XXVI. KAPITEL. Vom körperlichen Leiden des Herrn und der Leidenslosigkeit seiner Gottheit.
Das Wort Gottes selbst litt alles im Fleische, während seine göttliche, allein leidenslose Natur leidenslos blieb. Denn da der eine, aus Gottheit und Menschheit zusammengesetzte, in Gottheit und Menschheit existierende Christus litt, so litt der leidensfähige, von Natur aus zum Leiden geeignete Teil, der leidenslose aber litt nicht mit. Die Seele ist leidensfähig. Darum leidet und duldet sie, wenn der Leib geschnitten wird, mit dem Leibe mit, obwohl sie selbst nicht geschnitten wird. Die Gottheit aber ist leidenslos, darum litt sie nicht mit dem Leibe mit.
Wohlgemerkt, wir sagen zwar: Gott litt im Fleische 1, keineswegs aber: Die Gottheit litt im Fleische oder Gott litt durch das Fleisch. Bescheint die Sonne den Baum, wenn die Axt ihn behaut, so bleibt die Sonne S. 183 unbehauen und leidenslos 2. Um wieviel mehr bleibt die leidenslose, mit dem Fleische hypostatisch geeinte Gottheit des Wortes leidenslos, wenn das Fleisch leidet? Gießt man auf ein feurig gemachtes Eisen Wasser, so löscht das, was geeignet ist, vom Wasser etwas zu erleiden, nämlich das Feuer, aus, das Eisen aber bleibt unversehrt. Es ist ja von Natur aus nicht geeignet, vom Wasser zerstört zu werden. Um wieviel weniger ließ beim Leiden des Fleisches die allein leidenslose Gottheit das Leiden zu, obwohl sie von ihm (═ dem Fleische) nicht getrennt war. Es ist nicht notwendig, daß sich die Beispiele vollkommen und restlos decken. Man muß doch in den Beispielen sowohl die Ähnlichkeit wie die Verschiedenheit sehen, sonst wäre es kein Beispiel. Denn das in allem Gleiche wäre ja das nämliche und kein Gleichnis, und besonders [gilt das] beim Göttlichen. Es ist ja unmöglich, ein in allem gleiches Beispiel zu finden, mag es sich um die Gotteslehre oder die Heilsveranstaltung handeln.
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Vgl. 1 Petr. 4, 1. ↩
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Dieses Beispiel hat Johannes bei Eulogius von Alexandrien gefunden. Siehe Bardenhewer, Ungedruckte Exzerpte aus einer Schrift des Patriarchen Eulogius von Alexandrien (580—607) über Trinität und Inkarnation VII, 11 in der Tübinger Theolog. Quartalschrift 78 (1896), S. 377, 393: „Wie die am Baume befindliche Sonne beim Fällen des Baumes ihrerseits nicht verwundet wird...“ ↩