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Über die Seele. (BKV)
17. Cap. Ob die Sinneswahrnehmungen zuverlässig seien?
Auch die Frage nach den bekannten fünf Sinnen, welche wir mit den Anfangsgründen der Wissenschaft kennen lernen, gehört hierher, S. 311 weil die Häretiker auch sie zu Hilfe nehmen, Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Gefühl.
Die Akademiker verwerfen ihre Zulässigkeit in schroffer Weise, nach einigen Angaben auch Heraklit, Diokles und Empedokles. Plato nennt im Timäus die Sinneswahrnehmung eine unvernünftige und mit Einbildungen zusammenhängende. So wird der Sehkraft vorgeworfen, sie täusche, weil sie das Ruder im Wasser gekrümmt und gebrochen zeigt, obwohl man weiss, dass es ganz ist, weil sie einen vierkantigen Thurm von fern rund erscheinen lässt, weil sie einen überall gleich breiten Säulengang am Ende hässlich verengert, weil sie den Himmel, der so hoch über uns ist, mit dem Meere zusammenfliessen lässt. Ebenso macht sich das Gehör des Betrugs schuldig. Meinen wir, es dröhne vom Himmel her, so ist es ein Wagen; fängt der Donner an zu rollen, so halten wir es für das Getöse eines Wagens. Auch Geruch und Geschmack werden in der Art angeklagt. Denn dieselbe Salbe, derselbe Wein erscheint bei einem spätern Gebrauche geringer. Auch der Tastsinn wird getadelt. Denn die Hände halten das Getäfel des Fussbodens für rauh, die Füsse hingegen für glatt; beim Baden kündigt sich dasselbe Badewasser zuerst als sehr heiss, sodann als mässig warm an. Folglich, sagt man, werden wir durch die Sinne getäuscht, wenn wir unsere Meinungen ändern. Etwas gemässigter verfahren die Stoiker; sie beschuldigen nicht jede Sinnesempfindung der Lüge und nicht immer. Die Epikuräer dagegen verteidigen mit zu viel Hartnäckigkeit deren Gleichheit und Beständigkeit bei allen, aber nach einer andern Methode. Denn nicht der Sinn sei es, der lüge, sondern die Vorstellung. Der Sinn verhalte sich nur leidend, nicht vorstellend; die Seele aber stelle vor. Sie haben eine Trennung der Wahrnehmung vom Sinne und des Sinnes von der Seele vorgenommen. Woher denn die Wahrnehmung, wenn nicht vom Sinne? Wenn zum Beispiel das Gesicht den Turm nicht als etwas Rundes wahrnähme, so würde auch keine Wahrnehmung von der Rundheit vorhanden sein. Und woher die Sinneswahrnehmung, wenn nicht von der Seele? Darum wird ein der Seele entbehrender Körper auch ohne Sinneswahrnehmung sein. Also rührt auch die Sinneswahrnehmung von der Seele und die Vorstellung vom Sinne her, und das Ganze ist die Seele.
Übrigens wird die beste Proposition die sein, dass es immerhin etwas gebe, was bewirkt, dass die Sinne andere Meldungen machen, als es der Sache entspricht. Wenn nun Meldungen, die der Sache nicht entsprechen, gemacht werden können, warum sollte nicht durch dasselbe Medium etwas gemeldet werden können, was sich nicht in den Sinnen vorfindet, sondern in den Verhältnissen, welche unter deren Namen auftreten? Und so wird man sie denn also untersuchen dürfen. Gesetzt den Fall, das Ruder erscheine im Wasser gebogen oder gebrochen, so ist das Wasser schuld S. 312 daran; denn ausserhalb des Wassers ist das Ruder für die Sehkraft gerade. Durch die Zartheit der genannten Substanz aber, kraft deren sie durch die Beleuchtung zu einem Spiegel wird, je nachdem man sie schlägt oder bewegt, wird auch das Bild in zitternde Bewegung gesetzt und die gerade Linie abgelenkt. Täuscht uns die Erscheinung des Turmes, so wird dies offenbar durch die Entfernung bewirkt. Die Gleichmässigkeit der uns umgebenden Luft überkleidet nämlich die Kanten mit gleichem Lichte und verwischt die Linien. So wird auch der an sich gleichbreite Säulengang am Ende verengert, indem die in einem geschlossenen Raume beengte Sehkraft durch dasselbe Mittel eine Schwächung erleidet, wodurch sie verstärkt wird. Der Himmel tritt mit dem Meere da in Vereinigung, wo die Sehkraft aufhört, welche, so lange sie besteht, eine Unterscheidung verstattet. Das Gehör aber, wodurch anders wird es getäuscht, als durch die Ähnlichkeit der Töne? Wenn die Salbe nachher weniger duftet, der Wein geringer schmeckt und das Bad weniger heiss ist, so ist fast bei allen diesen Dingen die erste Kraft die Hauptkraft. Im Urteil über Rauhheit und Glätte weichen Hände und Füsse selbstverständlich voneinander ab, weil jenes zarte, dieses schwielige Gliedmassen sind. Auf diese Weise wird jede Sinnentäuschung ihre Ursache haben.
Wenn nun die Ursachen es sind, welche die Sinne und durch die Sinne die Vorstellung täuschen, so wird man die Täuschung nicht mehr in die Sinne setzen dürfen, denn sie folgen den Ursachen, noch auch in die Vorstellungen, weil sie sich ja nach den den Ursachen folgenden Sinnen richten. Die Verrückten sehen eine Person für eine andere an, Orestes seine Schwester für seine Mutter, Ajax das Herdenvieh für den Odysseus, Athamas und Agave ihre Kinder für wilde Tiere. Wird man diesen Irrtum den Augen zur Last legen und nicht lieber den Furien? Die, welche wegen zu reichlichen Vorhandenseins von Galle an der Gelbsucht leiden, halten alles für bitter. Willst du nun dem Geschmacksinn diese Abweichung zur Last legen oder der Krankheit? So werden sämtliche Sinne aufgehoben und getäuscht — aber nur zeitweise, — um die Täuschung nicht zu ihrem Eigentum werden zu lassen.
Nicht einmal den Ursachen selbst darf man den Vorwurf des Betrugs machen. Denn wenn solche Erscheinungen ihren guten Grund haben, so verdienen sie nicht für Betrug angesehen zu werden. Was sich so zutragen muss, das ist kein Betrug. Wenn so also sogar die Ursachen von jedem Vorwurfe freigesprochen werden müssen, dann die Sinne noch vielmehr, da ihnen ja erst die Ursachen frei vorangehen. Wahrheit, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit sollte deshalb den Sinnen gerade erst recht zugesprochen werden, weil sie keine andere Meldung machen, als wie die Ursache es ihnen vorschreibt, welche bewirkt, dass die Sinne andere Meldungen machen, als es der Sache entspricht.
S. 313 Was also ist dein Beginnen, zudringliche Akademie? Du stürzest alle Lebensverhältnisse über den Haufen, du bringst die ganze Ordnung der Natur in Verwirrung, du bezichtigst die Vorsehung Gottes selbst der Blindheit, der uns an den Sinnen alsdann nur trügerische und lügnerische Führer zur Erkenntnis, Ausbildung, Verteilung und Geniessung seiner Werke verliehen hätte. Wird uns nicht durch die Sinne die ganze Schöpfung vermittelt? Tritt nicht durch sie auch noch die zweite Ausstattung zu den irdischen Dingen hinzu? All diese Künste, Erfindungen, geistigen Bestrebungen, Geschäfte, Pflichten, Handelsverbindungen und Heilmittel, Rat, Trost, Lebensunterhalt, Putz und Schmuck? Diese Dinge haben dem Leben erst Geschmack und Würze gegeben, indem der Mensch durch diese Sinne als das einzige vernunftbegabte unter allen lebenden Wesen dasteht, das zum Erkennen und Wissen befähigt ist und sogar zur Aufnahme in die Akademie.
Plato freilich leugnet, um nicht ein den Sinnen günstiges Zeugnis unterschreiben zu müssen, im Phaedon in der Person des Sokrates aus diesem Grunde, sich selbst erkennen zu können, wie die Inschrift zu Delphi ermahnt. Im Theaetet spricht er sich das Wissen und Empfinden ab und im Phaedon verschiebt er das Aussprechen seiner Ansicht als einer nachgeborenen Tochter der Wahrheit bis nach seinem Tode, philosophiert aber trotzdem, obwohl er noch nicht tot ist.
Uns aber ist es unter keiner Bedingung gestattet, die Zuverlässigkeit der Sinne in Zweifel zu ziehen, damit nicht auch bei der Person Christi an ihrer Zuverlässigkeit gezweifelt werde und es nicht etwa heisse, er habe sich getäuscht, als er vorhersah, dass Satan vom Himmel gestürzt werde, oder er habe fälschlich die Stimme des Vaters gehört, welche Zeugnis von ihm ablegte, oder er sei betrogen worden, als er die Schwiegermutter des Petrus berührte, oder er habe einen andern Duft für den Duft der Salbe genommen, welche er sich für seine Beerdigung gefallen liess, und einen andern Geschmack für den des Weines, welchen er zum Andenken an sein Blut konsekrierte. Denn das ist die Weise, wonach ihn Marcion lieber für ein Phantasma halten wollte und dessen ganzen Leib für Wirklichkeit zu halten verschmäht hat. Nicht einmal mit den Aposteln hat sich Christi natürliche Beschaffenheit einen Scherz erlaubt. Zuverlässig war sein Anblick und sein Reden auf dem Berge, zuverlässig war auf der Hochzeit in Galiläa der Geschmack des Weines, obwohl er vorher Wasser gewesen war, zuverlässig war auch die Betastung durch den von da an gläubigen Thomas. Lies doch nur die Beteuerung des Johannes: „Was wir gesehen, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen und was unsere Hände berührt haben vom Worte des Lebens.”1 S. 314 Diese Beteuerung wäre jedenfalls falsch, wenn die Wahrnehmungen der Augen, Ohren und Hände von Natur aus trügerisch sind.
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I. Joh. 1, 1. ↩
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De Anima
XVII. DE QVINQVE SENSIBVS.
[1] Contingit nos illorum etiam quinque sensuum quaestio, quos in primis litteris discimus, quoniam et hinc aliquid haereticis procuratur. Visus est et auditus et odoratus et gustus et tactus. [2] Horum fidem Academici durius damnant, secundum quosdam et Heraclitus et Diocles et Empedocles, certe Plato in Timaeo inrationalem pronuntians sensualitatem et opinioni coimplicitam. Itaque mendacium uisui obicitur, quod remos in aqua inflexos uel infractos adseuerat aduersus conscientiam integritatis, quod turrem quadrangulatam de longinquo rotundam persuadeat, quod aequalissimam porticum angustiorem in ultimo infamet, quod caelum tanta sublimitate suspensum mari iungat. [3] Perinde auditus fallaciae reus, ut cum caeleste murmur putamus et plaustrum est, uel tonitru meditante pro certo de plaustro credimus sonitum. Sic et odoratus et gustus arguuntur, siquidem eadem unguenta eademque uina posteriore quoque usu depretiantur. Sic et tactus reprehenditur, siquidem eadem pauimenta manibus asperiora, pedibus leuiora creduntur, et in lauacris idem calidae lacus feruentissimus primo, dehinc temperatissimus renuntiatur. [4] Adeo, inquiunt, sic quoque fallimur sensibus, dum sententias uertimus. Moderantus Stoici non omnem sensum, nec semper, de mendacio onerant. Epicurei constantius parem omnibus atque perpetuam defendunt ueritatem, sed alia uia. Non enim sensum mentiri, sed opinionem. Sensum enim pati, non opinari; animam enim opinari. Absciderunt et opinionem a sensu et sensum ab anima. [5] Et unde opinio, si non a sensu? Denique nisi uisus rotundam senserit turrem, nulla opinio rotunditatis. Et unde sensus, si non ab anima? Denique carens anima corpus carebit et sensu. Ita et sensus ex anima est et opinio ex sensu et anima totum. Ceterum optime proponetur esse utique aliquid quod efficiat aliter quid a sensibus renuntiari quam sit in rebus. Porro si potest id renuntiari quod non sit in rebus, cur non perinde possit per id renuntiari quod non sit in sensibus, sed in eis rationibus quae interueniant suo nomine? [6] Atque adeo licebit eas recognosci. Nam ut in aqua remus inflexus uel infractus appareat, aqua in causa est; denique extra aquam integer uisui remus. Teneritas autem substantiae illius, qua speculum ex lumine efficitur, prout icta seu mota est, ita et imaginem uibrans euertit lineam recti. Item ut turris habitus eludat, interualli condicio compellit in aperto; aequalitas enim circumfusi aeris pari luce uestiens angulos oblitterat lineas. Sic et uniformitas porticus acuitur in fine, dum acies in concluso stipata illic tenuatur, quo et extenditur. Sic et caelum mari unitur, ubi uisio absumitur, quae quamdiu uiget, tamdiu diuidit. [7] Auditum uero quid aliud decipiet quam sonorum similitudo? Et si postea minus spirat unguentum et minus sapit uinum et minus lacus feruet, in omnibus ferme prima uis tota est. Ceterum de scabro ac leui merito manus ac pedes tenera scilicet et callosa membra dissentiunt. [8] Igitur hoc modo nulla sensuum frustratio causa carebit. Quodsi causae fallunt sensus et per sensus opiniones, iam nec in sensibus constituenda fallacia est, qui causas sequuntur, nec in opinionibus, quae a sensibus diriguntur sequentibus causas. [9] Qui insaniunt, alios in aliis uident, ut Orestes matrem in sorore et Aiax Vlixen in armento, ut Athamas et Agaue in filiis bestias. Oculisne hoc mendacium exprobrabis, an furiis? Qui redundantia fellis auruginant, amara sunt omnia. Num ergo gustui praeuaricationem exprobrabis, an ualetudini? Omnes itaque sensus euertuntur uel circumueniuntur ad tempus, ut proprietate fallaciae careant. [10] Immo iam ne ipsis quidem causis adscribendum est fallaciae elogium. Si enim ratione haec accidunt, ratio fallacia perhiberi non meretur. Quod sic fieri oportet, mendacium non est. Itaque si et ipsae causae infamia liberantur, quanto magis sensus, quibus iam et causae libere praeeunt, cum hinc potissimum et ueritas et fides et integritas sensibus uindicanda sit, quod non aliter renuntient quam quod illa ratio mandauit, quae efficiat aliter quid a sensibus renuntiari quam sit in rebus! [11] Quid agis, Academia procacissima? Totum uitae statum euertis, omnem naturae ordinem turbas, ipsius dei prouidentiam excaecas, qui cunctis operibus suis intellegendis incolendis dispensandis fruendisque fallaces et mendaces dominos praefecerit sensus. An non istis uniuersa conditio subministratur? An non per istos secunda quoque mundo instructio accessit, tot artes, tot ingenia, tot studia negotia officia commercia remedia consilia solacia uictus cultus ornatus, quae omnia totum uitae saporem condierunt, dum per hos sensus solus omnium homo animal rationale dinoscitur intellegentiae et scientiae capax, et ipsius Academiae? [12] Sed enim Plato, ne quod testimonium sensibus signet, propterea et in Phaedro ex Socratis persona negat se cognoscere posse semetipsum, ut monet Delphica inscriptio, et in Theaeteto adimit sibi scire atque sentire et in Phaedro post mortem differt sententiam ueritatis, postumam scilicet; et tamen nondum mortuus philosophabatur. [13] Non licet, non licet nobis in dubium sensus istos deuocare, ne et in Christo de fide eorum deliberetur, ne forte dicatur quod falso satanan prospectarit de caelo praecipitatum aut falso uocem patris audierit de ipso testificatam aut deceptus sit, cum Petri socrum tetigit, aut alium postea unguenti senserit spiritum, quod in sepulturam suam acceptauit, alium postea uini saporem, quod in sanguinis sui memoriam consecrauit. [14] Sic enim et Marcion phantasma eum maluit credere, totius corporis in illo dedignatus ueritatem. Atquin ne in apostolis quidem eius ludificata natura est; fidelis fuit et uisus et auditus in monte, fidelis et gustus uini illius, licet aquae ante, in nuptiis Galilaeae, fidelis et tactus exinde creduli Thomae. Recita Johannis testationem: quod uidimus, inquit, quod audiuimus, oculis nostris uidimus, et manus nostrae contrectauerunt de sermone uitae. Falsa utique testatio, si oculorum et aurium et manuum sensus natura mentitur.