Cap. 1
S. 277 Wenngleich in dem ersten Buche dieser Schrift Manches beigebracht ist, was der Ermunterung zur Buße dient, so möchten wir doch nicht den Anschein geben, als wollten wir gleichsam bei halber Mahlzeit uns erheben. Da ohnehin noch Vieles hinzugefügt werden kann, so führen wir das Mahl, das wir mit Vorlegung unserer Worte begonnen, nunmehr fort.
Die Buße soll nun nicht bloß mit Eifer, sondern auch bis zur Reife geübt werden. Sonst möchte etwa jener Hausvater des Evangeliums, der einen Feigenbaum in seinen Weinberg pflanzte, auch zu uns kommen, und wenn er dann die Frucht suchte, ohne sie zu finden, würde er wohl zum Weingärtner sagen: „Haue ihn um; was soll er noch das Land einnehmen?“ Vielleicht träte dann wohl der Gärtner ein mit den Worten: „Herr, laß ihn auch noch dieses Jahr, bis ich um ihn her aufgegraben und Dünger daran gelegt habe, ob er nicht etwa doch noch Früchte bringt; wenn nicht, so magst du ihn für die Zukunft weghauen.“1
S. 278 Verfahren wir mit dem Acker, den wir besitzen, auch so, und ahmen wir den sorgsamen Landwirth nach, der nicht Anstand nimmt, mit fettem Dünger die Erde zu sättigen, mit schmutziger Asche das Land zu bedecken, um auf diese Weise reichlichere Frucht zu erzielen.
In welcher Weise wir aber dabei verfahren sollen, lehrt uns der Apostel, wenn er sagt: „Ich achte Alles für Koth, damit ich Christum gewinne“;2 so hat er es verdient, in Schmach und in Ehre Christo zu gefallen. Er hatte ja gelesen, daß Abraham, da er sich als Staub und Asche vor dem Herrn bekannte, durch die tiefste Demuth der Gnade Gottes theilhaftig wurde; er hatte ferner gelesen, daß Job, da er auf dem Düngerhaufen saß, Alles wiedergewann, was er verloren. Nicht minder hatte er gelesen, was David prophetischen Geistes verkündigt, „daß Gott den Geringen aufrichtet aus dem Staube und aus dem Kothe erhöhet den Armen.“3
Und wir sollten uns scheuen, dem Herrn unsere Sünden zu bekennen? Wohl mag es Scham hervorrufen, wenn ein Jeder seine Vergehen offenlegen soll: aber diese Scham durchpflügt den Acker des Geistes, nimmt die immer wieder keimenden Dornen hinweg, schneidet die Sträuche und haucht den Früchten, die ihm schon gestorben schienen, neuen Lebensduft ein. Folge nur dem Apostel, der seinen Acker tüchtig pflügend Früchte für die Ewigkeit zu gewinnen trachtete. „Man verfluchet uns“, sagt er, „und wir segnen; man verfolgt uns, und wir dulden; man lästert uns, und wir beten; wie ein Auswurf der Welt sind wir geworden.“4 Wenn auch du deinen Geistesacker so durchpflügt hast, dann wirst du geistige Saat ausstreuen. Ja, bebaue nur so, daß du die Sünde fortschaffest, so wirst auch du Frucht erzielen. Der Apostel hat so gearbeitet, daß er die letzte Regung des Verfolgers in sich austilgte. Wie konnte Christus uns mächtiger zum Eifer in der S. 279 Lebensbesserung anregen, als dadurch, daß er den Verfolger bekehrte und aus ihm uns den Lehrer bereitete?
