Der Brief an die Gefolgsleute des Coroticus
S. 41 (1) Patricius, der Sünder und Ungelehrte, ich erkläre, daß ich für Irland als Bischof bestellt worden bin. Unerschütterlich bin ich davon überzeugt, daß ich von Gott empfangen habe, was ich bin. Unter Barbarenstämmen wohne ich deswegen als Ankömmling und Heimatloser wegen der Liebe Gottes. Er ist mein Zeuge, daß es so ist. Nicht daß ich wünschte, harte und grobe Worte zu sprechen, aber ich bin dazu gezwungen, angetrieben durch den Eifer für Gott und die Wahrheit Christi, aus Liebe zu meinen Nächsten und meinen Kindern, für die ich Vaterland und Eltern verloren habe und meine Seele bis zum Tode*. Ich habe Gott gelobt, falls ich würdig bin, die Heiden zu belehren, auch wenn ich dafür von manchen verachtet werde. (2) Mit eigener Hand habe ich diesen Brief geschrieben und verfaßt, damit er abgeschickt, befördert und den Gefolgsleuten des Coroticus übermittelt werde; ich sage nicht meinen Mitbürgern oder den Mitbürgern der geheiligten1 Römer, sondern den Mitbürgern der Dämonen, denn das sind sie durch ihre bösen Werke geworden. Sie benehmen sich wie Feinde und leben S. 42 im Tode, Bundesgenossen der Schotten2 und der vom Glauben abgefallenen Pikten; es scheint, daß sie dick werden wollen vom Blute der unschuldigen Christen, die ich in großer Zahl für Gott gezeugt und in Christus vollendet habe.
(3) Einen Tag nachdem die Tauflinge im weißen Kleid die Salbung empfangen hatten — noch war sie auf ihren Stirnen nicht getrocknet, als sie mit dem Schwerte grausam hingemordet und ge schlachtet wurden, da übermittelte ich den eben genannten Personen durch einen geheiligten Prie ster, den ich seit seiner Kindheit erzogen habe — er wurde von anderen Männern geistlichen Standes begleitet —, einen Brief und forderte sie auf, sie sollten uns von ihrer Beute und von den christlichen Gefangenen, die sie gemacht hatten, etwas zurückgeben.— Höhnisches Gelächter war die Antwort, die sie erhielten.
(4) Deshalb weiß ich nicht, wen ich mehr bedauern soll, die, die getötet, die, die gefangen genommen wurden, oder die, die der Teufel bös in die Falle gelockt hat. Ewiger Strafe werden sie verfallen und zusammen mit ihm in der Holle zu Hause sein, denn wer Sünde tut, ist ein Sklave und wird vom Herrn Sohn des Teufels genannt. (5) Deshalb möge jeder, der Gott fürchtet, wissen, daß sie Fremde sind für mich und für Christus, meinen Gott, für den ich einen Auftrag verwalte. Vatermörder, Brudermörder, reißende Wölfe, S. 43 verschlingen sie das Volk des Herrn, als wäre es ein Bissen Brot. Wie es heißt Die Ungerechten haben deine Gesetzesordnung, o Herr, zerstört, die dieser am Ende der Zeiten in Irland in seiner Güte hatte ausgezeichnet aufwachsen lassen, und die dort eingerichtet war, gefordert von Gottes Gunst.
(6) Ich maße mir nichts an, sondern ich gehöre zu denen, die er berufen und bestimmt hat, das Evangelium bis an die Grenzen der Erde unter nicht geringen Verfolgungen zu verkünden; mag auch der Böse es mir mißgönnen und sich der Macht des Coroticus bedienen, der weder Gott fürchtet noch dessen Priester, die dieser erwählt hat und denen er die Fülle der göttlich-erhabenen Macht überlassen hat, wen sie auf Erden binden würden, der sollte auch im Himmel gebunden sein. (7) Deshalb bitte ich sehr, ihr, die ihr heilig und demütig von Herzen seid, es ist nicht erlaubt, solchen Leuten zu schmeicheln, Speise und Trank mit ihnen zu genießen und Gaben von ihnen anzunehmen, bevor sie harte Buße tun und unter Tränen Gott Genugtuung leisten und die getauften Knechte Gottes und Mägde Christi freigeben, für die dieser gestorben und gekreuzigt worden ist. (8) Die Geschenke der Ungerechten weist der Herr zurück. Wer vom Vermögen der Armen opfert, der schlachtet gleichsam den Sohn in Gegenwart des Vaters. Der Reichtum, heißt es, den er ungerecht gesammelt hat, wird aus seinem Magen ausgespieen werden, fort schleppt ihn der Engel des Todes, der Zorn des Drachen wird seine Strafe sein, töten S. 44 wird ihn die Zunge der Natter, verzehren wird ihn das unauslöschliche Feuer. Deshalb wehe denen, die sich anfüllen mit dem, was nicht ihnen gehört. Und was nützt es dem Menschen, daß er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet.
(9) Zu lang wäre es, die Zeugnisse über derartige Begehrlichkeit der Reihe nach zu besprechen und mitzuteilen, sie im ganzen Gesetz aufzusuchen. Die Habsucht ist eine tödliche Sünde. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut. Du sollst nicht töten. Ein Menschenmörder kann nicht mit Christus sein. Und wer seinen Bruder nicht liebt, bleibt im Tode. Um wieviel mehr ist der schuldig, der seine Hände besudelt hat mit dem Blute der Kinder Gottes, die dieser eben erst sich zu eigen gemacht hat an den Grenzen der Erde durch die Predigt meiner geringen Person.
(10) Bin ich etwa ohne Gott oder gemäß dem Fleische nach Irland gekommen? Wer hat mich — in den Fesseln des Geistes — gezwungen, keinen von meinen Verwandten zu sehen? Stammt etwa von mir das liebevolle Erbarmen, das ich gegen das Volk übe, das mich einst gefangen und die Knechte und Mägde aus dem Hause meines Vaters geraubt hat? Ein Freigeborener war ich dem Fleische nach. Ratsherr war mein Vater. Aber ich habe meinen Adel verkauft — ich erröte nicht und bereue es nicht — für den Nutzen anderer. Und nun diene ich in Christus einem fremden Volk für die unaussprechliche Herrlichkeit des ewigen Lebens, das ist in Christus Jesus, S. 45 unserem Herrn. (11) Und wenn mich die Meinigen nicht kennen, so genießt kein Prophet Ehre in seinem Vaterland. Vielleicht sind wir nicht aus einem Schafstall, vielleicht haben wir nicht einen Gott zum Vater; wie es heißt: Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Es ist nicht passend, daß einer niederreißt, wahrend der andere aufbaut. Ich suche nicht meinen Vorteil. Nicht mein ist die Gnade, sondern der Herr hat diesen Eifer mir ins Herz gegeben, einer von den ]ägern und Fischern zu sein, die der Herr einst für die letzten Tage vorherverkündigt hat.
(12) Man ist mir mißgünstig gesinnt. Was soll ich tun, o Herr? Ich werde sehr verachtet. Siehe, deine Schafe werden bei mir zerrissen und fortgeschleppt, und das von den eben genannten Räubern auf Befehl eines Feindes, des Coroticus. Fern ist von der Liebe Gottes, wer Christen in die Hände der Schotten und Pikten liefert. Reißende Wölfe haben die Herde des Herrn verschlungen, die gerade in Irland bei großem Eifer sich ausgezeidmet vermehrte. Die Söhne der Schotten und die Töchter der Fürsten, die Mönche und Jungfrauen Christi sind, kann ich gar nicht zählen. Darum *möge nicht das den Gerechten angetane Unrecht deinen Beifall finden, denn bis zum Tode wird es sicherlich nicht Beifall finden.
(13) Wer von den Geheiligten sollte nicht da vor
zurückschaudern, sich mit solchen zu unterhalten und ein Mahl mit ihnen zu genießen? Mit der den S. 46 toten Christen abgenommenen Beute haben sie ihre Hauser gefüllt, vom Raub leben sie. In ihrer Jämmerlichkeit erkennen sie das Gift nicht und reichen ihren Freunden und Kindern tödliche Speise; wie Eva nicht erkannte, daß sie ihrem Mann den Tod gab. So ist es mit allen, die sündhaft handeln sie wirken sich als Strafe den ewigen Tod. (14) Bei den römischen Christen in Gallien besteht die Übung, zu den Franken und den übrigen heidnischen Stammen geheiligte Manner, die dafür geeignet sind, zum Rückkauf christlicher Gefangener mit vielen tausend Goldstücken auszusenden. Du mordest so viele und verkaufst jene an ein auswärtiges Volk, das Gott nicht kennt. Es ist, als ob die Glieder Christi von dir in ein Bordell geliefert würden. Was kannst denn du dir von Gott erwarten oder der, der dir zustimmt oder mit dir Gemeinschaft halt, indem er dir schmeichelt? Gott wird urteilen; denn es steht geschrieben: Nicht nur wer Böses tut, sondern auch wer ihm zustimmt, ist zu verurteilen.
(15) Ich weiß nicht, was ich noch sprechen und verkünden soll von den verstorbenen Kindern Gottes, die das Schwert über das Maß hart getroffen hat. Denn es steht geschrieben: Weint mit den Weinenden und an einer anderen Stelle: Wenn ein Glied leidet, sollen alle anderen Glieder mit leiden. Deshalb beweint und beklagt die Kirche ihre Söhne und Töchter, die das Schwert noch nicht getötet hat, die vielmehr fortgebracht und in ferne Länder verschleppt wurden, wo die Sünde S. 47 offensichtlich stark ist und sich unverschämt breit macht. Dorthin sind freigeborene Menschen verkauft, Christen sind zu Sklaven gemacht worden, und noch dazu bei den minderwertigen, bösartigen und vom Glauben abgefallenen Pikten3• (16) Deshalb will ich mit Trauer und Schmerz rufen: „O ihr ausgezeichneten und liebevollen Brüder und Söhne, die ich in Christus gezeugt habe, so viele, daß ich sie gar nicht zählen kann, was soll ich für euch tun? Ich bin wohl nicht würdig, Gott und den Menschen zu Hilfe zu kommen. Zu groß ist die Ungerechtigkeit der Ungerechten für uns geworden. Wie Fremde sind wir geworden. Vielleicht glauben sie nicht, daß wir eine Taufe empfangen und einen Gott zum Vater haben. Unwürdig erscheint es ihnen, daß wir aus Irland stammen. Wie es heißt: Habt ihr denn nicht einen Gott? Warum habt ihr jeder seinen Nächsten im Stich gelassen? (17) Deshalb empfinde ich Schmerz für euch, Schmerz, meine Geliebten! Aber ich empfinde wiederum Freude in mir. Denn ich habe nicht umsonst gearbeitet, und mein Aufenthalt in der Fremde war nicht vergebens. Ein abscheulicher und unaussprechlicher Frevel hat sich ereignet. Gott sei es gedankt, als Gläubige und Getaufte seid ihr von dieser Welt ins Paradies eingegangen. Ich sehe euch vor mir! Ihr seid hinübergegangen dorthin, wo keine Nacht sein wird, keine Trauer und kein Tod mehr, sondern ihr werdet munter sein wie Kälber, die von den S. 48 Fesseln befreit sind. Und ihr werdet die Ungerechten mit Füßen treten, und sie werden wie Staub unter euren Füßen sein. (18) Ihr werdet nun herrschen mit den Aposteln, Propheten und Märtyrern. 1hr werdet eine ewige Herrschaft antreten, wie er selbst es bezeugt mit den Worten Kommen werden sie vom Osten und vom Westen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tische sitzen. Draußen müssen bleiben die Hunde und die Gifttmischer und die Mörder. Die Lügner und die Meineidigen werden ihren Platz haben im Pfuhl des ewigen Feuers. Sagt nicht mit Grund der Apostel: Wenn der Gerechte kaum gerettet werden wird, wo wird da der Sünder und ruchlose Übertreter des Gesetzes sich befinden?
(19) Wo wird also Coroticus mit seinen Frevlern, Meuterern gegen Christus, sich wiederfinden, die Christinnen als Beute verteilen wegen der jämmerlichen weltlichen Herrschaft, die doch in einern Augenblick vergeht wie die Wolken oder der Rauch, der vom Winde verweht wird. So werden die betrügerischen Sünder vor dem Antlitz des Herrn vergehen, die Gerechten aber werden zu Tische sitzen mit Christus in großer Beständigkeit, über die Völker urteilen und über die ungerechten Könige herrschen in Ewigkeit. Amen.
Ich bezeuge vor Gott und seinen Engeln, daß es so sein wird, wie er es mir Unwissendem mitgeteilt hat. Nicht meine Worte sind es, was ich lateinisch dargelegt habe, sondern die Gottes und der Propheten, die niemals gelogen haben. Wer S. 49 glaubt, wird gerettet werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden. Denn Gott hat gesprochen.
(21) Ich bitte dringend, daß jeder Diener Gottes bereit sei, diesen Brief weiter zu befördern, daß er niemandem vorenthalten, sondern vielmehr vor allem Volk, ja vor Coroticus selbst verlesen werde. Vielleicht schenkt ihnen Gott die Gnade, einmal wieder an Gott zu denken, so daß sie, wenn auch spät, bereuen, was sie Frevelhaftes getan haben — Mörder an den Brüdern des Herrn — und die Christinnen, die sie gefangen genommen haben, befreien und so würdig werden, für Gott zu leben, und gerettet werden hier und in Ewigkeit. Friede sei mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, Amen.