Text.
Dem ehrwürdigen und in der Liebe Christi theueren Herrn, dem heiligen Bruder und Mitpriester Sixtus (sendet) Augustinus Gruß im Herrn.
1. Seitdem das durch unsern heiligen Bruder, den Priester Firmus gesandte Schreiben deiner Güte nach Hippo in meiner Abwesenheit kam, nachdem ich dasselbe nach meiner Rückkehr, obwohl sein Überbringer schon abgereist war, lesen konnte, ergab sich mir diese erste, aber sehr erwünschte Gelegenheit der Erwiderung durch unsern geliebtesten Sohn, den Akolythen Albinus. Da aber wir, denen du zugleich geschrieben, damals nicht beisammen waren, deßhalb geschah es, daß du einzelne Briefe der Einzelnen und nicht ein Schreiben Beider empfängst. Von mir nemlich zog der Überbringer dieses (Briefes) hinweg, um zu meinem ehrwürdigen Bruder und Mitbischof Alypius hinüberzugehen, welcher deiner Heiligkeit mit einem zweiten Schreiben erwidert, dem er auch deinen Brief, welchen ich schon gelesen hatte, selbst überbrachte. Unsere Freude hierüber auszudrücken, wozu sollte sich der Mensch damit bemühen, da er sie auszudrücken nicht vermag? Auch du selbst, meine ich, wirst es nicht hinlänglich erkennen, sondern glaube es uns, welch' große Wohlthat du uns durch Übersendung solcher Schreiben bereitetest. Denn gleichwie du Zeuge deines Gemüthes bist, so (sind) auch wir (Zeugen) des unsrigen, wie sehr es durch die so hell leuchtende Aufrichtigkeit jenes Schreibens bewegt wurde. Denn wenn wir schon deinen so kurzen Brief, welchen du über denselben Gegenstand an den seligsten Greis1 Aurelius durch den Akolythen Leo2 richtetest,3 S. 585 mit jubelnder Freude abschrieben und Allen, denen wir konnten, mit großem Eifer vorlasen, wo du uns erklärtest, was du über jene so verderbliche Lehre oder dagegen über die Gnade Gottes denkst, welche er den Kleinen und Grossen gewährt, und der jener (Lehre) ganz feindlich entgegengesetzt ist, was glaubst du, mit welch' großem Entzücken wir dieses dein ausführlicheres Schreiben gelesen, mit welcher Sorgfalt wir es Anderen, denen wir konnten, vorlegten, damit es gelesen werde, und noch immer anbieten, wo wir nur können? Denn was könnte es Angenehmeres zu lesen oder zu hören geben, als eine so reine Vertheidigung der Gnade Gottes gegen ihre Feinde aus dem Munde Desjenigen, welcher vorher als ein gewichtiger Beschützer dieser Feinde ausgegeben wurde? Oder wofür schulden wir Gott größeren Dank, als deßhalb, weil seine Gnade so vertheidigt wird von Denen, welchen sie gegeben wird, gegen Diejenigen, welchen sie entweder nicht gegeben wird oder unersprießlich ist, daß sie (ihnen) gegeben, weil es ihnen, damit sie ihnen Nutzen bringt, nach dem verborgenen und gerechten Rathschlusse Gottes nicht verliehen wird?
2. Deßhalb, ehrwürdiger Herr und in der Liebe Christi theuerer heiliger Bruder, wenn du schon sehr gut daran thust, da du über diesen Gegenstand an die Brüder schreibst, bei welchen sich Jene mit deiner Freundschaft zu brüsten pflegen, so bleibt dir dennoch die größere Sorge übrig, daß nicht nur Diejenigen mit heilsamer Strenge gestraft werden, welche jenen dem christlichen Namen so feindseligen Irrthum ganz offen zu verkünden wagen, sondern daß auch Jene mit Hirtensorgfalt auf das eifrigste gehütet werden, um der schwächeren und einfältigeren Schafe des Herrn willen, welche ihn zwar mehr unterdrückt und furchtsam, aber dennoch unaufhörlich einflüstern, indem sie nach dem Worte des Apostels4 „sich in die Häuser einschleichen" S. 586 und das Weitere5 mit geübter Gottlosigkeit vollbringen. Auch Die dürfen nicht ausser Acht gelassen werden, welche, was sie denken, aus Furcht bis zum tiefen Stillschweigen unterdrücken, jedoch dieselbe verkehrte Gesinnung beihehalten. Einige von ihnen nemlich konnten euch, bevor jene Pest auch durch das ganz offenkundige Urtheil des apostolischen Stuhles verdammt wurde, bekannt sein, die nun, wie ihr sehet, plötzlich verstummten; man kann auch nicht wissen, ob sie geheilt sind, wenn sie nicht nur jene falschen Lehren verschweigen, sondern auch die ihnen entgegengesetzte Wahrheit mit demselben Eifer, als jene, vertheidigen; doch sind sie milder zu behandeln. Denn wozu sollte man sie noch schrecken, da ihre Schweigsamkeit schon hinlänglich beweist, daß sie eingeschüchtert sind? Dennoch dürfen auch sie nicht von der Sorgfalt des Heilens übergangen werden, deren Wunde verborgen ist. Braucht man sie auch nicht in Schrecken zu setzen, so muß man sie doch belehren; und Das kann, wie ich meine, leichter geschehen, weil bei ihnen die Furcht vor Strenge dem Lehrer der Wahrheit zu Hilfe kommt, so daß sie unter Gottes Beistand, nachdem sie seine Gnade kennen und lieben gelernt, auch durch das Wort Das bekämpfen, was sie auszusprechen schon nicht mehr wagen.
D. i. Primas Aurelius von Carthago. ↩
Man hält den hier genannten Akolythen Leo für den nachherigen Papst Leo I. ↩
Wir haben hier zwei Briefe, welche Sixtus als römischer Priester über die Gnade und den Pelagianismus schrieb, die aber verloren giengen. ↩
II. Tim. 3, 6. ↩
D. i. die übrigen vom Apostel an der angezogenen Stelle genannten Frevel. ↩
