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S. 93 Vielleicht hast du von einem andern noch Jüngern gehört? Denn nicht wahrscheinlich ist es, nie von einem Könige gehört zu haben, der sich als Kundschafter unter dem Vorwande der Gesandtschaft in Feindes Land begab. Oeffentliche Leistungen machen hieß damals Staaten lenken und Heere anführen, und Viele legten auch eine solche Herrschaft nieder. Einer von ihnen, der seine Jugend als Herrscher zugebracht, ergraute, müde der Anstrengungen, freiwillig als Privatmann. Ja, ich will dir zeigen, daß der Königsname selbst erst spät gebraucht wand; denn er fehlte den Römern, seitdem das Volk die Tarquinier austrieb. Darum halten wir euch für Könige, nennen euch so und schreiben so. Ihr aber, ob bewußt, ob nicht, und der Gewohnheit folgend, scheint den stolzen Namen abzulehnen. Nie ziert ihr euch mit dem Königsnamen, ihr mögt an einen Staat oder an einen Privatmann, oder an einen Statthalter schreiben, oder an einen auswärtigen Herrscher; aber Selbstgebieter zu seyn dünkt ihr euch. Der Selbstgebieter aber ist die Benennung eines Führeramtes, das Alles zu thun unternimmt. Iphikrates und Perikles schifften als selbstgebietende Führer von Athen ab und der Name kränkte nicht das freie Volk, sondern es bestimmte selbst durch Wahl das gesetzmäßige Führeramt. Zu Athen war ein sogenannter König unbedeutend S. 94 und untergeordnet, indem vermutlich das Volk mit dem Namen spielte; denn es genoß einer ungetrübten Freiheit. Allein der Selbstgebieter war bei ihnen nicht Alleinherrscher; erhaben aber war sowohl sein Geschäft, als sein Name. Ist nun dieses nicht ein deutlicher Beweis von der besonnenen Denkweise des Römerstaates, daß er, ob er gleich offenbar eine Alleinherrschaft geworden ist, doch bei seinem Haße gegen die Uebel der Tyrannei, vorsichtig zu Werke geht und sparsam den Königsnamen gebraucht? Denn durch Tyrannei wird die Alleinherrschaft verhaßt; durch Königthum aber beneidenswerth. Platon nennt dieß ein göttliches Gut in der Welt; er verlangt auch, daß es, weil es mit einem göttlichen Theile begabt ist, frei von aller Aufgeblasenheit sei; denn nicht auf einer Bühne sich zeigend, noch Gauckelspiel treibend, sondern
— — — — — auf stillem Pfad
hinwandelnd, leitet Gott nach Recht
das Sterbliche;
und ist bereit, allem, was zur Theilnahme geeignet ist, allenthalben beizustehen. So sei mir der König ein gemeinsames Gut und ohne Aufgeblasenheit. Wenn aber Tyrannen Gauckelspiel treiben, werden sie sich verbergen und dann schreckend hervortreten. Kein Wunder, daß sie, wahrer Hoheit er- S. 95 mangelnd, zur Verstellung ihre Zuflucht nehmen; denn wie soll derjenige, an dem nichts Gesundes ist, und der dieses weiß, das Liebt nicht fliehen, da er die Verachtung flieht? Aber die Sonne hat, bis jetzt noch niemand verachtet. Und doch, welcher Anblick ist gewöhnlicher? Ist ein König überzeugt, daß er ein wahrer König ist und nicht des Gegentheils überführt werden kann, so sei er allen zugänglich; denn er wird nicht weniger, ja noch mehr bewundert werden. Jenes hinkenden Königs, den Xenophon in seiner ganzen Schrift lobt, spotteten weder diejenigen, die er anführte, noch diejenigen, durch deren Gebiet er sie führte, noch diejenigen, gegen die er zog, wiewohl er sich in jeder Stadt an den volkreichsten Plätzen aufhielt, wo ihn, er mochte was immer thun, alle sehen konnten, denen daran lag, Sparta‘s Feldherrn zu schauen. Doch er setzte mit einem kleinen Heere nach Asien über und stürzte den von zahllosen Völkern angebeteten Menschen beinahe vom Throne; von seinem Stolze stürzte er ihn herab, trug, nachdem er durch den Ruf der heimischen Obrigkeiten von seinen Unternehmungen in Asien abgezogen worden, viele Siege über die Hellenen davon, und ward von dem Einzigen unter allen im Kampfe besiegt, von dem er wahrscheinlich auch besiegt worden wäre, wenn er um den Preis der Genügsamkeit mit ihm gestritten hätte. Dieser war Epami- S. 96 nondas, den die Staaten mit dem Ehrenkranze schmückend zum Mahle laden; er aber, wenn et dahingieng (denn anders konnte er bei seinem Ansehen den Anklagen nicht ausweichen) trank scharfen Essig, damit er, sagte er, der häuslichen Lebensart nicht vergäße. Da ein Attischer Jüngling über den Griff seines Schwertes spottete, weil er nur von schlechtem Holze und nicht ausgearbeitet war, sagte er: »Wenn wir kämpfen, wirst du nicht den Griff versuchen; das Eisen aber wirst du keine Ursache finden zu tadeln.«