18. Die edessenischen Priester Eulogius und Protogenes
Da nun alle schweigend dastanden, sagte der Präfekt zu dem ersten aus ihnen: „Warum antwortest du denn nicht auf das, was wir gesagt haben?” Dieser entgegnete: „Ich glaubte, es sei nicht nötig, zu antworten, wenn man nicht gefragt wird.” „Aber”, erwiderte der Präfekt, „ich habe doch fürwahr viele Worte aufgewendet, um euch ans Herz zu legen, was euch frommt.” Eulogius entgegnete, seine Rede sei an alle gerichtet gewesen, und er habe es für unpassend gehalten, allein, ohne Rücksicht auf die übrigen, zu antworten. „Wenn du aber mich allein fragst, so werde ich meine Ansicht schon kundgeben.” „Nun ja,” erwiderte der Präfekt, „so halte Gemeinschaft mit dem Kaiser!” Darauf antwortete jener mit feiner Ironie und zutreffendem Witze: „Bringt er denn Opfer dar und hat er denn mit dem Kaisertum auch das Priestertum erhalten?” Der Präfekt, der den Spott wohl merkte, geriet in Zorn, überhäufte den Greis mit Schmähreden und sagte zum Schluß: „Das habe ich nicht gemeint, du unvernünftiger Mensch, sondern ich habe euch ermahnt, mit denjenigen Gemeinschaft zu halten, mit welchen der Kaiser Gemeinschaft hat.” Als der Greis darauf erwiderte, daß er einen Hirten habe und dessen Befehlen Folge leisten wolle, ließ jener gleichzeitig achtzig Männer ergreifen und nach Thrazien abführen. Auf dem Wege dahin erfreuten sich die Verbannten der größten Aufmerksamkeit; Städte und Dörfer zogen ihnen entgegen und feierten die siegreichen Kämpfer. Allein der Neid bewaffnete die Gegner und trieb sie an, dem Kaiser zu sagen, wie jenen Männern die als Unehre vermeinte Strafe nur sehr große Ehre eintrage. Auf diese Nachricht hin befahl Valens, sie zu je zweien voneinander zu trennen und die einen nach Thrazien, andere an die äußersten S. 229 Grenzen von Arabien zu schicken, wieder andere in die kleinen Städte der Thebais zu verteilen. Wie man erzählt, hätten jene grausamen Menschen solche, welche die Natur miteinander verbunden, getrennt und Brüder auseinander gerissen. Den Eulogius, den Führer der übrigen, und den Protogenes, den nächsten nach ihm, schickte der Kaiser nach Antino in der Thebais.
Ich will aber ihre Tugend nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen. Nachdem sie nämlich in dem Bischof der Stadt einen Gesinnungsgenossen gefunden hatten, nahmen sie an den kirchlichen Versammlungen teil, sahen aber, daß sich zu denselben nur ganz wenige einfanden, und erfuhren auf ihre Frage, daß die Bewohner der Stadt Heiden seien. Das schmerzte sie natürlich, und sie beklagten deren Unglauben. Sie waren jedoch nicht der Meinung, daß mit dem Klagen alles getan sei, vielmehr sorgten sie nach Kräften für die Heilung dieser Menschen. Der heilige Eulogius schloß sich in ein kleines Gemach ein und betete Tag und Nacht zu dem Gott des Weltalls. Der bewunderungswürdige Protogenes aber, der in den Schriftzeichen des Eunomius1 wohl bewandert und im Schnellschreiben geübt war, errichtete, nachdem er einen hierzu geeigneten Platz gefunden hatte, eine Unterrichts- und Erziehungsanstalt, trat als Lehrer S. 230 der Knaben auf und unterrichtete sie gleichzeitig im Schnellschreiben und in den heiligen Schriften. Er diktierte ihnen nämlich Davidische Gesänge und ließ sie passende Stellen aus den Schriften der Apostel auswendig lernen. Und als einer der Knaben in eine Krankheit fiel, kam er in das Haus, faßte den Knaben an der rechten Hand und verscheuchte die Krankheit durch sein Gebet. Als die Väter der übrigen Kinder davon hörten, führten sie ihn in ihre Häuser und baten ihn, den Kranken zu helfen. Er aber entgegnete, er werde nicht eher Gott um Hinwegnahme der Krankheit bitten, bis der Kranke die Taufgnade empfangen habe. Die Kranken aber gingen, von der Sehnsucht nach Gesundheit getrieben, bereitwillig darauf ein und erlangten so gleichzeitig die Gesundheit der Seele und des Leibes. Wenn er aber einmal einen Gesunden dazu vermochte, sich der göttlichen Gnade teilhaftig zu machen, so führte er ihn zu Eulogius, klopfte an die Türe und bat ihn, zu öffnen und dem für das Christentum Gewonnenen das Siegel des Herrn aufzudrücken2. Und als dieser einmal unwillig wurde, weil er in seinem Gebete gestört wurde, entgegnete jener, notwendiger als das Gebet sei die Rettung der Irrenden. Es bewunderten aber alle den Protogenes, da sie sahen, wie er so erstaunliche Wunder wirkte und so vielen das Licht der Erkenntnis Gottes vermittelte und dennoch dem Eulogius den Vorrang einräumte und die für das Christentum Gewonnenen ihm zuführte. Sie schlossen daraus mit Recht, daß dessen Tugend noch viel größer und vorzüglicher sein müsse. Als endlich der Sturm sich legte und volle Windstille eintrat, erging an sie die Aufforderung zur Rückkehr. S. 231 Da gaben ihnen alle das Geleite unter Wehklagen und Tränen, nicht zuletzt der Vorsteher jener Kirche, der nun ihre Mitarbeit entbehren mußte. Nachdem sie in ihr Vaterland zurückgekehrt waren, wurde der heilige Eulogius, da der große Barses zu einem schmerzlosen Leben hinübergegangen war, mit der Regierung der von jenem geleiteten Kirche betraut, der bewunderungswürdige Protogenes aber erhielt den Auftrag, seine Arbeit der Stadt Karrhä zu widmen, welche verwildert und mit heidnischen Disteln und Dornen angefüllt war und deshalb großer Sorgfalt bedurfte. — Dieses geschah nach der Wiederherstellung des kirchlichen Friedens.
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Eunomius, der bekannte Arianer strengster Richtung, hatte in seiner Jugend die Schnellschrift erlernt und sich durch Ausübung dieser Kunst eine Zeitlang seinen Lebensunterhalt verdient (Gregor Nyss. c. Eunomium lib. I, bei Migne 45, 264). In Alexandrien, wo er seit 356 Studien halber weilte, wurde er Notarius, d. h. Schreiber und Schnellschreiber des Aëtius und durch diesen in die arianische Häresie hineingezogen (Socrates, HE 4, 7). Eunomius muß sich auch fernerhin durch seine Kenntnis und Übung, vielleicht auch Gründung einer Schule der Stenographie einen so berühmten Namen gemacht haben, daß diese Schnellschrift später geradezu als Schrift des Eunomius (τὰ Εὐνομίου γράμματα [ta Eunomiou grammata]) bezeichnet wurde. Auch Protogenes hatte die eunomianische Stenographie gelernt und bildete in der von ihm gegründeten Knabenschule die Schüler auch in der Stenographie aus. Gleichzeitig aber benützte er den Unterricht in dieser Kunst, um seine Schüler mit dem Christentum bekannt zu machen und womöglich zum Christentum zu führen. — Vgl. Revue de Philologie 1909, S. 238 f. ↩
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Das Siegel des Herrn (ἡ δεσποτικὴ σφραγὶς) [hē despotikē sphragis] ist hier nicht die Taufe, wie Parmentier meint (im Wortregister seiner Ausgabe der KG Theodorets, S. 425), sondern das Kreuzzeichen, das dem zum Christentum Übertretenden bei der Aufnahme in das Katechumenat auf die Stirne gedrückt wurde (impressio crucis). Von da an galt der Katechumene in der alten Kirche als Christ, wenn er auch die Taufe noch nicht empfangen hatte. — Vgl. oben III 17, S. 190, wo unter dem Siegel oder Zeichen der Erlösung (σωτήριος σφραγὶς) [sōtērios sphragis] ebenfalls das Kreuzzeichen zu verstehen ist. ↩