VIII. KAPITEL. Von der Luft und den Winden.
S. 65 Die Luft ist ein sehr feines Element 1, feucht und warm, schwerer als das Feuer, aber leichter als die Erde und die Wasser, Grund des Atemholens und der Stimme, farblos, d. h. von Natur aus ohne Farbe, durchsichtig, durchscheinend, denn sie nimmt das Licht auf. Sie dient dreien unserer Sinne. Denn durch sie sehen, hören, riechen wir. Sie nimmt Wärme und Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit an, und all ihre örtlichen Bewegungen sind: aufwärts, abwärts, hinein, heraus, nach rechts und links, und die Kreisbewegung.
Von Haus aus besitzt sie kein Licht, sondern wird von Sonne, Mond und Sternen und vom Feuer beleuchtet. Und das ist es, was die Schrift sagt: „Finsternis war über dem Abgrund 2.“ Damit will sie zeigen, daß die Luft das Licht nicht von Haus aus besitze, sondern die Wesenheit des Lichtes eine andere sei.
Wind ist Luftbewegung oder Wind ist ein Luftstrom, der entsprechend dem Wechsel der Orte, von denen er kommt, seine Namen ändert 3.
Die Luft hat auch ihren Ort. Denn Ort eines jeden Körpers ist dessen Umgebung. Was aber umgibt die Körper außer Luft? Es gibt jedoch verschiedene Orte, woher die Bewegung der Luft kommt, von denen auch die Winde ihre Namen haben. Im ganzen sind es zwölf. Man sagt, die Luft sei ein erloschenes Feuer oder ein Dunst erhitzten Wassers. Es ist daher die Luft ihrer Natur nach warm. Sie wird jedoch durch ihre Annäherung an das Wasser und die Erde abgekühlt, so daß ihre unteren Teile kalt, die oberen aber warm sind 4.
Winde wehen: Vom sommerlichen Aufgang [der Sonne] der Kaikias oder auch Meses (═ der Nordostwind), vom äquinoktialischen Aufgang der Ostwind, vom winterlichen Aufgang der Südostwind, vom winterlichen S. 66 Untergang der Südwestwind, vom äquinoktialischen Untergang der Westwind, vom sommerlichen Untergang der Agrestes oder Olympias oder auch Japyx (═ der Nordwestwind). Dann der Süd- und Nordwind, die einander entgegenwehen. Zwischen Nord- und Nordostwind aber der Nordnordostwind, zwischen Südost- und Südwind der Phoinikias, der sog. Euronotos (═ der Südsüdostwind), zwischen dem Nord- und Nordwestwind aber der Thraskias, von den Umwohnern Kerkios genannt (═ der Nordnordwestwind).
Völker 5 wohnen: An den Grenzen [der Erde] gegen Osten die Baktrianer, gegen Südosten die Indier, gegen Südsüdost [liegt] das Rote Meer und Äthiopien; gegen Südsüdwesten [wohnen] die Garamanten 6 jenseits (═ südlich) der Syrte, gegen Südwesten die Äthiopen und westlichen Mauren, gegen Westen [sind] die Säulen [des Herkules] und die Anfänge von Libyen und Europa, gegen Nordwesten [ist] Iberien, jetzt Spanien, gegen Nordnordwesten [wohnen] die Kelten und angrenzende Völker, gegen Norden die hyperthrakischen Skythen, gegen Nordnordost [sind] der Pontus, die Mäotis und die Sarmaten, gegen Nordosten das Kaspische Meer und die Saken.
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Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 252, 9. ↩
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Gen. 1, 2. ↩
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Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 252, 11 f. ↩
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Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Nemes., De nat. hom. c. 5, Halle 1802, S. 157. ↩
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Folgender Abschnitt fehlt in den meisten Handschriften. ↩
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Ein Volk in Afrika im heutigen Fessan, südlich der Großen und Kleinen Syrte. ↩