8.
S. 121 Der Samier Pythagoras sagt, der Weise sei nichts anderes, als ein Betrachter des Seienden und des Werdenden; denn er sei in die Welt gekommen, wie zu einem heiligen Wettkampfe, um betrachten das Werdende. Jetzt wollen wir nun erwägen, wie der ordentliche Betrachter beschaffen seyn müsse. Sollen wir sagen, was klar und offen daliegt: der ist es, welcher auf seinem Platze die Darstellungen abwartet, wie sie einzeln der Reihe nach hinter dem Vorhange hervortauchen? Wenn sich aber Jemand mit Gewalt auf die Bühne drängt, und, wie man gewöhnlich sagt, unverschämte Blicke dahin wirft, und durch die Vorbühne alle Veranstaltungen auf einmal schauen will, gegen diesen bewaffnen die Kampfrichter die Geißelschwinger. Mag er es auch im Verborgenen thun, so wird er doch nichts deutlich wahrnehmen; denn er sieht nur mit Mühe Verworrenes und Ungeschiedenes. Manches jedoch auch voraus auf der Bühne zu verkünden, heischt ein Gesetz; es muß nämlich einer auftreten und dem Volke erzählen, was es bald darauf sehen wird. Dieser fehlt nicht; denn er dient dem Kampfrichter, von dem er es auch weiß, ohne daß er es neugierig zu erfahren suchte, noch deßhalb nicht zu Bewegendes bewegte, und, wenn er es weiß, so muß er schweigen, bis ihm aufgetragen wird, es bekannt zu machen, da das Gesetz nicht einmal die Schauspieler stets die Zeit des Spielens wissen läßt; sondern sie müssen warten, bis ihnen das Zeichen zum Auftreten gegeben wird. So soll derjenige, welchem Gott die Veranstaltungen zu dem, was von Natur im Leben verborgen liegt, mittheilt, diese Auszeichnung ehren und nicht minder, ja noch mehr, als die, welche nichts gehört haben, schweigen; denn über das Unbekannte stellt man Vermuthungen an. Allein die Wahrscheinlichkeit ist, wenn sie weiter fortschreitet, höchst unzuverlässig, und es finden darüber manche Erörte- S. 122 rungen statt; die Erkenntniß der Wahrheit aber ist bestimmt, bestimmt auch die Erörterung. Doch wird der Weise auch diese geheim halten, da sie ihm Gott gewissermaßen als Unterpfand anvertraute; denn man haßt die Ausplauderer. Wen aber Gott der Weihe nicht würdigt, der dränge sich nicht vor, noch lausche er; denn man haßt die Neugierigen. Ungehalten aber zu seyn, ist nicht vernünftig für den, dem bald Gleiches zu Theil werden wird. Kurze Zeit ja mißt den Menschen den verdienten Lohn zu, endlich werden die Dinge allgemein geschaut und gehört.
Doch die Tage der Zukunft
Sind bewährte Zeugen uns.