VI. KAPITEL. Vom Himmel.
Himmel ist die Umfassung der sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe. Denn in seinem Bereiche sind die S. 52 geistigen Mächte der Engel und alle sinnlichen Dinge umschlossen und umgrenzt. Nur das göttliche Wesen ist unumschrieben, es erfüllt alles, umfaßt alles und umgrenzt alles, da es über allem ist und alles geschaffen hat.
Da nun die Schrift von einem Himmel und einem „Himmel des Himmels“ 1 und von „Himmeln der Himmel“ 2 spricht, und der selige Paulus sagt, er sei bis in den dritten Himmel entrückt worden 3, so behaupten wir, daß wir bei der Entstehung des Weltalls den Himmel geschaffen bekamen, den die außenstehenden4 (= heidnischen) Weisen, die sich die Lehre des Moses angeeignet, die sternlose Sphäre nennen. Außerdem nannte Gott auch noch das Firmament Himmel 5. Diesen ließ er inmitten des Wassers entstehen und bestimmte ihn als Scheide zwischen dem Wasser ober dem Firmament und zwischen dem Wasser unter dem Firmament 6. Der göttliche Basilius 7, aus der Hl. Schrift belehrt, nennt dessen Natur fein wie Rauch. Andere aber [nennen] sie wässrig, da sie sich inmitten der Wasser befindet, andere aus den vier Elementen [zusammengesetzt], andere einen fünften, von den vier [Elementen] verschiedenen Körper.
Einige meinten nun, der Himmel umfasse das All im Kreise, sei kugelförmig und auf allen Seiten der oberste Teil, der von ihm umfaßte Zwischenraum aber sei der untere Teil. Die leichten und flüchtigen Körper hätten vom Schöpfer den oberen Raum bekommen, die schweren, abwärtsstrebenden aber den unteren Raum, S. 53 d. i. den Zwischenraum. Das leichtere, aufwärtsstrebende Element nun ist das Feuer, das, wie sie behaupten, gleich nach dem Himmel seinen Platz hat. Dies nennen sie den Äther, das aber, was weiter abwärts liegt, die Luft. Die Erde und das Wasser jedoch seien, da schwerer und mehr abwärtsstrebend, im Zwischenraum befestigt, so daß einander gegenüber unten die Erde und das Wasser ist — das Wasser ist leichter als die Erde, darum ist es beweglicher als sie —, oben aber ringsum auf allen Seiten wie ein Umwurf die Luft, und um die Luft auf allen Seiten der Äther, außerhalb allem jedoch im Umkreis der Himmel.
Weiter behaupten sie, der Himmel bewege sich kreisförmig und halte das, was sich innerhalb befindet, zusammen, und so bleibe es fest und falle nicht.
Ferner nehmen sie sieben Zonen des Himmels an, die eine höher als die andere. Er selbst, sagen sie, sei von sehr feiner Natur wie Rauch, und in jeder Zone sei einer der Planeten. Es gebe nämlich, so behaupten sie, sieben Planeten: Sonne, Mond, Jupiter, Merkur, Mars, Venus und Saturn. Die Venus, sagen sie, sei bald Morgen-, bald Abendstern. Planeten aber nannten sie diese, weil sie eine dem Himmel entgegengesetzte Bewegung machen. Denn während der Himmel und die übrigen Gestirne sich von Aufgang gegen Untergang bewegen, haben diese allein ihre Bewegung von Untergang gegen Aufgang. Das werden wir am Mond bemerken, der jeden Abend ein wenig rückwärts geht.
Alle, die den Himmel für kugelförmig erklärten, schreiben ihm gleichen Abstand und Entfernung von der Erde zu, sowohl von oben, wie nach den Seiten und von unten. Von unten und nach den Seiten, sage ich, soweit unsere sinnliche Wahrnehmung in Betracht kommt. Denn, wie aus dem Gesagten folgt, nimmt der Himmel von allen Seiten den oberen Raum und die Erde den unteren ein. Und sie sagen, der Himmel drehe sich im Kreise um die Erde und trage durch seine äußerst schnelle Bewegung Sonne, Mond und die Sterne mit herum, und, wenn die Sonne über der Erde sei, dann sei es hier Tag, unter der Erde aber Nacht. Wenn jedoch S. 54 die Sonne unter die Erde hinabsteige, dann sei es hier Nacht, dort aber Tag.
Andere dagegen stellten sich den Himmel als eine Halbkugel vor, weil der göttliche David sagt: „Der den Himmel ausspannt wie ein Fell“ 8, was soviel als Zelt bedeutet, und der selige Isaias: „Der den Himmel befestigt wie ein Gewölbe 9“, und weil die Sonne, der Mond und die Sterne bei ihrem Untergang die Erde von Westen gegen Norden umkreisen und so wiederum zum Aufgang gelangen. Doch, ob so oder so, alles ist durch den göttlichen Befehl geschaffen und begründet und hat den göttlichen Willensbeschluß zur unerschütterlichen Grundlage. „Denn er sprach, und sie wurden; er befahl, und sie wurden geschaffen. Er gab ihnen Bestand für alle Ewigkeit; er gab ein Gesetz und übertritt es nicht 10.“
„Himmel des Himmels“ ist also der erste Himmel, der ober dem Firmamente ist. Siehe da, zwei Himmel! Denn auch das Firmament nannte Gott Himmel 11. Es pflegt aber die göttliche Schrift auch die Luft Himmel zu nennen, weil sie oben gesehen wird. Denn sie sagt: „Preiset ihn, all ihr Vögel des Himmels 12“, d. i. der Luft. Die Luft ist ja der Aufenthaltsort der Vögel, und nicht der Himmel. Siehe da, drei Himmel! Von diesen sprach der göttliche Apostel 13. Willst du aber auch die sieben [Planeten-] Zonen als sieben Himmel fassen, so tut das dem „Wort der Wahrheit 14“ durchaus keinen Eintrag 15. Es pflegt auch die hebräische Sprache statt [der Einzahl] der Himmel die Mehrzahl: die Himmel zu gebrauchen. S. 55 Indem sie also Himmel des Himmels sagen wollte, sagte sie Himmel der Himmel, was Himmel des Himmels, der [Himmel] ober dem Firmament, bedeutet, und [sie sagte] „die Wasser ober den Himmeln“ 16, indem die Luft und das Firmament oder die sieben Zonen des Firmaments oder das Firmament nach dem hebräischen Sprachgebrauch mit dem Plural Himmel bezeichnet werden.
Alle geschaffenen Dinge unterliegen naturgemäß der Vergänglichkeit, auch die Himmel. 17. Durch die Gnade Gottes werden sie jedoch erhalten und bewahrt. Nur das göttliche Wesen ist seiner Natur nach ohne Anfang und ohne Ende. Darum heißt es auch: „Sie gehen unter, du aber bleibst 18.“ Doch werden die Himmel nicht vollständig vergehen. Denn sie werden altern, und wie ein Mantel werden sie aufgerollt und geändert werden 19, und es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein 20.
Der Himmel ist vielmal größer als die Erde. Nach dem Wesen des Himmels zu forschen, ist jedoch nicht nötig, denn es ist für uns unerkennbar.
Niemand soll die Himmel oder die Himmelslichter für beseelt halten, denn sie sind unbeseelt und empfindungslos 21. Deshalb ruft die göttliche Schrift, wenn sie auch sagt: „Freuen sollen sich die Himmel, und frohlocken soll die Erde 22“, die Engel im Himmel und die Menschen auf der Erde zur Freude auf. Es weiß die Schrift zu personifizieren und vom Unbeseelten gleichwie von Beseeltem zu sprechen. Z. B.: „Das Meer schaute und floh; der Jordan wandte sich zurück 23.“ Und: „Was ist dir, o Meer, daß du fliehst? Und dir, o S. 56 Jordan, daß du dich zurückwendest 24?“ Auch Berge und Hügel werden um den Grund ihres Hüpfens gefragt 25. So pflegen auch wir zu sagen: Die Stadt versammelte sich. Damit wollen wir nicht die Häuser, sondern die Bewohner der Stadt bezeichnen. Und: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes26.“ Sie geben zwar keinen für sinnliche Ohren vernehmbaren Laut von sich, aber durch die Größe, die ihnen eigen ist, stellen sie uns die Macht des Schöpfers dar. Wir betrachten ihre Schönheit und preisen den Schöpfer als den trefflichsten Künstler.
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Deut. 10, 14; Ps. 67, 34; 113, 24. [hebr. Ps. 68, 34; 114, 24]. ↩
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3 Kön. 8, 27 [1 Kön. nach neuerer Zählart]; 2 Chron. 2, 6; 6,18; Ps. 148, 4 [hebr. Ps. 148, 4.]; Ekkli. 16, 18. ↩
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2 Kor. 12, 2. ↩
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ὁι ἔξω [hoi exō] = die Nichtchristen: 1 Kor. 5, 12 f.; Kol. 4, 5; 1 Thess. 4, 12. ↩
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Gen. 1, 8. ↩
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Ebd. [Gen.] 1, 6 f. ↩
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Homil. 1, 8 in Hexaem. (Migne, P. gr. 29, 20 C—21 A) schreibt Basilius: „Was die Wesenheit des Himmels betrifft, so genügen uns dafür die Aussprüche des Isaias, der uns in schlichten Worten eine hinreichende Kenntnis von dessen Beschaffenheit gibt, indem er sagt: ‚Er bildete den Himmel wie Rauch‘ (vgl. 51, 6 nach LXX [Septuaginta]), d. h. er nahm zur Bildung des Himmels einen dünnen, nicht festen und nicht dichten Stoff.“ ↩
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Ps. 103, 2 [hebr. Ps. 104, 2]. ↩
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Is. 40, 22 nach LXX [Septuaginta]. ↩
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Ps. 148, 5 f. [hebr. Ps. 148, 5 f.]. ↩
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Gen. 1, 8. ↩
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Dan. 3, 80 nach der Vulgata, 3, 57 nach LXX [Septuaginta]. ↩
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2 Kor. 12, 2. ↩
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Eph. 1, 13; Kol. 1, 5; 2 Tim. 2, 15; Jak. 1, 18. ↩
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Johannes nimmt also drei Himmel an: die Luft, das Firmament und die sternlose Sphäre. Die Väter hüteten sich, die Zahl der Himmel zu vermehren, um nicht die Gnostiker zu begünstigen, von denen einige sieben, manche sogar 365 Himmel zählten. Migne, P. gr. 94, 880 A (58). ↩
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Ps. 148, 4 [hebr. Ps. 148, 4]. ↩
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Die Vertreter der aristotelischen Richtung lehrten die Unvergänglichkeit des Himmels. ↩
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Ps. 101, 27 [hebr. Ps. 102, 27]. ↩
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Ebd. [Ps.] 101, 27 nach LXX [hebr. Ps. 102, 27]; Hebr. 1, 11 f. ↩
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Offenb. 21, 1; vgl. 2 Petr. 3, 13. ↩
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Damit wendet sich Johannes gegen Platoniker, Manichäer und Origenisten, die die Gestirne für beseelte Wesen hielten. ↩
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Ps. 95, 11 [hebr. Ps. 96, 11]. ↩
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Ebd. [Ps.] 113, 3 [hebr. Ps. 114, 3]. ↩
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Ps. 113, 5 [hebr. Ps. 114, 5]. ↩
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Ebd. [Ps.] 113, 6 [hebr. Ps. 114, 6]. ↩
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Ebd. [Ps.] 18, 2 [hebr. Ps. 19, 2]. ↩