Text.
Dem geliebtesten Bruder Proclus (entbietet) Sixtus (seinen Gruß).
1. Obwohl wir wissen, daß deine Brüderlichkeit in der kirchlichen Disciplin unterrichtet sei und Alles, was die Beobachtung der Regeln und Canones betrifft, mit größter Sorgfalt bewahre, und wir durch klare Veweise erfahren haben, daß sie weder selbst Etwas thue noch andere Bischöfe mit ihrer Zustimmung thun 1 lasse, was die alten Anord- S. 576 nungen der Väter umstoßen könnte; — denn Das geziemt einem so ausgezeichneten und vor Gott würdigen Bischofe, daß er sowohl das ihm Angehörige mit aller möglichen Sorgfalt bewahre als auch Andere in dem den Brüdern Gebührenden durchaus nicht von irgend einer Seite beunruhigen oder beeinträchtigen lasse, da er seine Würde mit desto größerem Ruhme in den Schranken der Mäßigung erhalten wird, wenn er Denen, welche die Sitte der Alten angreifen, Nichts gewähren läßt; — so wollen wir dennoch deiner Brüderlichkeit aus Liebe besonders Das noch in Erinnerung bringen, daß deine Heiligkeit gegen die Unterschleife Einiger auf der Hut sei und dem ungeziemenden Ansinnen Derjenigen nicht Raum gebe, welche den Kirchen durch sich Argerniß und Zwietracht zu erzeugen wünschen, indem sie durch die Verwirrung der Kirchen groß werden und sich durch die Nachsicht2 der Bischöfe eine Stellung verschaffen wollen.
2. Das also, woran auch wir festhalten, wollen wir, daß es deine Brüderlichkeit beobachte, von der wir wissen, daß sie es nach ihrer Sitte3 thun werde, nemlich daß, wenn irgend ein Bischof aus jenen Provinzen, welche unserem Bruder und Mitbischofe von Thessalonich angehören, S. 577 ohne dessen Wissen ankommt, wenn er ohne dessen Briefe und Formaten zu kommen gewagt hat, er für einen Verächter der kirchlichen Disciplin und der Canones gehalten werde, welche wir von keiner Seite übertreten lassen. Euerer Ehrwürdigkeit gereicht es zum gemeinsamen Nutzen, wenn ihr einander in Liebe zuvorkommt und Einer dem Andern die ihm gebührende Ehre wahrt; wie wir es lesen,4 so wollen wir, daß es geschehe. Alle Bischöfe jener Provinz mögen es erfahren, daß deine Brüderlichkeit mit aller Strenge daran halte, Nichts zu gestatten, was von einem Bischofe nicht unternommen werden darf.
3. Wir würden mehr sagen, wenn wir über die Gesinnung deiner Brüderlichkeit auch von dieser Seite nicht Größeres zu denken wüßten, als wir in diesem an dich gerichteten Schreiben aufführen können. Du hast ein ganz neues Beispiel an der neulich gepflogenen Verhandlung unseres Bruders Idduas,5 bezüglich dessen wir beschloßen, S. 578 daß das Urtheil deiner Brüderlichkeit bewahrt werde, indem wir deinem Erkenntnisse keine Unbild zufügen wollen, dessen ganz gerechte Absicht du durch dein gerechtes Vorgehen wahrtest.6 Die Unwissenden7 bedürfen der Ermahnung; wenn du aber Einen, der die Kenntnisse hat und sich darnach hält, hierin weitläufiger unterweisen wolltest, so würde es scheinen, daß du ihn nicht so sehr ermahnen, als vielmehr ihm Unwissenheit vorrücken wollest. Darum möge genügen, was wir geschrieben, theuerster Bruder, weil wir uns darauf verlassen, daß deine Gesinnung und Strenge in Bezug auf diese Verbesserung und Vorschrift mit uns übereinstimmt, weil wir bezüglich der Ehrfurcht vor der Religion, der Beobachtung der Canones und des Festhaltens an der kirchlichen Disciplin nach dem Worte der Schrift8 ein Herz und eine Seele sein müssen und es zu sein auch S. 579 glauben. Gegeben am 18. December unter dem 2. Consulate des Aetius und dem des Segisvultus. 9
Proclus folgte dem Maximianus auf dem bischöflichen Stuhle von Constantinopel, welchen Dieser nur zwei Jahre und einige Monate inne hatte; er war ursprünglich zum Bischofe von Cyzikus geweiht, aber dort nicht aufgenommen und deßhalb in der Hauptstadt verblieben, wo er als Prediger reichlichen Beifall einerntete und auch schon dreimal vom Volke als Bischof postuIirt wurde; seine Milde, Klugheit und Beredsamkeit leisteten der Kirche große Dienste, wie auch sein Andenken in der orientalischen und occidentalischen Kirche stets in Ehren blieb. Andererseits scheint er die Pläne seiner Vorgänger auf Machterweiterung gleichfalls verfolgt zu haben, wobei ihm die dem apotstolischen Vicar von Thessalonich unterstehenden Bischofe von Illyricum entgegenkamen, welche sich zum Theile wenigstens, so der Metropolit Perigenes von Corinth, immer mehr non Jenem loszusagen, dem Bischofe von Constantinopel aber anzuschließen suchten, was schon den P. Bonifacius I. (s. oben dessen 11., 12., 14., 15., 16. Brief) und nun den P. Sixtus III. zu wiederholten Klagen und Ermahnungen veranlaßte. ↩
Per dispensationem; mit Schonung gegen Proclus stellt der Papst die Sache so dar, als ob Proclus slch den Machtgelüsten jener Bischöfe gegenüber (unter welchen Perigenes jedenfalls eine hervorragende Rolle spielte) nur negativ handelnd, nicht abwehrend verhalte, da es höchst wahrscheinlich ist, daß Proclus dieselben, wenn nicht aneiferte, so doch gewiß unterstützte, indem seine Macht in demselben Maße zunahm, in welchem es jenen gelang, das Ansehen des apostolischen Vicars zu schmälern. ↩
Mit welcher sie die kirchlichen Vorschriften zu beobachten pflegt. ↩
Röm. 12, 10: „Liebet einander mit brüderlicher Liebe; mit Achtung kornmet einander zuvor.“ ↩
Einen Bischof dieses Namens kennen wir aus dem Verzeichnisse jener Bischöfe, welche auf der ephesinischen Synode die Absetzung des Nestorius unterschrieben; es war Bischof Idduas von Smyrna. Holstein meint deßhalb, daß Proclus an Idduas sein Patriarchal-Richteramt ausgeübt, Idduas an den Papst appelIirt, dieser aber des Proclus Urtheil und hiemit dessen Patriarchalrechte über Asien anerkannt habe. So sicher es jedoch ist, daß der vom Concil zu Constantinopel und später zu Chalcedon für den Bischof von Constantinopel zugesprochenen Machtgröße die Päpste bis Hormisdas stets entschieden sich widersetzten, so unklar bleibt dieser Fall mit dem Bischof Idduas, über dessen Person wir ans Mangel jedes Anhaltspunctes kein Urtheil fällen können. Dennoch scheint es, als habe der Papst hier dem ProcIus eine Concession machen wollen; vielleicht haben wir es hier mit einem Urtheile der sog. σύνοδος ἐνδημοῦσα zu thun, über deren Entstehung und Bedeutung Hergenröther (Photius I. S. 38) sagt: „Seit der Zeit des Nektarius (381-397) bildete sich die sog. σύνοδος ἐνδημοῦσα aus. Sie entstand daraus, daß viele Bischöfe, theils wegen der Angelegenheiten ihrer Gläubigen und ihrer Diocesen, theils auch um Ehren und Vortheile am Hofe zu erlangen, oft sich längere Zeit in der Haupstadt aufhielten, bisweilen über sechszig an der Zahl, nicht wenige derselben alsdann ihre Streitigkeiten dem Kaiser vortrugen und dieser dieselben entweder mit dem Beirath des dortigen Bischofs seIbst entschied oder dieselben durch ihn im Verein mit anderen Bischöfen untersucht wissen wollte; oft Iud auch der Bischof der Hauptstadt die gerade anwesenden Prälaten zu den Verhandlungen ein, die dann stets unter seinem Vorsitz als dem Ordinarius des Orts gehalten wurden, unter welchem Titel das Podium als ihm gebührend vorausgesetzt worden zu sein scheint. ... Es war deren Versammlnng eine σύνοδος ἐπισκόπων ἐνδημούντων, an und für sich, wie es scheint, ein bloßes Schiedsgericht, aber durch das Gewohnheitsrecht nach und nach zu einem ständigen und ordentIichen Tribunal für Rechtssachen höherer Prälaten erhoben. Diese stehende Synode ward ein machtiges Vehikel für die successive Machterweiterung des Bischofs der Hauptstadt, dessen Ermessen in der Regel den Ausschlag gab.“ Vgl. auch SefeIe II. 514 u. 532. ↩
Cum ejus intentionem justissimam innocentia tuereris. ↩
Das nun Folgende hängt nicht mit dem unmittelbar Vorhergehenden zusammen, sondern schließt sich an den durch das über Idduas Gesagte nur kurz unterbrochenen Context an. ↩
Apostelg. 4, 32. ↩
D. i. i. J. 437. ↩
