wir einander helfen. Weshalb hätte er sonst befohlen, um den Frieden und die Wohlfahrt der ganzen Welt zu beten? Weshalb für alle Menschen5? Und doch gibt es da unter der Gesamtheit (auch) Räuber, Grabschänder, Diebe, überhaupt die ärgsten Bösewichte; gleichwohl aber beten wir für alle, denn es ist bei ihnen immerhin noch eine Bekehrung möglich. Gleichwie wir nun für solche Lebende beten, die sich in nichts von den Toten unterscheiden, so können wir auch für jene beten. — Job brachte für seine Kinder Opfer dar und suchte sie von ihren Sünden zu erlösen. Er sprach: „Sie möchten vielleicht Böses gedacht haben in ihrem Herzen6.“ So sorgt man für seine Kinder. Er sprach nicht wie so viele Menschen: Ich will ihnen Vermögen hinterlassen; er sprach nicht: Ich will ihnen Ruhm verleihen; er sprach nicht: Ich werde ihnen ein Amt erkaufen; er sprach nicht: Ich will ihnen Grundbesitz erwerben; sondern was? „Sie möchten vielleicht Böses gedacht haben in ihrem Herzen.“ Was nützen ihnen alle jene Güter, die sie ja doch hier zurücklassen müssen? Nichts. Ich will den König des Weltalls, spricht er, für sie gnädig stimmen, dann wird es ihnen künftig an nichts fehlen. Denn es heißt: „Der Herr ist mein Hirte, und nichts wird mir mangeln7.“ — Das ist ein großer Reichtum, das ist ein wahrer Schatz. Wenn wir die Furcht Gottes haben, so fehlt es uns an nichts; haben wir aber diese nicht, dann sind wir, und besäßen wir selbst ein Königreich, ärmer als alle. Nichts kommt einem gottesfürchtigen Menschen gleich; „denn die Furcht des Herrn“, heißt es, „geht über alles8.“ Diese wollen wir uns S. 56 erwerben; für sie wollen wir alles aufbieten! Und müßten wir auch das Leben opfern, müßten wir auch den Leib in Stücke hauen lassen, wir wollen nicht zaudern! Alles wollen wir tun, um dieser Furcht teilhaftig zu werden! Denn so werden wir reicher sein als alle und der zukünftigen Güter teilhaftig werden in Christo Jesu, unserm Herrn, mit welchem dem Vater gleichwie dem Hl. Geiste Herrlichkeit, Macht und Ehre sei, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.