6. Schreiben des Bischofs Eusebius von Nikomedien an den Bischof Paulinus von Tyrus
„Meinem Gebieter Paulinus entbiete ich, Eusebius, Gruß im Herrn.
Gleichwie der Eifer meines Herrn Eusebius1 für die wahre Lehre nicht verschwiegen und verborgen geblieben, sondern die Kunde hiervon rasch auch bis zu uns gedrungen ist, so gilt das gleiche auch von Deinem diesbezüglichen Schweigen, o Herr; und wie es nicht anders sein konnte, sind wir durch das Verhalten meines S. 28 Herrn Eusebius mit Freude, durch Deine Zurückhaltung aber mit Betrübnis erfüllt worden, da wir nämlich schon das Schweigen eines solchen Mannes als einen Nachteil für unsere Sache betrachten. Daher ersuche ich Dich, der Du ja weißt, wie wenig es einem verständigen Manne geziemt, bei abweichender Überzeugung mit der Wahrheit zurückzuhalten, Dich aufzuraffen und zur schriftstellerischen Tätigkeit über diesen Gegenstand zu entschließen, die Dir selbst nützen wird und denen, die auf Dich hören, besonders wenn Du Dich bei Deinen Ausführungen an die Heilige Schrift anschließen und den Spuren ihrer Worte und Gedanken folgen willst. Haben wir ja doch, mein Herr, niemals von zwei ungezeugten Wesen gehört, und auch niemals gelernt und geglaubt, daß ein ungezeugtes Wesen in zwei Wesen geteilt worden sei oder nach Art der Körper eine Entwicklung erfahren habe; sondern eines ist das Ungezeugte, eines das von ihm in Wahrheit, aber nicht aus seiner Substanz Gewordene, das in keiner Weise an der ungezeugten Natur teil hat, noch aus der Substanz des Ungezeugten ist, das vielmehr, seiner Natur und Macht nach ganz und gar ein Anderes, nur nach Anlage und Kraft seinem Urheber vollkommen ähnlich gestaltet ist. Was aber den Ursprung desselben betrifft, so glauben wir, daß derselbe weder mit Worten erklärt noch auch mit dem Verstande nicht nur der Menschen, sondern selbst der über den Menschen stehenden höheren Wesen erfaßt werden kann.
Indem wir dieses behaupten, stellen wir keineswegs unsere eigenen Gedanken auf, sondern nur das, was wir von der Heiligen Schrift gelernt haben. Wir haben nämlich gelernt, daß der Sohn seiner Wesenheit und unveränderlichen und unaussprechlichen Natur nach und in seiner Ähnlichkeit mit seinem Urheber geschaffen und gegründet und gezeugt ist, wie der Herr selbst sagt: „Gott schuf mich als Erstling seiner Wege, und vor der Zeit gründete er mich, vor allen Hügeln zeugte er mich2.“ Wenn er (der Sohn) dagegen aus ihm (Gott), S. 29 das ist von ihm wäre, etwa wie ein Teil von ihm oder aus einem Erguß seines Wesens, so würde er nicht mehr als geschaffen oder gegründet bezeichnet werden. Dieses kannst Du, o Herr, fürwahr auch selbst nicht verkennen. Denn was aus dem Ungezeugten sein Dasein hätte, das könnte nicht mehr von einem anderen oder von dem Ungezeugten geschaffen oder gegründet sein, da es seinem Ursprunge nach ein Ungezeugtes wäre. Will man aber in dem Umstande, daß der Sohn als gezeugt bezeichnet wird, eine Andeutung finden, als wenn er aus dem väterlichen Wesen entstanden wäre und daher auch dieselbe Natur wie der Vater hätte, so wissen wir, daß die Schrift das Gezeugtsein nicht nur von ihm allein aussagt, sondern auch von den Wesen, die ihm von Natur aus in allem unähnlich sind. So sagt sie auch von Menschen: „Söhne habe ich erzeugt und erhöht; sie aber haben mich verachtet3.“ Und wiederum: „Gott, der dich gezeugt, hast du verlassen4.“ Und mit Bezug auf andere Dinge sagt sie: „Wer zeugte des Taues Tropfen5?“ Mit solchen Ausdrücken will sie nicht eine Natur aus einer anderen herleiten, sondern nur für jegliches der geschaffenen Dinge den Ursprung aus dem Willen Gottes bezeichnen. Denn nichts ist aus seinem Wesen, sondern alles ist durch seinen Willen geworden, und jedes ist so, wie es geworden ist. Denn jener ist Gott; die Dinge aber sollten, um Gott ähnlich zu werden, dem Worte (Logos) ähnlich sein; diese sind nach seinem freien Willen geworden. Diese sind alle von Gott durch das Wort gemacht worden, alles aber ist aus Gott.
Diese Gedanken mögest Du aufnehmen und gemäß der von Gott Dir verliehenen Geistesgabe in eine entsprechende Form bringen und alsbald meinem Herrn S. 30 Alexander übermitteln. Ich hege nämlich die zuversichtliche Hoffnung, Du werdest ihn durch Dein Schreiben zu anderen Ansichten bringen. Grüße alle Brüder im Herrn! Die göttliche Gnade erhalte Dich, o Herr, gesund und betend für uns!“
Derartige Schreiben sandten sich nun auch diese (die Gesinnungsgenossen des Arius) einander zu und rüsteten sich so zum Kampf gegen die Wahrheit.
Als nun infolgedessen die gotteslästerliche Neuerung in den ägyptischen und morgenländischen Kirchen sich ausbreitete, entstanden in jeder Stadt und in jedem Dorfe Zerwürfnisse und Streitigkeiten über die göttlichen Lehren. Das übrige Volk aber spielte den Zuschauer gegenüber den Ereignissen und den Richter bei den Wortkämpfen, und die einen gaben dieser Partei recht, die anderen der Gegenpartei; und die Vorgänge hätten einen trefflichen Stoff gegeben zu einem Trauerspiel und zu Klageliedern. Denn es waren jetzt nicht, wie in früheren Zeiten, Fremde und Feinde, welche die Kirche bedrängten, sondern die eigenen Stammes- und Haus- und Tischgenossen setzten jetzt statt der Speere ihre Zungen gegeneinander in Bewegung; ja noch mehr, diejenigen, welche als Glieder zusammen und zu einem Leibe gehörten, führten gegeneinander die Waffen.
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Eusebius von Cäsarea. ↩
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Sprichw. 8, 22 f. 25. — Das hebr. Wort kanah bedeutet “erwerben, kaufen, besitzen“. Die Septuaginta übersetzt die Stelle mit: “Der Herr schuf mich als Erstling seiner Wege zu seinen S. 29 Werken”, die Vulgata richtiger: Der Herr besaß mich am Anfange seiner Wege, bevor er etwas bildete. Ebenso Aquila, der z. Zt. des Kaisers Hadrian (117—138) die hebr. Bibel in das Griechische übertrug. Arius konnte für seine Zwecke nur die Übersetzung der Septuaginta gebrauchen. Fortan bildete die Stelle den locus classicus der Arianer. ↩
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Is. 1, 2. ↩
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Deut. 32, 18. ↩
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Job 38, 28. ↩