I.
20. 21. 22. Im Glauben auch segnete Isaak auf die Zukunft hin den Jakob und Esau. Im Glauben segnete der sterbende Jakob jeden der Söhne Josephs, und betete an gegen die Spitze seines Stabes. Im Glauben redete der sterbende Joseph von dem Auszuge der Söhne Israels, und gab Befehle in Ansehung seiner Gebeine.
„Viele Propheten und Gerechte,“ heißt es, „haben gewünscht zu sehen, was ihr sehet, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr höret, und haben es nicht gehört.“1 Haben denn die Gerechten alles Zukünftige gewußt? Allerdings. Denn wenn auch der Sohn wegen der Schwäche Derjenigen, die ihn nicht aufnehmen konnten, sich ihnen nicht offenbarte, so offenbarte er sich natürlich Solchen, die im Tugendglanze dastanden. Dieß sagt S. 381 nun auch Paulus, daß sie das Zukünftige, d. i. die Auferstehung Christi wußten. Entweder sagt er nun Dieses, oder die Worte: „im Glauben auf die Zukunft hin“ sind nicht in Bezug auf die zukünftige Welt, sondern bezüglich Desjenigen, was hier später stattfinden werde, gesprochen. Denn wäre Das nicht der Fall, wie könnte dann ein Mann, der sich in einem fremden Lande aufhält, solche Segnungen ertheilen? Wie wurde ihm denn wiederum Segen zu Theil, und er gewahrte nicht seine Erfüllung? Du siehst, dass Dasselbe, was ich bei Abraham gesagt habe, bei Jakob zu bemerken ist, daß er nämlich nicht in den Genuß des Segens kam, sondern daß die sämmtlichen Früchte des Segens auf die Nachkommen übergingen. Hat er aber die zukünftigen Güter erlangt? Wir finden ja den Bruder mehr im Genusse derselben. Er selbst verlebte seine ganze Zeit in der Dienstbarkeit und im Lohnverhältnisse, und in Gefahren und Nachstellungen und Täuschungen und in Schrecken, und auf die Frage des Pharao gab er zur Antwort: „Die Tage meiner Wanderschaft sind wenige und böse gewesen.“2 Jener aber lebte ohne Furcht und in großem Ansehen, so daß er diesem furchtbar wurde. Wo fanden also die Segnungen ihre Erfüllung, als nur in der Zukunft? Du siehst also, daß die Bösen von frühe her die zeitlichen Güter genoßen, die Gerechten aber, jedoch nicht alle, das Gegentheil erfuhren. Denn siehe, Abraham war gerecht und hatte Überfluß an irdischen Dingen, aber unter Trübsal und Prüfungen. Reichthum allein war ihm zu Theil geworden; alles Andere, was ihn anging, war voll Trübsal. Es kann ja nicht sein, daß der Gerechte, und wär’ er auch reich, von Heimsuchungen verschont bleibe; denn weil er ein Verlangen hat, gedrückt zu werden und Unrecht zu erdulden, müssen ihn nothwendig Kümmernisse treffen, so daß, wenn er sich auch des S. 382 Reichthums erfreut, dieser Genuß nicht ohne Schmerz ist. Warum denn? Weil er in Betrübnissen und in Leiden lebt. Wenn aber die Gerechten damals in Trübsal lebten, so wird Dieß um so mehr jetzt der Fall sein. „Im Glauben,“ sagt er, „segnete auch Isaak auf die Zukunft hin den Jakob und Esau.“ Obgleich Esau älter war, so setzt er doch den Jakob - seiner Tugend wegen - zuerst. Denn wie hätte er seinen Söhnen solche Güter versprechen können, wenn er Gott nicht unbedingten Glauben geschenkt hätte? „Im Glauben segnete der sterbende Jakob jeden der Söhne Josephs.“ Hier muß man alle seine Segnungen nehmen, damit sein Glaube und seine Weissagung klar werden. „Und betete an,“ sagt er, „gegen die Spitze seines Stabes.“ Hier zeigt er, wie mit seinen Worten auch ein solches Vertrauen auf die Zukunft verbunden war, daß er einen thatsächlichen Nachweis lieferte; denn weil aus Ephraim ein anderer König erstehen werde, darum sagt er: „er betete an gegen die Spitze seines Stabes,“ d. i. da er schon ein Greis war, bewies er dem Joseph seine Huldigung, und zeigte so, daß demselben in der Folge die Verehrung des ganzen Volkes werde zu Theil werden. Und Dieß geschah zwar schon, da seine Brüder vor ihm niederfielen; es sollte aber später auch durch die zehn Stämme stattfinden. Siehst du, wie er Dasjenige, was später geschehen sollte, vorhersagte? Siehst du, welche großen Glauben sie hatten? Wie sie bezüglich der zukünftigen Dinge fest vertrauten? Denn es gibt hier Beispiele der Geduld allein, und der Heimsuchungen, ohne daß irgend etwas Gutes dazutritt, wie wir Das bei Abel und Abraham sehen, und, wie bei Noe, Beispiele des Glaubens, daß es nämlich einen Gott und eine Vergeltung gebe. Denn das Wort „Glauben“ hat eine vielseitige Bedeutung und bald diesen, bald jenen Sinn. Hier zeigt es an, daß es eine Vergeltung gebe, und daß diese nicht auf gleiche Weise Allen zu Theil werde, und daß der Siegespreis erst dem Kampfe folge. Bei S. 383 Joseph finden wir den Glauben allein; denn die dem Abraham gewordene Verheissung: „Dir und deinem Samen will ich dieses Land geben,“ hörte Joseph, und obgleich er in einem fremden Lande war und das Versprechen noch nicht erfüllt sah, verlor er den Muth doch nicht, sondern bewahrte einen so festen Glauben, daß er auch über den Auszug sprach und in Betreff seiner eigenen Gebeine Aufträge gab. Also nicht allein er selbst glaubte, sondern führte auch noch Andere zum Glauben. Darum befiehlt er auch, daß sie ihres Auszuges immer gedächten. Er würde aber in Betreff seiner eigenen Gebeine solche Aufträge nicht gegeben haben, hätte er nicht die Überzeugung gehabt, daß sie zurückkehren würden. Wenn nun gewisse Leute sagen: siehe, auch die Gerechten waren für Denkmäler besorgt, so erwidern wir ihnen, daß Solches aus diesem, aber durchaus nicht aus einem andern Grunde geschah; denn er wußte, daß „des Herrn die Erde ist, und was sie erfüllt.“3 Das war also ihm, der so hohe Weisheit besaß, und die ganze Zeit in Ägypten gelebt hatte, nicht unbekannt. Nun aber hätte er auch, wäre es sein Verlangen gewesen, zurückkehren und frei bleiben können von Trauer und Kummer. Da er aber auch den Vater hinaufgeführt hatte, weßhalb würde er auch seine Gebeine von dorther hinaufzubringen befohlen haben, wenn nicht aus dem besagten Grunde?
